14/10/2021
„Können Sie bei meinem Hund einen Wirbel wieder reinhauen?“
„Ich habe mir das ISG rausgehauen“ oder „da ist ein Wirbel verschoben“ und ähnliche Formulierungen hört man als (Tier-)Physiotherapeut recht häufig. Doch kann das sein? Kann man sich ein „ISG raushauen“ und einen „Wirbel verschoben“ haben und kann ein Physiotherapeut / Osteopath / Chiropraktiker diese Teile einfach mal wieder „reinhauen“?
Kurz: nein!
Um das hier mal relativ kurz zu halten, erkläre ich es mal anhand eines „verschobenen Wirbels“:
Viele aneinander gereihte Wirbelkörper bilden die Wirbelsäule. Durch diese Reihe hindurch verläuft das Rückenmark. Ein sehr sehr wichtiges und äußerst sensibles Körperteil, das so empfindlich ist, dass es durch die knöcherne Struktur der Wirbelkörper geschützt werden muss. Das Rückenmark ist die Autobahn der Nerven. Ohne sie geht einfach nichts. Und solange die Autobahn nicht unterbrochen ist, kann das Hirn z.B. den Beinen sagen, sie sollen sich bewegen. Gibt es irgendwo auf der Strecke zwischen Hirn und Bein eine Unterbrechung auf dieser Bahn, geht das schief.
Wenn wir jetzt mal einen Wirbel „raushauen“ und damit das dadurch verlaufende Mark abquetschen, war es das mit der Signalweiterleitung. Da geht nichts mehr. Das ist dann auch kein Fall für einen Manualtherapeuten, sondern ein Notfall für einen spezialisierten Chirurgen, der dann auch nur versuchen kann, das zu flicken, denn ohne Bruch am Wirbelkörper geht das auch nicht. So etwas passiert nicht durch „falsches Aufstehen“, „Verspringen“, „Schritt ins Leere“ oder weil man sich falsch gestreckt hat. So etwas passiert meist durch ganz heftige Traumata schwere Unfälle und ich wette, bei DEM Symptombild käme kein Tierhalter auf die Idee, bei einem Physio o.Ä. anzufragen, sondern fährt (hoffentlich) schnellstens in eine Tierklinik.
Doch woher kommen dann diese Redewendungen? Vielleicht einfach von dem Knack-Krach-Geräusch, das meist sehr gut zu hören ist, wenn eine Blockade gelöst wird. Oh Blockade! Was ist das jetzt? Die gesamte Wirbelsäule wird durch jedermenge Muskeln und Faszien oben, unten, links und rechts, kreuz und quer stabilisiert, bewegt und geschützt. Kommt es durch irgendeine falsche Bewegung – wobei jetzt hier egal ist, welche das sein könnten – zu einer krampfhaften Muskel- und Faszienanspannung, dann kann ein (mehr oder weniger) kleiner lokaler Krampf entstehen. Das tut weh. Und um zu verhindern, dass jetzt Wirbel aus der Bahn geworfen wird, spannen immer andere Muskeln entgegen dieser krampfhaften Verspannung an und versuchen irgendwie nur dieses Gebilde stabil zu halten, denn das oberste Staatsziel ist: Schützt das Rückenmark! Jetzt haben wir also eine Spannung und eine Gegenspannung und in der Mitte einen oder mehrere Wirbelkörper, die sich so gar nicht mehr frei bewegen kann / können. Das Gewebe ringsherum wird hart, schmerzhaft und man ist in seiner Bewegung blockiert. Es liegt eine Dysfunktion vor.
Werden diese Blockaden nun gelöst (hier gibt es viele verschiedene Techniken), dann kann es zum lauten Krachen oder Knacken kommen. Das sind aber nicht die Knochen, die man hier wieder in die Position geschubst hat, sondern die Faszien, die hier laut krachend ihre Verklebungen lösen.
Und genau DAS erklärt auch, warum manche Blockaden immer und immer wieder kommen möchten: Weil die Muskeln und Faszien sich bei länger bestehenden Blockaden an ihre Position gewöhnt haben (und weil es Gewohnheitstiere sind!) und immer wieder gerne in ihre vorherige (aber falsche) Haltung zurückgehen möchten. Physio & Friends können diese Muskelspannungen zwar größtenteils aufheben, aber eben selten komplett in nur einer einzigen Behandlung. Da ist dann auch der Tierhalter in Heimarbeit gefragt. Daher gibt es für solche Fälle immer Übungen für zu Hause mit.
Auf Anfragen wie oben antworte ich also dann: „Nein, aber ich kann gerne versuchen, ihn zu mobilisieren.“