30/06/2024
Besuch von Heidi
Wir hatten Besuch von Heidi, einer vierjährigen Schäferhündin. Heidi ist ein klassischer Corona-Hund. In der wichtigen Prägephase waren alle Hundeschulen geschlossen und durch den Lockdown war es auch kaum möglich den Hund an Alltagsreize heranzuführen.
Heidi ist nun in zweiter Hand. Zuhause der bravste Hund, sei sie draußen kaum zu bändigen. Der Anblick eines Menschen genüge schon, damit sie in Rage gerät. Hundebegegnungen seien Horror. Heidi hat in ihrer Unsicherheit nur eine Idee – nach vorn zu gehen und zu schnappen.
In der Regel führe ich keine Kundenhunde. Manchmal ist es aber notwendig, damit ich zum Einen den Hund selbst spüren kann, spüren kann, wie ernsthaft die Absicht zu verletzen ist, und zum Anderen, um den Kunden zu zeigen, dass der Hund es kann, dass nicht alles hoffnungslos ist.
Nachdem ich die Leine übernommen hatte, ließ sich Heidi schnell ordentlich an der Leine führen. Führen heißt hier, ich gehe meinen Weg und der Hund kommt mit. Vorher gab es allerdings noch eine kurze Attacke gegen mich, die ich dank Maulkorb aber wirkungslos verpuffen lassen konnte.
Im Weiteren ging es mir um das Anfassen. Hier zeigte Heidi anfangs wenig Begeisterung. Tendenziell wich sie bei den Berührungsversuchen aber schon eher aus und schnappte kaum mehr. Mit etwas Geduld war es dann aber auch möglich Heidi in die Seitstellung zu nehmen und ruhig auszustreichen. Bei jeder Art des Festhaltens erfährt der Hund eine Begrenzung der Ressource Raum. Allein das genügt oftmals schon, damit der Hund auslöst und angreift. Heidi hingegen hat die Raumbegrenzung zugunsten der sozialen Zuwendung, Ruhe und Sicherheit gut angenommen. Auch ein ruhiges Ausstreichen im Seitliegen war kurz darauf möglich und sie konnte dadurch spürbar herunterfahren.
Als nun mein Rüde Arando auf den Platz geführt wurde, war es kurzzeitig mit der Ruhe wieder vorbei. Es zeigte sich aber auch hier, dass ein ruhiges und unaufgeregtes Führen Heidi half, auch mit dieser Situation zurechtzukommen. Ein Wechsel von Heidi zu Arando sollte ihr zeigen, dass Arando gelassen mit der Situation umgehen kann und keine Bedrohung für sie darstellt. Als Arando sich den Streicheleinheiten im Seitliegen hingab, konnte Heidi sich schon ruhig ablegen.
Kurz darauf konnte ich bereits mit beiden Hunden zusammen gehen. Ich war in der Mitte noch das trennende Element. Als ich dann die Leinen fallen ließ und Arando sich ihr neugierig, aber unaufdringlich zuwandte, hat Heidi noch ein, zweimal kurz nach ihm geschnappt, als es ihr zu eng wurde. Dank Maulkorb war das kein Problem und Arando blieb auch unbeeindruckt. Auch er begrenzte das Mädchen dann im Raum, sperrte sie, wandte dabei aber den Kopf zur Seite, um zu deeskalieren. So war auch das „Hundeproblem“ zumindest in diesem Kontext erst einmal erledigt.
Da der Hundeplatz keinen Alltagsraum darstellt, ging es gegen Ende noch einmal hinaus in die Wohnsiedlung. Auch hier ließ sich Heidi nun ruhig an lockerer Leine führen. Korrekturen waren kaum nötig und wenn, nahm sie diese gut an. Auch von ihrem Besitzer ließ sie sich nun ruhig führen.
Es folgte anschließend ein erklärendes Gespräch mit den Besitzern im Büro. Ziel der ganzen Einheit war es zu zeigen, dass Heidi „es“ kann. Sie benötigt dabei aber Hilfe und vor allem Sicherheit. Diese Sicherheit muss von ihrem Menschen kommen. Anders als die Besitzer kann ich mich bei einer solchen Trainingseinheit ganz unbefangen auf den Hund einlassen. Ich muss nicht im Kopf haben, was gestern oder letzte Woche passiert ist.
Es gibt Hunde, denen fehlt aus irgendeinem Grund der Spam-Filter im Kopf. Diese Hunde haben häufig keine gute Prägung auf Umweltreize erfahren (Corona-Hund) und/oder haben einfach generell ein sehr dünnes Nervenkostüm. Dies findet man z.B. immer wieder bei den verschiedensten Schäferhunden vom Mali über den Deutschen Schäferhund bis hin zu den weißen Schweizern, aber auch bei verschiedenen Hütehundrassen.
Diesen Hunden ist es nicht möglich in normalem Spaziergeh-Tempo die auf sie einströmenden Umweltreize zu verarbeiten. Für uns sind die Kirchturmglocken ebenso belanglos, wie die Hupe in der Ferne und der kleine Spatz am Wegesrand. Für diese Hunde ist dies aber nicht alles gleichzeitig zu verarbeiten und die Aufregung steigt immer weiter. In der Folge wird der Spaziergang zunehmend zum Stress für den Hund und damit dann auch für seinen Menschen.
Nun sind die Blicke, die man erntet, wenn man einen schreienden, eskalierenden Schäferhund an der Leine hat, nicht die nettesten. In der Folge meidet man die kritischen Situationen und sucht sich einsame Wege und geht zu den unmöglichsten Zeiten mit seinem Hund.
Der Weg sollte aber genau der Umgekehrte sein. Diese Hunde brauchen eine stete Gewöhnung an die Umwelt. Diese aber in kleinsten Häppchen mit unzähligen Wiederholungen. Beim Gehen nehme ich Tempo raus, wenn ich sehe, dass mein Hund nervös von links nach rechts schaut und kurz darauf beginnt zu kreisen. Stehen bleiben ist nun angesagt. Dem Hund Zeit geben. Durch seine Körpersprache sagt er uns schon, wenn er so weit ist, um weiter zu gegen. Wichtig sind auch gut eingeübte Rituale, die dem Hund helfen aus einer Stress-Situation wieder herauszukommen.
Mit meinem Arando habe ich einen souveränen Hund, der mir im Training oft hilft. Mit unserer Sheila habe ich dagegen auch einen Hund mit dünnen Nerven. Damit war es möglich, mit Heidis Besitzern noch eine Runde zu drehen und zu zeigen, was ich mit der Theorie, die im Büro besprochen wurde, gemeint habe. Sheila ist Heidi in Sachen dünne Nerven sehr ähnlich und so konnte ich zeigen, wie sich ein Stehenbleiben auswirkt. Auf die Frage von Heidi-Frauchen was denn nun passieren würde, wenn Sheila eine Katze sehen würde, kam wie bestellt kurz darauf eine Katze über die Straße geflitzt. Natürlich hat Sheila ausgelöst, entscheidend ist aber, dass sie durch eines unserer Rituale ganz schnell wieder runterkam und wir ruhig weitergehen konnten. Hier zeigte sich einmal mehr, dass die unzähligen kleinen und kleinsten Häppchen zur Umweltgewöhnung bei Sheila bereits Früchte tragen.
So wurde aus der rund zweistündigen Einheit am Ende eine Runde Sache und wir freuen uns darauf Heidi in Kürze wiederzusehen. Heidi hat Glück, dass sie engagierte und reflektierte Menschen hat, die bereit sind, auf sie einzugehen.