10/04/2021
Schreien macht krank
Ich erzähle Euch mal eine fiktive Situation, wie sie aber trotzdem oft in Reitställen vorzufinden ist:
Es ist Wochenende, die Herde steht wie jeden Tag friedlich auf dem Winterpaddock. Hier ein kleines Grüppchen, dort ein Einzelgänger. Das Paddock ist groß genug, um sich aus dem Weg zu gehen aber auch so klein, dass jedes Pferd alles mitbekommt. Grundsätzlich ist die Gruppe aber nett zueinander und nur hier und da gehen mal die Ohren zurück.
Nun kommt (ich nenne sie mal Petra) Petra in den Stall gefahren und man merkt ihr schon an der Haltung an, sie hatte eine schwere Arbeitswoche. In der Stallgasse entfleucht ihr schon ein Seufzer, gerne auch 2 oder 3. Es wird sich das Halfter geschnappt und wartet durch den Matsch zum Pferd. Es ist ungemütlich draußen und kalt. Das Pferd wird gerufen aber es reagiert nicht evtl. dreht es sich sogar weg. Das Rufen wird immer aggressiver, die Körperbewegungen sollen dem Wort Nachdruck verleihen und was passiert.... genau bei ihrem Pferd wahrscheinlich nichts. Nur sollte man mal jetzt den Rest der Herde beobachten, einige hören auf zu fressen und beobachten die Situation. Andere drehen sich in die Richtung von Petra. Alle Pferde wurden in ihrem Handeln unterbrochen und versuchen jetzt einzuschätzen,
wird das eine gefährliche Situation für mich
muss ich gleich fliehen
Petra bekommt von alledem nichts mit, denkt eher noch „Schau mal, die anderen reagieren auf mich“.
Sie nimmt nun das Pferd, zieht es hinter sich her und knallt dann noch vor Wut das Tor zu und denkt dabei „Dieser sture Gaul“.
Das Pferd wird geputzt, gesattelt und es geht ab in die Halle. Dort sind bereits 2 Reiter, die mit ihren Pferden arbeiten. Jeder so wie er mag J Petra denkt sich „Oh nee, die ist auch am reiten. Die mit ihrem Blümchentraining“
Egal, dass Pferd wird an die Aufstiegshilfe gestellt und Petra will aufsteigen. Das Pferd bleibt bei diesen ganzen Emotionen nicht still stehen und kaum sitzt Petra drauf läuft es auch schon los. Erneut wird Petra Laut und schreit „Lass das, Du sollst doch stehenbleiben“. Ihr Pferd trottet weiter, nur die anderen beiden Pferde spitzen die Ohren „Was ist da los“ Nun geht es ans aufwärmen, das Pferd trottet im Schritt einfach durch die Halle. Petra checkt noch schnell mal ein paar WhatsApp oder schickt jemanden die Info, „Mein Pferd ist heute auch mal wieder vollkommen nervig“.
Dann geht es los, Runde um Runde durch die Halle. mal hier und da mit einen Zirkel etc. Die abgefragten Lektionen funktionieren nicht wie erwünscht. Es wird gezogen und gezerrt, verbal geschrien und gemeckert. Das Pferd wirkt völlig abgestumpft und erträgt es augenscheinlich.
Die anderen beiden Pferde kommen mit der Situation nicht unbedingt klar. Die dort mitreitenden Emotionen können sie nicht ganz abblocken. Reagieren auf einen Wutanfall und möchten einfach nur noch flüchten. Beide Reiterinnen entscheiden, okay wir hören hier auf. Das tut weder meinem Pferd, noch mir gut und verlassen die Halle.
Petra denkt sich „Die haben ihre Pferde aber auch nicht im Griff, da muss mal jemand mit klaren Ansagen ran“ Währenddessen erkennt Petra natürlich nicht, dass Ihr Pferd gerade leidet und sich aufgibt.
Die Reiteinheit ist vorbei, das Pferd wird abgesattelt und in die Box gestellt. Mittlerweile sind alle Pferde drinnen und fressen. Beim absatteln steht das Pferd nicht wirklich still und es erfolgt der nächste verbale Angriff. Die Pferde in der Stallgasse schauen auf, unterbrechen ihr fressen und checken erst einmal ob es eine gefährliche Situation werden könnte.
