02/09/2024
Vermenschlichung - oder, wie viel Wolf steckt im Mensch?
Gleich zwei mal ist mir der Begriff "Vermenschlichung" in der letzten Woche begegnet. Einerseits im Training beim Kontakten, dort ging es nämlich darum das Teenie-Hunde ganz ähnliche Verhaltensweisen zeigen können wie Teenie-Menschen im Sinne von Imponieren, Angeben, Gesicht wahren wollen.. Da stellte sich doch, zurecht, einer Teilnehmerin die Frage ob ich es denn nicht etwas "vermenschlicht" finde Hunden solche Verhaltensweisen zuzusprechen. Ich greife etwas vor: Nein, das sehe ich überhaupt nicht als "Vermenschlichung" ;-) Ein zweites Mal begegnete mir dieser Begriff beim Durchlesen der Facharbeit einer Freundin von mir, dort passte mir der Begriff aber schon deutlich besser, denn es ging um kollidierende Bedürfnisse zwischen Mensch und Hund.
Was genau bedeutet Vermenschlichung? Hundecoiffeurbesuche, Bekleidung und herum getragen werden? In diesem Zusammenhang wird dieser Begriff nämlich häufig verwendet. Zugegeben, ich habe Hunde die nicht frisiert werden müssen, aber das ist für mich keine Vermenschlichung. Vermenschlichung ist es höchstens das man Wölfe so züchterisch verändert hat das sie keine Haare mehr verlieren sollen oder ihre Frisur "unfrisiert" eben völlig unpraktisch ist. Ich bezweifle das der Wolf damit gerechnet hat mal bodenlange Rastas zu haben. Das mag für den Komondor in den ungarischen Bergen beim Bewachen der Schafherde nützlich sein, denn er ist gegen jede Witterung bestens geschützt, wer ihn aber als exotischen Rassehund in der Stadt halten will merkt vermutlich rasch was für ein Pflegeaufwand ein solcher Rastafari mit sich bringt. Kleider sind ein Thema für sich, auch hier bin ich sicher das der Wolf kein Wintermäntelchen möchte. Der Xoloixcuintle hingegen ist in unseren Gefilden durchaus dankbar für dieses Gadget, hat man ihn doch von seiner ganzen Haarpracht befreit. Getragen werden..Naja, dazu sage ich gar nicht.. Ich bin eine Hundeträgerin, denn "Verantwortung tragen" oder "etwas ertragen" kommt nicht von ungefähr.
Vermenschlichung bedeutet für mich etwas ganz anderes und nachdem mich dieser Begriff ein paar Tage verfolgt hat konnte ich es auf drei Aspekte herunter brechen:
1. Der Hund muss eine Funktion für seinen Menschen übernehmen. Diese Funktionen sind variabel, das kann ein Partnerersatz sein, ein Freund oder auch ein Sportgerät. Egal wie die "Rolle" aussieht die der Hund übernehmen soll, sie ist in 99% der Fällen unpassend und dem Hund gegenüber herablassend. Der Hund wird nie dein Partnerersatz sein, das hoffe ich zumindest. Spätestens bei Freundschaft plus sollte man nicht mehr an seinen Hund denken.. Um aufzuzeigen wie unpassend diese Bezeichnung ist kehren wir das Bild um; wer von euch hat einen Lebenspartner dem er sagt wann er isst, wann er sich lösen darf, wohin sämtliche Ausflüge gehen, mit wem er Kontakt haben darf und so weiter? Vielleicht gibt es nun den einen oder anderen der insgeheim ja sagen muss, aber öffentlich zugeben wird wohl keiner das er den Partner derart bevormundet. Euer Hund kann nicht euer Partner sein, denn er ist zeitlebens in einer Kinderrolle. Er geniesst Erziehung, Beziehung, Regeln und Konsequenzen wenn er sich nicht an diese hält. Das ist keine Definition von "Liebesbeziehung" sondern von "Eltern-Kind-Rolle". Hoffe ich zumindest.
