27/02/2018
Das isch sehr interessant
Braucht mein Pferd eine Decke? – Zur Thermoregulation im Winter
Die dunkle Jahreszeit
Es ist Dezember, es ist kalt (finde ich zumindest), Schneeregen und Wind wechseln sich ab. Ich packe mich warm ein und fluche vor mich hin, weil ich die Handschuhe gestern im Stall ausgezogen und dort gelassen habe. 50 Meter sind es nur bis dahin, trotzdem unangenehm mit nackten Händen….
Die Ponys stehen draußen, ich muss den Stall einmal durchqueren, um sie zu erreichen, es zieht, bis ich die Tür hinter mir geschlossen habe. Ich ziehe die Schultern hoch, mir ist kalt.
Falina brummelt mich an und kommt auf mich zu. Sie sieht total nass und schlammig aus. Ihre Nierenpartie fühlt sich kalt an….
Sie stehen eigentlich fast immer draußen, sie wälzen sich bei jedem Wetter auf dem matschigen Boden (ok, Falina nicht, wenn es ganz mockig ist, aber ihr matschbraune Farbe auf der linken Seite verrät, dass es jetzt noch im Rahmen ist). Und ich kühle schon aus, wenn ich nur daran denke, wie sie um diese Jahreszeit leben…
Klar, sie sind nicht alt, sie sind nicht krank, sie haben einen Stall, den sie jederzeit aufsuchen können und Bäume, die den Wind und Regen auch abhalten (es sind immergrüne Nadelbäume). Trotzdem ist es für mich komisch, sie bei Matsch, Regen und Frost abends in der Kälte zurückzulassen und mich unter zwei dicke Bettdecken zu kuscheln. Mit Hund unter der Decke.
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Thermoregulation, was ist das überhaupt?
Damit die körperlichen Abläufe von Pferden funktionieren können, muss der Körper im Innern (Körperkern) eine relativ konstante Temperatur haben. Bei ausgewachsenen Pferden sind dies etwa 38° Celsius. Würde diese Temperatur schwanken, dann wären die Abläufe auf zellulärer Ebene gestört. Unter Thermoregulation versteht man die Prozesse des Körpers, die sicherstellen, dass die Temperatur konstant bleibt. Sie sorgen dafür, dass die Körpertemperatur relativ unabhängig von der Außentemperatur ist.
Es gibt auch Tiere, die ihre Körpertemperatur der Außenwelt anpassen (Fische, Reptilien und Amphibien) und solche, die einen gewissen kurzfristigen Anpassungsspielraum in bestimmten Körperregionen haben (wie das Schnabeltier). Pferde sind dagegen, wie fast alle Säugetiere und Vögel, homöotherm, ihre Temperatur bleibt konstant.
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Wie funktioniert die Thermoregulation des Pferdes?
Das Pferd reguliert seine Temperatur über unterschiedliche Prozesse.
Dabei ist Wärme ein Nebenprodukt der metabolischen Prozesse (Stoffwechsel). Damit diese Wärme dort bleibt, wo sie benötigt wird, also im Pferdekörper, hat da Pferd zunächst einmal eine relativ dicke Haut, die bereits eine wichtige Isolation nach außen bietet.
Darüber bietet das Winterfell Isolation. Das Wachstum des Winterfells wird zwar hauptsächlich durch das abnehmende Licht der kürzer werdenden Tage angeregt, die Außentemperatur beeinflusst aber die Haarlänge und -dicke mit.
Die Isolation durch das Fell kann variiert werden, indem die Haare durch die Haarbalgmuskeln aufgestellt oder angelegt werden. Dieser Mechanismus entspricht in etwa der menschlichen ‚Gänsehaut’. Er sorgt dafür, dass die Isolationsschicht des Fells dicker oder dünner ist und der Luftstrom, welcher die Haut erreicht, variiert. Die Felldichte kann dabei um bis zu 30 Prozent erhöht werden.
Außerdem hat das Fell durch seine Talgschicht einen wasserabweisenden Effekt, sodass Wasser außen abfließt.
Daneben können die Arterien durch muskuläre Prozesse verengt und erweitert werden. Wenn es kalt ist, dann wird durch eine Gefäßverengung der Blutfluss im Bereich der Hautoberfläche vermindert, sodass weniger warmes Blut im äußeren Bereich des Körpers abkühlen kann.
Bei extremer Kälte kann auch durch Zittern Wärme erzeugt werden.
Wenn es warm ist, dann spielen auch die Schweißdrüsen eine wichtige Rolle, aber hier soll es ja um den Winter gehen.