Zwischen all diesen beschriebenen Emotionen gibt es aber noch was Besonderes, etwas was den Menschen von den Pferden unterscheidet. Zwischen all der negativen Energie erzählt Petra einer Neueinstellerin ganz stolz „Er ist mein absolutes Seelenpferd, ich liebe ihn über alles“. Da teilt man sich die Wurzel Mund zu Mund als Liebesbeweis und ist den Tränen nahe wenn das Pferd eine erneute Kolik hat.
Ich kürze nun ab, Petra verlässt beschwingt den Stall. Hat ja doch irgendwie alles gut geklappt und wenn ich ihm sage wo es lang geht klappt es ja auch. Ihr Pferd ist aber mal wieder völlig gestresst L
Wer denkt hier ist Schluss, nee nee .....
Die Besitzerin vom Nachbarpferd (ich nenne sie mal Emma) kommt mit guter Laune und einem breiten Lächeln in den Stall. Endlich Wochenende und freut sich auf die Zeit mit ihrem Pferd. Sie begrüßt ihre Stute freudig, beide haben da ein Ritual. Emma putzt ihr Pferd und merkt, es reagiert auf Berührungen im Bauch. Sie überlegt sich was los ist und nimmt das Pferd erst einmal an die Longe. Die Stute zeigt Schmerzsymptome, läuft klemmig und schlägt mit dem Schweif. Sie denkt sich, ich rufe lieber den Tierarzt. Tierarzt kommt und vermutet Magenprobleme, er gibt Emma erst mal Medikamente und sagt: „Wenn die anschlagen, wissen wir was los ist“. Emma ist traurig und besorgt, versteht nur nicht woher das Pferd es hat.
Das Nachbarpferd von der Petra kämpft ja laufend mit Magenproblemen, Koliken, Husten etc. was aus ihrer Sicht sogar verständlich ist aber sie selbst ist doch nicht so zu ihrem Pferd.
Sie versucht eine Erklärung zu finden, der Stallbetreiber versteht es auch nicht und der Tierarzt meint nur „Sie müsste was an der Haltung ändern“.
Emma sucht nach Antworten und stolpert über eine Studie aus Frankreich und es erklärt sich so vieles für sie (Link zu einem Bericht findet Ihr am Ende) aber es tut sich ein weiteres Problem auf, Petra wird das alles als Blödsinn abtun.
Letztendlich macht das Verhalten von Petra nicht nur ihr eigenes Pferd krank, sondern belastet auch alle anderen Pferde mit. Leider ist so ein Reitstall ja immer nur ein zusammengewürfelter Haufen von Reitern, die normalerweise wahrscheinlich nie miteinander was zu tun hätten. Hier aber in einer Zwangsgemeinschaft leben mit vielen unterschiedlichen Interessen.
So oft wird sich bei einer Herdenzusammenführung Gedanken gemacht, hoffentlich klappt es gut und es gibt kein Stress in der Herde. Ein guter Stallbetreiber hat schon im Vorfelde viel geklärt und schätzt einen Neuzugang oft gut ein. Pferde nehmen viel bereitwilliger andere in ihre Gruppe auf, egal ob dick oder dünn, groß oder klein, hell oder dunkel, ob geritten oder nicht, ob Western oder Dressage....
Nur die Herde Mensch versagt da gerne auf voller Linie. Es sprüht an allen Enden und Ecken Emotionen und nicht nur so, wie oben im Beispiel.
Ich kann nur jeden Stallbetreiber empfehlen, sich den Reiter genau anzuschauen. Klar, man kann keinen hinter die Stirn schauen aber ein bis’chen Menschenkenntnisse täten da schon gut.
Übrigens, meine Geschichte nimmt für die Stute ein gutes Ende aber nicht für Petras Pferd. Da ja immer was mit dem Pferd war und es ja nur am Stall und der Herde liegen konnte, suchte Petra sich einen neuen Stall.
Gefällt euch mein Beitrag freue ich mich sehr wenn ihr meine Seite mit „gefällt mir“ markiert und mir folgt.
https://www.propferd.at/main.asp?VID=1&kat1=87&kat2=644&NID=7165
https://www.stefanie-raspel.com/blog/schreien-macht-krank