25/12/2024
Statt der immer gleichen Weihnachtswünsche lieber gleich noch ein neuer und thematisch passender Blogartikel. Schöne Weihnachten!
Notdienst an Weihnachten und Silvester: Ein Destillat aus 35 Jahren Praxis
Von Ralph Rückert, Tierarzt
Notdienste an Weihnachten und Silvester sind immer was Besonderes, zum einen, weil sie meist sehr turbulent sind, zum anderen, weil man an diesen Feiertagen häufig mit ganz speziellen und typischen Fällen konfrontiert wird. Sowohl an Weihnachten als auch zum Jahreswechsel sind viele Menschen sehr auf die Vorbereitungen für diese Festtage konzentriert und widmen ihren Haustieren entsprechend weniger Aufmerksamkeit. Außerdem bringen Weihnachten und Silvester ganz spezifische Gefahren für unsere Haustiere mit sich, die man auf dem Schirm haben sollte.
Der verschleppte Fall:
Laika war eine 10jährige, intakte (nicht kastrierte) und bei Vorstellung in der Praxis am ersten Weihnachtsfeiertag 18 kg schwere Wolfsspitz-Hündin. Das Besitzer-Ehepaar gab unumwunden zu, dass es Laika wahrscheinlich schon seit Tagen nicht besonders gut gegangen wäre, sie das aber nicht so ganz umrissen hatten, weil sie voll und ganz auf die Vorbereitungen einer großen Familien-Weihnacht konzentriert waren. Am Heiligen Abend dann wurde ihnen bewusst, dass Laika träge, zurückgezogen und appetitlos war, ständig große Mengen Wasser aufnahm und entsprechend oft raus in den Garten wollte. Man hatte aber große Hemmungen, am Heiligen Abend einen Notdienst in Anspruch zu nehmen und hat das auf den nächsten Tag verlegt.
Die Schilderung der Symptome durch die Besitzer, die Untersuchung, die Blutwerte und ein Bauch-Ultraschall ergaben die Diagnose einer weit fortgeschrittenen, geschlossenen Pyometra, also einer Eiterstaugebärmutter. Die Sache duldete keinen Aufschub und wurde sofort operiert und stellte sich als die (in Relation zur Körpergröße) massivste Pyometra heraus, die wir je zu entfernen hatten, mit mehr als drei Litern Eiter in der Gebärmutter, deren Wände stellenweise schon so dünn waren, dass man sie kaum noch anfassen konnte, ohne sie zum Platzen zu bringen.
Das Ganze ging am Ende gut aus, soll aber als gutes Beispiel für die Art von verschleppten Fällen stehen, die man speziell an den Feiertagen häufig vorgestellt bekommt. Es ist uns natürlich klar, dass Weihnachten oder der Jahreswechsel eine große Sache sein können, gerade wenn sich die Großfamilie oder viele Gäste angesagt haben. Durch den ganzen Wirbel kann selbst das Verhalten gesunder Tiere verändert sein, was die Erkennung einer Erkrankung manchmal weiter erschweren mag. Bleiben Sie also auch im Festtagstrubel aufmerksam, damit es nicht zu unnötig langem Leiden und gefährlichem Zeitverzug kommt.
Das Christbaum-Desaster:
Das Christbaum-Desaster hat – wie man sich denken kann - viele Gesichter. Einige davon, wenn also zum Beispiel die Katzen oder der Hund den Baum umschmeißen oder verwüsten, sind kein tiermedizinisches Thema. Andere, wie zum Beispiel Schnittwunden durch zerbrochene Glaskugeln, angesengte Schwänze und Schnurrhaare durch Kerzen, Rauchvergiftungen nach Wohnungsbrand und Stromschläge durch zerbissene Kabel sind es sehr wohl. Weihnachtsbäume und Haustiere, das ist – ob nun echter oder künstlicher Baum, echte Kerzen oder LEDs, Glaskugeln oder welche aus Plastik – ein schwieriges Thema, das für jedes Tier individuell und jedes Jahr aufs Neue bewertet werden muss. Speziell Katzen können selbst nach Jahren völlig neutralen Verhaltens plötzlich auf die Idee kommen, dass sie jetzt doch mal das angebotene Kletter- und Spielgerät ausgiebig nützen möchten.
Die Lametta-Katze:
Ein Klassiker und eine wichtige Unterkategorie des Weihnachtsbaum-Desasters! Heiligabend, der Baum ist schon geschmückt, man hat etwas vergessen und muss nochmal schnell in den Supermarkt. Bei der Rückkehr bemerkt man, dass sich Kitty am lamettaverzierten Weihnachtsbaum zu schaffen gemacht hat und muss ihn wieder herrichten. Abends verweigert die Katze das Futter, was man auf die ungewöhnlichen Umstände schiebt. Nach dem langen Ausschlafen am ersten Weihnachtsfeiertag stellt man fest, dass die ganze Bude verkotzt ist und Kitty sich offenbar gar nicht wohl fühlt. Klare Sache: Ein Darmverschluss bzw. sogenannter fadenförmiger Fremdkörper durch oral aufgenommenes Lametta! Wenn das früh genug bemerkt wird, lässt sich der Zustand durch eine schnelle Operation beheben. Wartet man zu lang, kann es leider zur Darmperforation kommen, mit einer dann leider recht hohen Wahrscheinlichkeit für einen tödlichen Ausgang. Lametta und Katzen – das geht in den Augen eines Tierarztes eigentlich nicht wirklich zusammen. Das glitzrige, raschlige und sich eventuell im Luftstrom leicht bewegende Zeug ist eine einzige Spielherausforderung für jede halbwegs motivierte Katze.
