24/01/2020
Wie oft versuche auch ich, der Ursache für Rückenbeschwerden gemeinsam mit meinen Pferdebesitzern und natürlich Reitern auf die Spur zu kommen.
Der wirklich korrekt angepasste Sattel ist eine Grundvoraussetzung, Losgelassenheit für das Pferd in der täglichen Arbeit überhaupt möglich zu machen. Und das können wir (leider) nicht immer einfach einem Sattelverkäufer überlassen.
Dieser Beitrag von Julie von Bismarck - Equine Expertise leistet auch mit seinen Illustrationen einen weiteren wertvollen Beitrag zum Verständnis. Denn Wissen und Weiterbildung sind wir unseren Pferden schuldig. Danke dafür!
Reiten und Pferderücken Teil III – Die Sattellage
In Teil 3 meiner Serie zum Pferderücken wollen wir uns noch einmal mit der Wirbelsäule beschäftigen, genauer: mit der Sattellage.
Wie wir bereits aus Teil I wissen, beginnt die Brustwirbelsäule mit dem ersten Brustwirbel vor dem Schulterblatt und bildet dort den knöchernen Übergang zwischen Hals und Rumpf.
Der zweite Brustwirbel ist hinter dem Schulterblatt verborgen, die Brustwirbel 3-11 bilden mit ihren Dornfortsätzen den Widerrist und die Brustwirbel 12-18 die Sattellage.
Letzteres stellt eine ganz offensichtliche Herausforderung dar welche häufig schlicht missachtet wird und dann in der Folge zu erheblichen Schmerzen und Schäden im Pferd führt:
Sieben Wirbel für die Sattellage - das ist ein extrem kleiner Teil des Pferderückens.
Und je nachdem wie lang oder kurz der Widerrist des Pferdes ist kann der Platz sogar noch kleiner werden, denn wie wir in Teil I meiner Serie gelernt haben kann die Anzahl der Wirbel, die den Widerrist bilden, variieren.
Die begrenzte Auflagefläche - beginnend hinter dem Widerrist, endend vor dem ersten Lendenwirbel - ist einer der Gründe, warum es für so viele Reiter so schwierig zu sein scheint einen passenden Sattel zu finden. (In diesem Beitrag geht es ausschließlich um ENGLISCHE Sättel.)
Nicht nur zu enge, zu weite, drückende, schiefe, kurz: schlecht sitzende Sättel können dem Pferd Schaden zufügen, auch ein ansonsten gut passender, aber zu langer Sattel kann das Pferd in erheblichem Maße beschädigen - und darum soll es heute gehen.
Die Sattellage endet deshalb mit dem letzten Brustwirbel, weil die Lendenwirbel, im Unterschied zu den Brustwirbeln, seitliche Fortsätze ausbilden. Bekommen diese Druck weil der Sattel über den letzten (18.) Brustwirbel hinausreicht, führt das zu Blockierungen und in der Folge zu Entzündungen in den im Bereich der Läsion liegenden Rückenmuskeln, was wiederum zu Irritationen der zwischen den Wirbeln austretenden Spinalnerven führt.
Nicht, weil ein solcher Wirbel „ausgerenkt“ ist und auf den Nerv drückt, sondern weil eine Blockade immer mit einer erhöhten Anspannung der umliegenden Muskulatur einhergeht, diese dann auf die Nervenscheiden drückt und damit extreme Schmerzen, Fehlfunktionen und Entzündungen auslösen kann.
Häufig wird in solchen Fällen wieder und wieder in den Rücken gespritzt, die Ursache (also der zu lange Sattel) jedoch nicht behoben. „Ach, der passt schon – das Pferd läuft ja damit“ oder „der wurde gerade erst angepasst“ sind nur einige der erstaunlichen Aussagen mit denen Reiter auf die Erklärung reagieren, sie müssten sich einen für das Pferd passenden, kürzeren Sattel kaufen.
Ich kann gar nicht deutlich genug sagen, wie unverantwortlich das ist.
Welch heftige Schmerzen ein Pferd hat, das unter den Folgen eines zu langen Sattels leidet, lässt sich erahnen, wenn man einmal gesehen hat wie diese Pferde bei der leichtesten Berührung in dem Areal im Rücken stöhnend zusammensacken.
Anspritzen ist dann tatsächlich oft die einzige Lösung, um überhaupt wieder etwas Ruhe in die betroffenen Muskeln und Nerven zu bekommen – es bringt aber natürlich überhaupt nichts, wenn dann weiterhin mit dem Sattel geritten wird, der das Ganze ausgelöst hat.
Solche Blockierungen und Entzündungen in der Lendenwirbelsäule und Lendenmuskulatur sind – wie alles im Bereich des Pferderückens – nicht nur extrem schmerzhaft und führen zu „Widersetzlichkeit“, „Undurchlässigkeit“, Schwierigkeiten in den Seitengängen und schiefen Pferden, sie können auch Verdauungsstörungen, Koliken und Knieproblemen auslösen und: sie betreffen immer auch die Brustwirbelsäule.
