20/08/2023
Praxisbeispiel:
Hund mit Autoaggression (Selbstverstümmelung)
Eine Kundin mit zwei kleinen Hunden, die im Hundesportverein Agilitiy, Cavletti und Obedience ausbildet und leidenschaftliche Turnierteilnehmerin ist, machte bei mir einen Einzeltermin, da ihr 2-Jähriger Yorky-Pudel-Mix (aus dem Auslandstierschutz mit schlimmer Vergangenheit) Probleme bei Hundebegegnungen hat und sich in der Box im Auto wie wild im Kreis dreht. Des Weiteren ist er im Freilauf nicht abrufbar. So geht er seit einem dreiviertel Jahr, also seit er bei ihr ist, an der Leine, an der er ziemlich zieht.
Also viele Baustellen auf einmal.
Als ich der Kundin vor unserem Termin im Hundehotel im Hotelflur mit meiner lieben Bianca kurz über den Weg lief, hingen die beiden zarten Hunde an ihren Halksbändern fast wie an einem Galgen auf den Hinterpfoten an der Leine, die die Halterin hektisch nach oben zog. Die beiden Hunde kläfften wie verrückt und waren von ihr nicht zu beruhigen. Wie denn auch? Sie sehen einen Hund, haben damit ein Problem (Unsicherheit) und drohen in dem Moment zu ersticken, weil ihre Luftröhre mechanisch nach innen gedrückt wird. Zudem werden die Karotiden (Halsschlagadern) kompressiert, also das Gehirn minder durchblutet. In so einer Situation kann kein Lebewesen ruhig bleiben, da es davon ausgeht, dass es gleich stirbt. Ginge uns nicht anders.
Bei unserem Termin startete ich wie immer gleich, also mit dem lockeren Stehen und Entspannen des Halters, was so gut wie kein Hundehalter auf Anhieb beherrscht. (Vom Hund erwartet man das ja bizarrerweise). Das Halsband wurde gegen ein gutsitzendes Brustgeschirr mit Atemfreiheit eingetauscht, so dass der Hund, auch wenn er zieht (oder der Halter zieht, was genauso oft vorkommt), frei atmen kann.
Die Ruhe der Kundin (die sehr zur Verspannung neigte) ging schnell auf den kleinen Hund über, und das erste Mal konnte er beängstigenden Dinge in Ruhe ansehen und ohne Hektik verarbeiten. Nichts wurde korrigiert oder reglementiert. So schenkte er seinem Menschen einen Blickkontakt nach dem anderen, der dies mit einem leisen, freundlichen Feedback erwiderte. Kommunikation zwischen zwei Spezies.
Der Hund stellte fest, dass die Leine nach einem Meter plus der Armlänge des Menschen zu Ende ist, was eine neutrale Erfahrung ist. Er wurde nicht zurückgerissen, sondern er durfte ziehen. Wir sind so weg von unserem Körpergefühl und unserer Wahrnehmung, kommen unbewußt immer wieder ins Kämpfen, verlangen aber Gehorsam und Perfektion von unserem Hund, anstatt einfach innerlich loszulassen.
Das Gehen an der Leine klappte wunderbar und entspannt, und auch die Hundebegegnungen wurde dank der erlernten Ruhe der Hundehalterin immer unspektakulärer. Für Hund und Mensch. Denn wer einen Partner an seiner Seite hat, der schützen kann und Sicherheit vermitteln kann, dem gibt man sich hin, dem vertraut man.
Mit dieser Vorarbeit gingen wir an das Hauptproblem: Die Transportbox im Auto. Auf der Rampe lief das Hundchen immer erwartungsvoll rein, und in dem Moment wo die Tür zu ist, ging es los. Und ich konnte mich davon überzeugen. Er begann wie wild zu knurren und schreckliche Geräusche von sich zu geben, während er sich gleichzeitig immer und immer wieder in seine Schwanzwurzel biß, während er sich manisch blitzschnell im Kreis drehte. Was muss das Tier erlebt haben, dass es zu so einer massiven Neurose kam? Also Hund raus aus dem Auto, und wieder kamen wir in die Ruhe. Dann ließen wir ihn erneut auf die Rampe, und ab da wurden alle Handgriffe in Zeitlupe erledigt. Die Boxentür blieb erst mal offen, und die Hundehalterin stellte sich einfach vor den Kofferraum und machte nichts, außer sich zu entspannen und den Fokus weg vom Hund zu richten. Und was passierte in kürzester Zeit? Der Kleine legte sich hin. Wir schlossen die Tür - er bleib liegen. Wir brachten den zweiten Hund dazu, und er bleib liegen und entspannte sich. Genauso wie sein Frauchen.
Um das Ganze jetzt mal zu Ende zu bringen: Freilauf war dann auch kein Problem mehr, das Herrufen auch nicht, da der kleine Kerl gar nicht mehr aufhören konnnte, sein Frauchen anzuschmachten.
Mein Job war getan - der von der Hundehalterin fängt jetzt erst an. Und das wird lebenslänglich gehen. Ruhe, nichts wollen, entspannen, keinen Streß, innerlich gelassen bleiben. Und bitte keinen Hundesport, der letztendlich nur Streß und Hektik bewirkt.
Eva Windisch
Hundetrainerin, Hundeverhaltensberaterin, Hundepsychologin, Hund-Mensch-Coach
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