17/11/2019
Sehr informativ
Symposium PFERDE 2019 – Die Schweizer Rückenstudie
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Fotos: Copyright Andrea Heimgartner
Wie steht es denn nun wirklich um die Rückengesundheit unserer Schweizer Reitpferde?
Zum ersten Mal wurden die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus mehreren Jahren Projektarbeit präsentiert. Basis für die Studie waren 248 Reiter-Pferd-Paare. Prof. Dr. med. vet. M. Weishaupt erklärte kurz die Studienbasis und den Zusammenhang zwischen Exterieur und Sport.
Erfreulich war die zunehmende Tendenz zur Offenstallhaltung. Fast alle Pferde haben Zugang zur Weide. Nur 1/3 der Pferdebesitzer wissen nicht, was gefüttert wird. 60% der Teilnehmer füttern Futterzusätze (Mineralstoffe, Salz ausgeschlossen). Gemäss Studienresultate werden die Pferde durchaus fleissig geritten. Die Hufbeschlagsperioden waren eher an der oberen Grenze zu finden. Viele Barhufer hatten sehr gepflegte Hufe, allerdings gingen viele klamm beim Vortraben, was mit Schuhen kompensiert werden musste. Bei 32% der Pferde wurde bereits in der Krankenvorgeschichte eine Erkrankung am Bewegungsapparat diagnostiziert, was im internationalen Vergleich (50%) eher wenig ist.
Der Trainer/Reitlehrer übt den grössten Einfluss auf die Reiter-Pferd-Paare aus. Die StudienteilnehmerInnen tendierten zu einer Überschätzung ihrer reiterlichen Fähigkeit.
KOMPLEXITÄT - KRITIKFÄHIGKEIT
1/3 aller Pferde zeigten mittel- bis hochgradige Rückenschmerzen an. Ein Zusammenhang mit Unwohlsein beim Putzen kann bestätigt werden, auch Magengeschwüre sollten im Zusammenhang mit Rückenproblemen beachtet werden. Es konnte kein direkter Zusammenhang mit der Reitqualität gefunden werden, was aber nicht heisst, dass der Reiter nun nicht mehr Reiten lernen muss, sondern es zeigt auf wie KOMPLEX das Thema Rückenschmerzen ist und die Schmerzen nicht nur auf einen Faktor heruntergebrochen werden können. Auch das Symptom Headshaking, wie Dr. med. vet. Markus Scheibenpflug als Teilnehmer einbringt, hat höchstwahrscheinlich die Ursache basierend in Rückenprobleme. Als Schlüsselpunkt muss man der Schultergürtelmuskulatur mehr Beachtung schenken, damit diese auch als Stossdämpfer wirken kann.
Um eine nachhaltige Genesung und Gesunderhaltung des Reitpferdes zu erreichen, sind deshalb nicht nur das Ausschalten von Schmerzen, sondern auch das Eliminieren von möglichen Einflussfaktoren und das erneute Erlernen von reitspezifischen Bewegungsabläufen zentral. Auch ist eine Zusammenarbeit auf allen Ebenen unter den Fachleuten rund um das Reiter-Pferd-Paar sinnvoll.
In der Diskussion mit den Fachleuten stellte sich eine weitere Hürde auf dem Weg zum nachhaltigen Wohlbefinden der Pferde dar: Diejenigen Reiter, die lieber eine Materialschlacht betreiben, statt sich vom anerkannten Profi ausbilden zu lassen. Der Reitlehrer müss dem Reiter-Pferd-Paar vermehrt ins Gebet nehmen dürfen und um auf diesen nachhaltigen Weg weiter sensibilisieren zu können. Der Besitzer sollte nicht gekränkt reagieren, wenn vom Trainer kritische Punkte angesprochen werden.
ALTER UND WIDERRISTHÖHE
Frau Prof. Dr. med. vet. Ohlerth informierte über die Art und Weise des Röntgens und der Ultraschalluntersuchung, wie die Bilder zu interpretieren sind und welche Vorteile der beiden bildgebenden Diagnostiken sind. Die Arthrose nimmt signifikant mit dem Alter und der Widerristhöhe zu. Warmblüter haben häufiger Arthrose. Nicht nur die Sattellage und die Lendengegend, sondern auch die Halswirbelsäule sind davon betroffen. Eine bei Warmblütern häufiger aufgetretene Arthrose im Iliosakralgelenk korrespondierte nicht mit einer allfällig diagnostizierten Hinterhandlahmheit.