Auch das Körperfett trägt zur Thermoregulation bei, da es ein schlechterer Wärmeleiter als andere Gewebearten ist und damit auch isoliert. Bei Wildpferden und auch bei naturnah gehaltenen Pferden kann beobachtet werden, dass diese großen Gewichtsschwankungen im Jahresverlauf aufweisen. Zur kalten Jahreszeit haben sie sich eine Isolierschicht an Körperfett zugelegt, dazu haben sie vor dem Winter bis zu 20 Prozent an Körpermasse dazugewonnen. Diese dient neben dem Isolieren auch dem Erwärmen des Körpers, indem aus der Fettschicht Energie gezogen wird.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Aufnahme von Heu. Wie erwähnt erzeugt der Stoffwechsel Wärme im Pferdekörper. Besonders die Verdauung der langen Fasern des Heus erwärmt das Pferd von innen. Deshalb haben Pferde, wenn es kalt ist, einen erhöhten Futterbedarf. Wenn die Temperatur um ein Grad sinkt, dann werden 0,2 bis 2,5 Prozent mehr Energie benötigt, um die Körpertemperatur aufrecht zu erhalten.
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Was passiert, wenn mein Pferd eingedeckt wird?
Wenn das Pferd im Winter eingedeckt wird, dann kann die Thermoregulation nicht mehr funktionieren. Das Pferd wird versuchen, die Bereiche, die nicht unter der Decke sind (Hals, Bauch, Kopf, Beine) zu erwärmen. Dabei wird der restliche Körper jedoch überhitzt, weil das Pferd die Regulationsmechanismen nicht nur an einzelnen Stellen anwenden kann. Dadurch schwitzt das Pferd unter der Decke, das Fell verklebt und die Haarbalgmuskeln können nicht mehr gut arbeiten. Wie jeder Muskel müssen sie aber trainiert werden, um zu funktionieren. Beim eingedeckten Pferd werden sie atrophieren.
Der Talg, der die Imprägnierschicht bildet, wird ohne Decke optimal verteilt, indem das Pferd sich regelmäßig wälzt. Dabei werden auch überschüssige Talgablagerungen entfernt. Mit Decke funktioniert auch das nicht. Einerseits kann die Imprägnierung ohne das Wälzen bzw. beim Wälzen mit Decke nicht optimal aufgebaut werden. Andererseits kann überschüssiger Talg nicht entfernt werden, woraus leicht ein Juckreiz resultiert. Unter der Decke kommt außerdem wenig Luft an die Haut, sodass Hautschäden und -krankheiten begünstigt werden.
Die Thermoregulation funktioniert also mit Decke nicht und wird durch das mangelnde Training der Haarbalgmuskeln und die unzureichende Imprägnierung auch nicht mehr funktionieren, wenn die Decke abgenommen wird. Wird das Pferd jetzt der Kälte ausgesetzt, fällt die Kerntemperatur des Körpers leichter ab, wodurch Stoffwechselprozesse nicht mehr richtig funktionieren können. In der Folge werden unter anderem auch weiße Blutkörperchen und Antikörper in geringerem Umfang produziert und sind weniger beweglich und funktionsfähig. Im Ergebnis ist das Pferd gestresst und sein Immunsystem geschwächt, wodurch Krankheiten leichter entstehen können.
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Was schließe ich daraus?
Das Pferd sollte nicht eingedeckt werden. Es braucht die Umweltreize. Frische Luft und natürliche Temperaturschwankungen sind notwendig, um die Thermoregulation zu „trainieren“ und aufrecht zu erhalten sowie um Haut, Stoffwechsel und Immunsystem gesund zu erhalten.
Auch ein regelmäßiges, intensives Bürsten entfernt die Talgschicht: Das Fell ist nicht mehr wasserabweisend. Deshalb sollte nur grober Dreck gelegentlich entfernt und verklebtes Fell gebürstet werden, damit das Pferd sein Fell aufstellen kann. (Im Optimalfall – wenn das Pferd Freunde zur Fellpflege und unterschiedliche Untergründe zum Wälzen hat – ist nicht mal dies notwendig.)
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Was ist, wenn mein Pferd durch das Winterfell bei unseren gemeinsamen Aktivitäten schwitzt?
Oft werden Pferde früh eingedeckt, um dadurch weniger Winterfell zu entwickeln. Oder sie werden geschoren und dann eingedeckt, damit sie im Winter nicht so stark schwitzen, wenn sie bewegt werden. Dass dieses Vorgehen die Thermoregulation unmöglich macht und die übrigen negativen Folgen (Schädigung von Haut, Stoffwechsel, Immunsystem) hat, ist bereits deutlich geworden.