Denn bei einer Blockierung des 1. Lendenwirbels blockiert sich über kurz oder lang auch der 18. Brustwirbel, man spricht dann von einer Blockade des thorakolumbalen Übergangs.
Vom 18. Brustwirbel aus blockieren sich dann in der Regel weitere Wirbel, sogenannte Serienblockaden, – bis hin zum 14. Brustwirbel.
Dies wiederum schränkt, ebenso wie die Blockaden des Widerrists, die Funktion des Nacken-Rücken Bandes ein und behindert ein Anheben des Bauches / Rückens. Das ist ja auch nur logisch, da, wie wir aus Teil I wissen, das Rückenband ab dem Widerrist an jedem einzelnen Dornfortsatz jeden Brustwirbels angeheftet ist.
Selbstverständlich ist ein Pferd mit diesen erheblichen Behinderungen seiner natürlichen Mechanik und den zusätzlichen extremen Schmerzen nicht losgelassen und durchlässig. Das Schlimme ist: es passiert immer wieder, dass ein derart leidendes Pferd dann stundenlang unter Hochdruck weiter „gearbeitet“ wird, um ihm die angestrebte „Losgelassenheit“ und "Durchlässigkeit" zu erreichen. Mit dem Reiter im Rücken und in eben dem Sattel, der die Schmerzen überhaupt erst ausgelöst hat und bei jedem Gebrauch noch einmal verschlimmert.
Das ist tierschutzrelevant.
Jeglicher Gebrauch unpassender Ausrüstung zu Lasten des Pferdes ist tierschutzrelevant, das wird jeder bestätigen können, der die Folgen einmal gesehen hat.
Und einen unpassenden, zu langen Sattel zu behalten, nur weil er für den Reiter so superbequem ist oder - auch das kommt leider vor - weil das eigene Gesäß nicht in einen für das Pferd geeigneten, kurzen Sattel passt, fällt genauso darunter.
Da gibt es keine Ausrede.
Das Schlimme ist: es gibt leider Sattler, die die Bedeutung der passenden Länge des Sattels zu Gunsten eines schnelles Verkaufes herunterspielen.
Ich habe während meiner Karriere etliche Pferde mit heftigsten Rückenproblemen vorgestellt bekommen, deren Besitzer gerade einen nagelneuen Sattel nach professioneller Beratung und „Anpassung“ durch den Sattler erstanden hatten – welcher dann bis auf den 2./3. Lendenwirbel hinausging und zusätzlich nicht selten auch noch nach hinten aus dem Schwerpunkt lag, also noch massiver in die Lendenmuskulatur und auf die Querfortsätze einwirkte.
Der Pferderücken ist auch ohne uns Reiter eine sehr sensible Struktur, deren Gesunderhaltung in ganz erheblichem Maße davon abhängt, dass die natürlichen Bewegungsabläufe uneingeschränkt funktionieren können. (Siehe auch Teil I und II)
Da zu lange, unpassende Sättel neben schlechter Reiterei einer der häufigsten Gründe für Schwierigkeiten im Pferderücken zu sein scheinen, möchte ich nochmals auf die Wichtigkeit der korrekten Auflagefläche hinweisen. Ein zu langer Sattel kann ein Pferd dauerhaft unreitbar machen und bis es so weit ist hat dieses Pferd unter schlimmsten Schmerzen gelitten. Das muss einfach jedem klar sein.
Es gibt einen einfachen Trick, mit dem Sie selber schauen können ob Ihr Sattel auf Ihrem Pferd innerhalb der Sattellage liegt:
Ertasten Sie den letzten Rippenbogen und fahren Sie mit den Fingern die Rippe nach oben (roter Pfeil im Bild). Dort wo Sie ankommen muss die Auflagefläche Ihres Sattels enden.
Wer mehr über Zusammenhänge, Reiten und Pferdeverstand lesen möchte, dem seien meine Bücher ans Herz gelegt:
Zu den Zusammenhängen: https://www.bod.de/buchshop/zusammenhaenge-im-pferd-julie-von-bismarck-9783982041414
Übungen für feineres Reiten: https://www.bod.de/buchshop/mit-dem-pferd-statt-auf-dem-pferd-julie-von-bismarck-9783982041490
Pferdeverstand: https://www.bod.de/buchshop/reitsport-julie-von-bismarck-9783982041438
Kinder- und Jugendbuch, Pferderoman: https://www.bod.de/buchshop/reeva-und-die-pferde-julie-von-bismarck-9783982041445
Viel Freude beim Lesen und ausprobieren!
Ihre, Julie von Bismarck