UMDENKEN - REITERFREUNDLICHE VS. PFERDEFREUNDLICHE SÄTTEL
Über 70% der Sättel waren in mindestens einem Kriterium als mangelhaft bewertet worden. Urban Truniger, Sattlermeister HFP und Präsident der höheren Berufsschule VLTS erklärte eindrücklich, dass die Sattelbranche umdenken muss. Die Branche geht zu stark auf den Kundenwunsch, sprich reiterfreundliche Sättel, ein. Die moderne Pferdezucht von heute bringt Pferde mit viel Bewegungspotential auf den Markt, deshalb wäre ein leichterer oder ein flexibler Baum empfehlenswert, was allerdings häufig das Reitvermögen des Reiters überfordert. Diese Sitzunsicherheit sollte nicht primär mit dem Sattel und Pauschen kompensiert werden. Pferde sollen nicht nur im Stand sondern auch in der Bewegung, im Ist- und Soll-Zustand und in den Bewegungspotentialen beurteilt werden können. Verschiedenste gängige Messsysteme stellen eine praktikable Hilfe dar, können aber nicht als einziges Entscheidungskriterium eingesetzt werden. Ebenso die Satteldruckmessung, die eine Tendenz angibt, aber immer im Gesamten beurteilt werden muss. Ein Sattel muss auf das Pferd wie auch auf den Reiter angepasst sein. Der Reiter muss ehrlich sein reiterliches Können einschätzen und über die Nutzung des Pferdes realitätsnah Auskunft geben können. Es nutzt niemandem, wenn ein Anfänger auf einem schmalen Dressursattel mehrstündige Ausritte unternimmt. Ein breiter Sitz ist hier für Freizeit und Wanderreiten die bessere Wahl, dafür darf es ruhig ein etwas längerer Sattel sein. Eine enge Taillierung ist besser für einen tieferen Sitz, den Drehsitz und die Seitengänge - hat demzufolge eine direktere Wirkung auf den Pferderücken und bedingt einen balancierten, losgelassenen Sitz des Reiters. Ein gut passender Sattel hat auch eine optimale Begurtung. Je schmaler die Strippen angelegt sind, desto einfacher kann sich das Pferd biegen. Grundsätzlich gelten die gleichen Regeln über die Sitzform und Nutzung auch für die Westernsättel. Beim Anpassen eines Westernsattels muss immer das ganze System, also auch die Unterlage, mitbewertet werden. Ein Westernsattel kann nicht verändert werden und man muss sich durchaus bewusst sein, dass es der Fall sein kann, dass in einem Pferdeleben mehrere Westernsättel gekauft werden müssen. Bei den Springsätteln sind die Kriterien etwas einfacher als beim Dressursattel, weil die weiche Struktur über die Schultern gelegt wird. Urban Truniger wies zudem darauf hin, dass bei Rückenproblematiken eine enge Zusammenarbeit von Sattler, manueller Therapeut, Reitlehrer und Tierarzt unumgänglich ist.
WIEVIEL ASYMMETRIE DARF AKZEPTIERT WERDEN?
Frau Dr. sc. Marie Dittmann zeigte die Ergebnisse über die Händigkeit und Asymmetrie beim Pferd auf. Welche Rolle spielt der Mensch?
Es gibt durchaus hemisphärische Spezialisierung und Dominanz, nicht nur beim Menschen, sondern auch bei anderen Säugetieren (links für rechts und umgekehrt).
Grundsätzlich weiss man, dass Reize im linken Gesichtsfeld in der rechten Hirnhälfte verarbeitet werden. Die meisten Pferde bevorzugen ein Ohr, ein Auge und ein Sehfeld (Sensorische Laterialtiät). Diese Spezialisierung hilft für reflexartige Flucht. Fohlen bevorzugen die Mutter in der linken Gesichtshälfte im Blick zu haben. Der Weideschritt und evtl. damit zusammenhängende Hufformdifferenz von rechts und links, kann durchaus auch ein Indiz der Asymmetrie sein. Auch der bevorzugte Galopp könnte u.a. aus der Asymmetrie der Hufe entstehen.
60% der Pferde sind links stärker im Widerrist (Studie GB), was im Ursprung das Satteln, Aufsteigen, Führen haben könnte. Auch bevorzugt der Reiter häufiger eine Hand zum Reiten. Häufig propagierte Theorien konnten nur bedingt bestätigt werden. Es ist schwierig, basierend auf einzelnen Asymmetrieparametern Rückschlüsse auf die Lateralität des Pferdes zu ziehen. Vielmehr führt wahrscheinlich eine Kombination verschiedener Faktoren zu dem Phänomen, was der Reiter als Händigkeit oder Schiefe wahrnimmt. Es konnte kein Zusammenhang des sogenannten „aus der Spur treten“ mit der hohlen Seite festgestellt werden.
Prof. Dr. med. vet. Michael Weishaupt erklärte den Begriff Riding Soundness (Bewegungs- und Belastungsasymmetrien). 2/3 der von ihren Reitern/Betreuern als gesund wahrgenommenen Pferde wiesen in der Studie eine Bewegungsasymmetrie auf, die einer leichten bis mittelschweren Lahmheit entsprach.
