22/05/2021
Umso elastischer, feiner und spektakulärer die Bewegungen sind, desto anfälliger sind Sehnen und Bänder und das Bindegewebe, welches das gesammte System Pferd stützt und hält.
Die Zucht der Pferde sollte wieder zurück zu Gesundheit und robustem Funament finden und weg von immer spektakulärerem Beine hoch schmeißen.
Kauft euch stabile Pferde
„Wir haben Probleme gute Nachwuchspferde zu finden. Warum? Sie stehen ab 7- oder 8jährig in den Pferdekliniken überall im Land“. Das sagte Klaus Balkenhol auf einem Vortrag.
Gilt das nur für die Sportpferde? Ich denke nicht. Aber warum ist das so? Diese Frage stellen sich viele Reiter, die bereit sind, doch alles für ihren Liebling zu tun. Sind es manchmal sogar gerade diese Pferde? Diejenigen die entweder 4x bandagiert in der Box stehen und nicht auf die Koppel dürfen, denn die Verletzungsgefahr ist zu groß oder diejenigen die nur im Schritt geritten werden, damit sie nicht schwitzen und sich erkälten? Oder sind es diejenigen die jedes Wochenende, über jeden verfügbaren Turnierplatz rennen müssen?
Die Fragen sind berechtigt. In meiner Funktion als Leiterin unserer Reha-Einrichtung für Pferde, begegnen uns sehr viele verschiedene Pferde, aus unterschiedlichen Rassen mit den ungewöhnlichsten Geschichten. Was wir immer wieder feststellen: Die Pferde sind deutlich anspruchsvoller und empfindlicher geworden. In meiner Jugendzeit waren die Pferde robuster und tolerierten viel mehr Fehler des Reiters, ohne gleich in körperliche Schwierigkeiten zu geraten. Die Warmblüter hatten ein kräftigeres Fundament und sie waren viel weniger elastisch in ihren Strukturen.
Die Zucht hat heute Pferde hervorgebracht, von denen man vor 20 oder 30 Jahren nur träumen konnte. Hochelastisch mit Mega-Raumgriff, Schwung und genialer Rittigkeit. Und definitiv viel sensibler, was die Umsetzung der Reiterhilfen angeht. Da würde man doch denken: Ja, super, das hört sich toll an. Das ist es auch.
Aber: diese hochkarätigen Pferde benötigen einen ebensolchen Reiter. Ungeschickte und noch unerfahrene Reiter tun sich damit schwer. Ein Pferd mit großen schwungvollen Bewegungen fordert dem Reiter einiges an Balance und Koordinationsfähigkeit ab. Genau das haben die Menschen immer weniger. Schon Kinder können (oder dürfen) auf keinen Baum mehr klettern, weil Helikoptermütter das zu verhindern wissen. Es wird beklagt, dass Kinder heute schon mit dem normalen Aufsitzen Probleme haben. Reiter die die Hilfen nicht gut koordinieren können, tun sich schwer damit, das notwendige reiterliche Gefühl zu entwickeln, das sensible Pferde brauchen, um schwungvoll und losgelassen gehen zu können. Eine gängige Praktik ist es dann, das Mega-Gangwerk auf die Drehzahl zu drosseln, die man noch einigermaßen gut sitzen kann, anstatt das junge Pferd zuerst in seiner Schubkraft und der Entwicklung des Ganges zu fördern. Ein fataler Fehler.