Außerdem möchte ich hierzu anmerken, dass verschiedene Studien gezeigt haben, dass Wildpferde und halbwild lebende Pferde im Winter ihre Bewegungsaktivität einschränken. Dadurch reduziert sich der Energieverbrauch. Dieses Verhalten ist auch bei domestizierten Pferden zu beobachten. Weniger Bewegung im Winter ist also etwas völlig Natürliches für das Pferd und ein ‚schweißtreibendes Training’ scheint zu dieser Jahreszeit nicht angemessen (meiner Meinung nach zu keiner Jahreszeit).
Ich mache mit meinem Pferd auch im Winter oft lange Wanderungen. Dabei kommt es vor, dass die Tage milder sind, dass mein Pferd trotzdem Lust hat zu rennen und gleichzeitig viele Steigungen auf unserer Route liegen. Mein Pferd ist dann manchmal an Brust und Hals sowie zwischen den Hinterbeinen geschwitzt. Hin und wieder kommt es auch vor, dass die ganze Herde richtig wild ist und tobt und die Pferde danach einfach nass sind. Wenn ich aus Angst davor, dass das Pferd jetzt auskühlt, eine Abschwitzdecke oder ähnliches einsetzen würde, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass das Pferd darunter noch stärker nachschwitzt. Ich gehe in solchen Situationen lediglich sicher, dass Puls und Atmung des Pferdes wieder im Normalbereich liegen und lasse sie dann von alleine trocknen. Die Pferde haben die Möglichkeit, sich zu wälzen, sich windgeschützt hinzustellen, sich dorthin zu stellen, wo mehr Wind ist (der sie trockenpustet) oder in den Stall zu gehen. Sie wissen eigentlich selbst am besten, wie sie wieder trocken werden. Meistens, wenn es nicht überall total matschig ist, wälzen sie sich auf der Weide und trocknen dann schnell von alleine. Wenn es sehr nass ist, wälzen sie sich auch manchmal im Sand, wo keine Pfützen sind. Bisher fahre ich damit sehr gut.
Wichtig ist, dass dein Pferd immer Heu zur Verfügung hat, da dies ja „von innen wärmt“.
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Wenn dein Pferd sehr nass ist und sich immer stark an seine Herde anpasst, solltest du bei starkem Regen oder Sturm beobachten, ob es wind- und regengeschützt stehen kann oder der Herde folgen „muss“ obwohl es eigentlich lieber geschützt stünde. Wenn Pferde wirklich frieren, wird sich das durch Zittern bemerkbar machen. Wenn dein Pferd nass ist und die Haut sich auch kalt anfühlt und es zittert, kannst du es kurzfristig für ein paar Stunden eindecken, bis es sich wieder aufgewärmt hat. Dies kann auch im Krankheitsfall oder bei sehr alten, geschwächten Pferde, die für den Winter keine Fettreserven mehr aufbauen können, sinnvoll sein.
Allgemein gilt für gesunde Pferde: Nein, dein Pferd braucht keine Decke, vielmehr schadet das Eindecken deinem Pferd.
!!! UPDATE 2021!!!
Ich hatte ja schon im letzten Absatz geschrieben, dass es Situationen gibt, in denen auch mir eine Decke sinnvoll erscheint. Und auch ich entwickele mich weiter und lerne dazu. Gerade heute noch habe ich einer Kundin dazu geraten, ihr Pferd versuchsweise einzudecken, wenn es regnet. Und auch ich decke inzwischen Falina gelegentlich ein. Immer wenn mehrere Stunden oder länger richtiger Dauerregen herrscht und es dazu kühl ist oder windig. Denn sie verspannt sich sonst sehr stark im Rücken. Tatsächlich bin ich bei ihr der Meinung, dass dies Teil eines ganzheitlichen Problems ist. Und dass sie keine Decke bräuchte, wenn sie wirklich top fit wäre. Aber mir ist insgesamt klarer geworden, wie stark sich viele unserer Hauspferde von Wildpferden unterscheiden. Also: Ja, in einigen Fällen kann eine Decke ein sehr nützliches Hilfsmittel für das Wohlergehen und Wohlbefinden des Pferdes sein!
Bitte denkt dabei daran, dass eine Decke die Haare am Aufstellen hindern kann, sodass auch bei Winterfell eine gefütterte Decke notwendig sein kann, wenn es sehr kalt ist. Und dass die Decke regelmäßig ab ist, sodass etwas Luft ans Pferd kommt. Schaut immer individuell auf euer Pferd, ihr kennt es selbst am besten.
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Quellen
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