Wieviel Asymmetrie darf ein Tierarzt akzeptieren? Um die in der Rückenstudie (67% der Pferde waren Rechtshänder und 31% Linkshänder.) beobachteten Asymmetrien der Pferde besser verstehen zu können, müssen weitere Analysen durchgeführt werden. So ist es nicht geklärt, in wie weit die Asymmetrien die Pferde gesundheitlich beeinträchtigen, oder ob es sich dabei „nur“ um einen Bestandteil ihrer Händigkeit handelt.
Neue Untersuchungen zeigen, dass die Fähigkeit von Pferdebesitzern oder Pferdetrainern eine Lahmheit zu erkennen, beschränkt ist. Fachleute müssen verstehen, wann Asymmetrien gesundheitlich bedenklich sind und welche als normal eingestuft werden können.
KANN MAN REITERLICHES KÖNNEN MESSEN? (Subjektive Einschätzung vs. Messung)
Herr Dr. PhD Bauer präsentierte die Erkenntnisse aus den physiotherapeutischen Untersuchungen am Reiter. Man kann gewisse Parameter messen, wie zum Beispiel die Bewegungssynchronizität zwischen Reiter und Pferd, die Bewegungssymmetrie des Reiters, Bewegungsregelmässigkeit des Reiters, die Federungseigenschaften des Reiters.
Zum Beispiel wurde im Vergleich zu den Messungen eine Asymmetrie des Reiters vom Richter nicht gesehen. Die Synchronizität wurde von den Richtern gesehen und beurteilt und die Bewegungsregelmässigkeit des Reiters wurde von den Richtern nicht beachtet.
Man kann sagen, dass die reiterliche Performance steigt, wenn die Ausdauer des Reiters steigt, wenn die Kraft steigt, wenn die Reaktionsgeschwindigkeit steigt. Die reiterliche Performance sinkt, wenn die Beweglichkeit des Reiters steigt – sprich wenn er zu beweglich ist. Die Forschung ist noch nicht abgeschlossen und viele Zusammenhänge müssen weiter geklärt werden, um aktiv seitens ZHAW Trainingskonzepte für den Pferdesport (Swiss Olympic und Trainer) entwickeln zu können.
DAS BILD IST DER ANFANG DER BEWEGUNG
Susanne von Dietze, Dressurreiterin, -richterin und Autorin beginnt mit dem Satz: „So wie der Herr so das Gescherr. - Es gibt durchaus Parallelitäten zwischen Reiter und Pferd.“ Genau wie beim Pferd ist die positive losgelassene Spannung des Reiters zusammen mit Rhythmus und Balance der Schlüssel zur Hilfengebung und zu einem ökonomisch effektiven Sitz.
Das Becken ist die Schaltstelle für die Bewegung und hat die Aufgabe das Gewicht des Oberkörpers zu verteilen und die Beinbewegung so zu zentrieren, dass sie in die Wirbelsäule weitergeleitet werden kann. Auch der Mensch hat ein muskuläres Ringsystem, welches stabilisierend wirkt. Das Aufrichten des Reiters passiert in der Bewegung und dem Kontakt mit dem Pferd.
Es geht primär um die Harmonie und die Form. Jeder Reiterkörper ist anders, man muss seinen Körper perfekt bewegen und stabilisieren können. Nicht gegen den Körper, sondern mit seinem Körper reiten. Gymnastik und Training kann helfen, die Haltung zu verbessern. Vor allem ist es ein Fühlen lernen, was wichtiger ist, als das, was wir machen wollen. Ein guter Reiter braucht Herz, Kopf und Fantasie - ohne Bilder und ohne Vorstellung funktioniert es nicht. Nur wer in jedem Moment mit der Pferdebewegung mitgehen kann, wird selber ein Teil dieser Bewegung. Wir zerdenken das Reiten – das ist richtig, aber wenn wir es machen, müssen wir den Kopf ausschalten – denn sonst ist man immer hinter der Bewegung. Beim Reiten ist nicht nur das Eine sondern immer das ganze System zu beachten und umzusetzen. Ein Reiter muss mit seinem Körper üben, ihn sensibilisieren, mobilisieren, stabilisieren, koordinieren und integrieren.
Am Symposium PFERDE 2019 spiegelte das Projektteam hervorragend und äusserst sympathisch die professionelle Zusammenarbeit zwischen Tierarzt, manueller Therapeut und Sattler wider. Auch die Hufschmiede, Reitlehrer und der Pferdehalter gehören in dieses System integriert, wie dies in den Diskussionen zu Recht von den Fachleuten reklamiert wurde. Schlussendlich ist es jedoch immer der Reiter oder Pferdebesitzer, der sich aktiv für das nachhaltige Wohlergehen des Pferdes entscheiden muss. Es ist nicht auszuschliessen, dass mit dieser ganzheitlichen Einstellung rund um das Pferd der Reiter kurzfristig seine „Komfortzone“ verlassen muss, um nachhaltig mit dem Pferd arbeiten zu können.