Überall sieht man Pferde, die mit den Hinterbeinen derart komatös schlurfen, dass man Angst bekommt ob sie die nächste Runde noch machen. Schlimm ist, dass diese Art der Fortbewegung dazu führt, dass der Brustkorb absinkt, ein Reiten von hinten nach vorne nicht stattfindet und dadurch extreme Scherkräfte auf das Skelett und das Bindegewebe einwirken. Ein korrekter Muskelaufbau kann nicht stattfinden. Diese elastischen Pferde haben von Natur aus ein weiches Bindegewebe. Das betrifft Sehnen, Bänder und Gelenke. Das ist ein naturgegebener Zustand, der durch Training nur geringfügig verändert werden kann. Die einzige Chance, ist der Aufbau einer starken und tragfähigen Muskulatur. Diese kann die bindegewebsartigen Strukturen unterstützen. Zum Aufbau dieser Muskulatur muss ein wirkliches Training stattfinden und kann durch alleiniges Bewegen nicht erreicht werden. Das stellt den Reiter vor hohe Anforderungen, denn die meisten Menschen möchten nach einem harten Arbeitstag, bei ihrem Pferd viel lieber entspannen und die Seele baumeln lassen. Ein durchaus verständlicher Wunsch.
Es gibt mittlerweile Kritiker der deutschen Pferdezucht, die die Züchter an den Pranger stellen, da sie angeblich durch starke Veränderungen im Exterieur und Gangbild schon in die Richtung der Qualzucht arbeiten. Das mag teilweise so sein, letztendlich muss die Geschichte aber aus beiden Richtungen beleuchtet werden. Zudem es nicht nur die deutsche Pferdezucht betrifft, auch Haflinger, Spanier, Friesen & Co. sind sehr oft stark überbeweglich.
Ein Züchter möchte seine Pferde kostendeckend bzw. mit Gewinn verkaufen. In Deutschland ist es kaum möglich, ein vierjähriges Pferd für einen vierstelligen Betrag aufzuziehen. Sollte es noch angeritten werden, kann es leicht das Doppelte sein. Bereit das zu bezahlen oder für ein Spitzenpferd eben auch einen Spitzenpreis zu bezahlen, sind in der Regel (von Ausnahmen natürlich abgesehen) eher die sportorientieren Reiter. Daher züchtet der Züchter das, was diese Reiter möchten. Hohe Elastizität, viel Raumgriff, viel Schwung. Auch andere Rassen werden mittlerweile häufig in Richtung Sportpferd verändert wie z B. der Edelbluthaflinger, ebenso PREs oder auch Friesen sehen anders aus als früher. Weil auch der Freizeitreiter mit einem edlen und bewegungsstarken Ross punkten will.
Was ist nun die Lösung? Kauft euch stabile Pferde! Das sind allerdings eher die unspektakulären, kleinen, kräftigen, mit kurzem Rahmen und wenig Bewegung. Und das sollte auch dem Züchter so kommuniziert werden.
Die Schwierigkeit dabei ist, wie kann ich ein stabiles Pferd überhaupt erkennen? Wie kann ich testen ob ich ein überbewegliches oder stabiles Pferd vor mir habe?
Man sollte immer jemand fachkundigen zum Pferdekauf mitnehmen, der eben genau dieses beurteilen kann. Eine Ankaufsuntersuchung sagt darüber übrigens rein gar nichts aus.
Gute Röntgenbilder zeigen dieses Problem nicht auf. Das ist auch der Grund, warum stabile Pferde mit schlechten Röntgenbildern durchaus sehr lange gut laufen und Pferde die röntgenologisch keinen Befund haben, immer wieder lahm gehen. Sichtbare Probleme sind wiederkehrende Lahmheiten, Rückenprobleme, Rittigkeitsprobleme oder Widersetzlichkeiten.
Stabile Pferde sind wesentlich robuster, können Reiterfehler besser wegstecken und können auch bei weniger intensivem Training lange geritten werden. Sie sind wesentlich tragfähiger und weniger anfällig für Probleme des Bewegungsapparates.
Damit diese Pferde wieder gezüchtet werden, muss der Käufer diesen Wunsch direkt äußern und auch preislich honorieren. Ein höherer Kaufpreis ermöglicht dem Züchter eine gute Aufzucht und die Möglichkeit, auch Käufer für diese Pferde zu finden, auch wenn sie nicht das große Bewegungspotential haben. Eine Win-Win-Situation für beide.