Der Hund mit „Weihnachtsvergiftung“:
Kerzenlicht, feines Essen, gute Gesellschaft, beste Stimmung, Alkohol, verringerte Achtsamkeit selbst der Erwachsenen und Kinder im Grenzbereich zwischen Hysterie und Wahnsinn: Im typischen weihnachtlichen Umfeld können drei für den Hund gefährliche, aber sehr attraktive Substanzen leicht in seine Reichweite geraten: Schokolade mit dem darin enthaltenen Theobromin, Macadamia-Nüsse und Gebäck (speziell Stollen) mit vielen Rosinen. Wird die Aufnahme von Schokolade, von Macadamias oder von Gebäck mit vielen Rosinen direkt beobachtet oder bemerkt, sollten Sie sich sofort darum kümmern. Bei Schokolade können sie erst mal einen der im Netz gut auffindbaren Schokoladerechner bemühen, damit sie nicht wegen zwei Stückchen Vollmilchschokolade, die ein 45-kg-Labrador geklaut hat, dem Notdienst oder einer Klinik auf die Nerven gehen. Bei definitiver Aufnahme von kritischen Mengen an Schokolade, von Macadamia-Nüssen und von Rosinen sollte der Hund so schnell wie möglich zum Erbrechen gebracht werden. Das duldet keinen Aufschub! Ist der Diebstahl nicht bemerkt worden, werden Sie im Fall von Schokolade und Macadamia-Nüssen durch die dann auftretenden und in der Regel sehr auffälligen Symptome allemal zum Aufsuchen des Notdienstes veranlasst. Das von Rosinen bei den dafür anfälligen Hunden ausgelöste akute Nierenversagen wird sich in der Regel innerhalb von 24 Stunden durch ein erstes Erbrechen bemerkbar machen. Spätestens, wenn im Erbrochenen aufgeweichte Rosinen festgestellt werden, sollten die Alarmglocken läuten. Bei allem Verständnis für den Ausnahmezustand Weihnachten: Versuchen Sie wirklich, die genannten Gefahrenquellen zu eliminieren. Das alles klingt ja reichlich banal und leicht vermeidbar. Trotzdem werden solche Fälle mit schöner Regelmäßigkeit jedes Jahr im Notdienst vorgestellt.
Overeating beim Hund
„Oh, by gosh, by jingle
It's time for carols and Kris Kringle
Overeating, merry greetings
From relatives you don't know.”
(Frank Sinatra, “Mistletoe And Holly”)
Für viele Menschen geht gerade an Weihnachten Liebe durch den Magen. Viele Hunde und manche Katzen bekommen zu den Feiertagen Nahrungsmittel, mit denen sie sonst das ganze Jahr über keinen Kontakt haben. Manche kaufen ihrem Hund so einen vakuumierten Schinkenknochen zweifelhafter Herkunft aus dem Zoohandel, manche ein Stück Fleisch. Andere geben leckere Essensreste wie zum Beispiel extrem fette Gans von der Festtafel. Dementsprechend bekommt man im Feiertagsnotdienst recht häufig Tiere vorgestellt, die unter akuten Problemen des Verdauungstrakts leiden, von Knochenkotverstopfung bis hin zu Brechdurchfällen. Man kann dazu eigentlich nur sagen, dass in solchen Fällen nicht Liebe durch den Magen geht, sondern reine Vermenschlichung. Klar, der Hund findet es hochprima, wenn er sowas bekommt. Geht der Schuss aber dann nach hinten los und endet im Feiertagsnotdienst, war es halt ein Ende mit Schaden. Lassen Sie es lieber, wenn sie keinen Hund mit nachweislichem Saumagen haben, der alles verträgt.
Der Silvesterpaniker
Eigentlich haben wir das Thema ja schon in meinem traditionellen Silvesterartikel abgefrühstückt. Es ist trotzdem verblüffend, wie viele Leute auf den allerletzten Drücker im Notdienst aufschlagen oder anrufen, weil Ihnen am Nachmittag des 31. Dezembers einfällt, dass ihr Hund am letzten Jahreswechsel vor Stress beinahe aus dem Fenster gesprungen ist. Was auch immer dann von einem als Tierarzt erwartet wird: Das ist NICHT die korrekte und angemessene Vorgehensweise von verantwortungsvollen Tierhalter:innen! Und im Rahmen eines sowieso schon stressigen Notdienstes nervt das ohne Ende! Kümmern Sie sich doch bitte ein paar Wochen früher um das fest im Kalender markierte Problem!
Der Böllerapportierer
Der Böllerapportierer ist das genaue Gegenteil des Silvesterpanikers. Er ist gegenüber Feuerwerkskörpern derartig respektlos, dass er sie – wenn sie angezündet und weg geworfen werden – verfolgt, sie ins Maul nimmt und zu apportieren versucht. Im Sinne des gesunden Menschenverstandes sollte das eigentlich nicht erwähnt werden müssen, da aber solche Fälle mit Verletzungen im Gesichts- und Maulbereich im Notdienst tatsächlich gelegentlich versorgt werden müssen: Mit so einem Hund kann man an Silvester um Mitternacht natürlich nur angeleint rausgehen!
Schöne Weihnachten, einen guten Rutsch, bleiben Sie mir gewogen, Ihr
Ralph Rückert
© Ralph Rückert
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