10/03/2023
Der Wutbürger von heute, ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Kind von gestern, das nie gelernt hat, sich selbst zu regulieren. Und was hat das mit Hunden zu tun? Zwischen dem 14 Monate alten Brutus, der nach mehreren Beißvorfällen im Tierheim sitzt und der fehlenden Kompetenz zur Selbstregulation, gibt es vermutlich einen Zusammenhang. Leider ist diese Fähigkeit weder Hunden, noch Menschen angeboren. Zu Beginn des Lebens übernehmen die Erziehenden (meist die Eltern) das Regulieren - Fremdbeherrschung steht an der Tagesordnung. Das Kind wird getröstet, wenn es traurig ist, beruhigt wenn es wütend ist und in den Schlaf gewiegt, wenn es müde ist. Nach und nach darf es lernen, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu erkennen und auch auszuhalten, wenn diese nicht oder nicht sofort befriedigt werden (können). Was aber passiert, wenn die Erziehenden selbst nicht über diese wichtigen Kompetenzen verfügen? Oder wenn sie versuchen jegliches negative Gefühl von ihrem Kind fernzuhalten? Es wächst ein kleiner Kevin (stigmatisierter Name, bewusst gewählt) heran, der einen Tobsuchtsanfall bekommt, wenn im Sportunterricht ein anderes Kind die Mannschaft aussuchen darf. Der irgendwann nicht mehr so kleine Kevin hat eine durchwachsene Schullaufbahn vor sich, denn still sitzen, nicht dran sein, aushalten, das hat er nicht gelernt. Weil er oft nicht weiß wohin mit sich und all den Gefühlen, greift er zum Alkohol, um sie zu betäuben und wenn ihn doch die rasende Wut überkommt, entlädt sie sich am Nächstbesten. Von einer Partnerschaft kann Kevin nur träumen, denn bisher hat es niemand länger mit ihm ausgehalten. Er lebt ein Leben der Extreme und sucht sein Glück vergebens. Tja und irgendwann brüllt er im Supermarkt Menschen an, weil sie keinen Warentrenner benutzen. Wenn der kleine Brutus nie gelernt hat, sich selbst zu regulieren und das die Welt sich nicht um ihn dreht, das er mal nicht an der Reihe ist, wie soll er das ertragen können? Er wird zB. an der Leine zerren, in Menschenarme oder den Nachbarshund beißen, sich heiser bellen, die Pfoten blutig lecken, stundenlang seinen eigenen Schwanz oder die Schatten an der Wand jagen. Ja, für all diese Verhaltensweisen gibt es viele und komplexe Ursachen, aber die fehlende Fähigkeit zur Selbstregulation und eine nicht oder kaum vorhandene Frustrationstoleranz spielen dabei definitiv eine wesentliche Rolle. Bei meinem ersten Hund wusste ich es nicht besser, ich hab es gut mit ihm gemeint und jetzt ist er ein kleiner Kevin. Er bellt und fiept, wenn es ihm nicht schnell genug geht und es fällt ihm wahnsinnig schwer sich an der Leine zurückzunehmen. Er ist in solchen Momenten auf mich und meine (Fremd-) Regulation angewiesen und seine Emotionen gehen durch die Decke. Wie viel angenehmer könnte das Leben für uns sein, wäre ich damals weniger mit Fremdbeherrschung beschäftigt gewesen und hätte stattdessen den Fokus auf das Erlernen einer gesunden Selbstregulation gelegt und ihm den ein oder anderen Wunsch weniger von den Lippen abgelesen. Denn Frust gehört zum Leben, wie die Luft zum Atmen.