12/02/2021
Was verstehe ich einer chiropraktischen Ganzkörperbehandlung?
Im Vorgespräch mit den Patientenbesitzern zu einer chiropraktischen Behandlung kommt immer wieder die Frage „Was heißt bei Ihnen Ganzkörperbehandlung? - Frau/Herr Dr. X macht immer nur oben herum und ist nach 10 Minuten fertig. Dafür werden dann aber auch nur xx Euro berechnet. Warum kostet es bei Ihnen mehr?“.
Bei mir bedeutet eine Ganzkörperbehandlung auch wirklich, dass ich den ganzen Körper des Patienten durchtaste. Vom Kiefer bis zu den hinteren Fesselgelenken teste ich jedes Gelenk auf Funktion und Schmerzhaftigkeit. Dies braucht seine Zeit. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle.
Bei einer Erstbehandlung sollte man sich mehr Zeit nehmen als bei einer Nachbehandlung. Die ausführliche Anamnese eines neuen Patienten nimmt einige Zeit in Anspruch. Ich muss viele Infos, die ich vom Besitzer/Reiter und auch nonverbal vom Pferd bekomme, als Puzzle zusammen führen und mir ein Gesamtbild machen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Kennt das Pferd es, überall angefasst zu werden und toleriert es das? Nur wenn ich das Pferd überall anfassen kann, kann ich eine Ganzkörperbehandlung durchführen. Ist das Pferd schmerzhaft und wie sehr? Der Besitzer fasst sein Pferd in der Regel anders an als ich. Ich muss die schmerzhaften Bereiche anfassen „dürfen“ und dann genau dort behandeln. Das findet nicht jedes Pferd so toll und kann abwehrend reagieren (ausweichen, drohen, beißen oder sogar treten). Oft muss sich der Therapeut dann vorsichtig, auch über Umwege, an diese Bereiche herantasten. Ist das Pferd durch die ungewohnten Berührungen von einer fremden Person gestresst und dadurch verspannt, verstärkt sich die Abwehr meist noch. Das alles kann dann dazu führen, dass deutlich mehr Zeit benötigt wird. Manchmal muss eine Behandlung unterbrochen oder sogar abgebrochen werden. Wenn der Therapeut dann mit viel Kraft versucht, durch die verspannte Muskulatur die Blockaden der Gelenke zu lösen, kann er dem Pferd starke Schmerzen zufügen und auch Schäden anrichten. Manuelle Behandlungsmethoden mit einem Trust – das ist ein gezielter kurzer Stoß oder Impuls, der mit großer Beschleunigung in eine Gelenkverbindung gesetzt wird, um Blockaden zu lösen – sollen niemals mit Kraft ausgeführt werden! Bei einem guten Therapeuten sieht man so gut wie nichts. Ich werde sogar ab und an gefragt, ob ich überhaupt etwas mache, da man wohl von anderen Therapeuten eher die „Hauruck“-Methode à la „viel hilft viel“ kennt. Trotzdem ist diese feine Arbeit für den Therapeuten körperlich anstrengend. Er muss seine eigene Körperspannung und den richtigen Winkel zum Behandlungspunkt ganz gezielt nutzen, um die maximale Wirkung zu erzielen und um sich selber zu schützen. Denn jeder Trust geht ins Pferd und auch in den Therapeuten.
Kennt ein Pferd aber die chiropraktische Behandlung, ist es meistens deutlich einfacher. Oft entspannen die Pferde sichtlich, „zeigen“ wo es weh tut und helfen durch ihre eigene Körperspannung mit, die Blockaden zu lösen. Wenn ich das Pferd von vorangegangenen Behandlungen kenne und weiß, wo in der Regel die „Baustellen“ liegen, verkürzt sich auch die Behandlungsdauer. Trotzdem ist es wichtig, auch im Behandlungsverlauf das gesamte Pferd zu untersuchen. „Baustellen“ können sich ja auch an andere Bereiche verschieben oder es kommen neue hinzu. Der Therapeut darf nicht betriebsblind werden, nur weil er das Pferd schon mehrfach behandelt hat. Ansonsten werden schnell Befunde übersehen.
Noch ein wichtiger Punkt, warum ich immer den ganzen Körper behandle: Alles im Körper hängt irgendwie zusammen. Faszien, Muskeln, Sehnen, Bänder und Knochen bilden ein komplexes Konstrukt mit verschiedensten Zusammenhängen. Wenn also in der Hinterhand eine Blockade ist, kann sich diese zum Beispiel bis auf den Kiefer auswirken - und auch anders herum. Daher muss immer alles betrachtet werden. Wenn Probleme nur halb gelöst werden, ist dem Patienten nicht geholfen.
Es kann auch gut sein, dass durch das Lösen einer Blockade und der dazugehörigen Schonhaltung andere Befunde ans Licht kommen, die überlagert wurden. Daher kann es bald nach einer Behandlung zu anderen Auffälligkeiten kommen. Daher bitte ich den Besitzer einige Tage nach der Behandlung immer um Rückmeldung!