2. Der Hund muss die Bedürfnisse des Menschen teilen. Über die Jahre hinweg hat sich eine "moderne Hundehaltung" entwickelt die nichts mehr mit der einstigen Symbiose und Nutzniesserschaft zwischen Mensch und Hund gemeinsam hat. Während Ethologen davon ausgehen das sich diese interspezifische Beziehung einst gebildet hat weil sie für beide Parteien von Nutzen war (Schutz, Jagd,...), ist der Hund heute zum Luxusartikel geworden dem - ganz vermenschlicht - Bedürfnisse zugesprochen werden die er gar nie hatte. Ein hohes Bewegungsbedürfnis beispielsweise. Lustigerweise sagen das fast nur Menschen die sich selber sehr gerne bewegen. Der Hund hatte nie ein "sinnloses Bewegungsbedürfnis", Bewegung war immer nur Mittel zum Zweck, das Reh landet ja nicht von selber auf dem Teller. Schöne Überleitung zum nächsten Punkt in dieser Kategorie: Bestechung, Belohnung und diffuse Mahlzeitenverteilung über den Tag hinweg. Wir Menschen sind grosse Säugetiere und Omnivoren, entsprechend benötigen wir mehrere Mahlzeiten am Tag, ähnlich wie Bären. Hunde hingegen sind deutlich kleinere Säugetiere, zwar auch Omnivoren, aber das eher als "Beigemüse" weil der Hase nun mal noch Gras im Bauch hat. Der Hund jagt, macht Beute und frisst. Das wir unseren Hunden jegliche Form des Beutefangverhaltens absprechen und sie lieber drei mal täglich aus dem Napf füttern ist Vermenschlichung, es hat nichts mit den Bedürfnissen des Hundes zu tun. Bei der Bewegung verhält es sich ähnlich: Nur weil wir unser Futter nicht mehr jagen müssen und den ganzen Tag im Bürostuhl sitzen und deshalb am Abend unbedingt sinnlos eine Runde durch den Wald rennen müssen heisst das nicht das Hunde genau so verkorkst sind. Es ist okay andere Bedürfnisse zu haben als der Hund, wir sind schliesslich zwei verschiedene Spezies. Was auch immer wir aber mit dem Hund machen - man sollte sich überlegen ob dies tatsächlich dem Wesen des Hundes entspricht oder ob er es nun mal für uns tun muss. Auch mal etwas für uns zu tun ist in meinen Augen nicht schlimm. Wer aber konsequent gar nicht den Wunsch verspürt den Hund bedürfnisorientiert zu halten sollte einfach keinen haben, denn das ist irgendwie das mindeste was wir tun können.
3. Der Hund muss unsere Umgangsformen annehmen. Das finde ich mit Abstand den verstörendsten Punkt, denn er ist so "salonfähig" geworden dass das kaum jemand hinterfragt. "Training nach positiven Grundsätzen" oder "Ablehnung von aversiven Trainingsmethoden" zieren etwa 99% der Websites aller Hundetrainer, ich las das sogar erst gerade vor kurzem auf der Seite eines HEB-Fachkollegen. Hunde sind nicht positiv - sorry, not sorry. Natürlich gibt es so genannte "soziopositive" Verhaltensweisen die der Annäherung, dem Beziehungsaufbau und der Beziehungsgestaltung dienen. Aber genau so verfügen sie über ein grosses sozionegatives Repertoire das auch zu ihnen gehört. Das wir uns als Sozialpartner bezeichnen wollen, gleichzeitig aber nur positiv sind, ist schlicht Irrsinn. Das sind die Beziehungen in denen Konflikte immer nur im Sack behalten werden und man irgendwann nicht mehr miteinander spricht weil die K***e so am dampfen ist das man schlicht kein nettes Wort mehr übrig hat. Umgangsformen und Erziehungsstrategien zu wählen die einfach nur bequem für den Menschen sind ist weit entfernt von bedürfnisorientiert. Aggression bedeutet nichts anderes als Verhaltensweisen die der Verteidigung, dem Gewinn von Ressourcen und der Bewältigung von potenziell gefährlichen Situationen dienen. Das wir diese "ehrliche Form der Aggression" ablegen weil wir uns lieber am Abend selber auf die Schulter klopfen und sagen: "Schön, wir hatten heute keinen einzigen Konflikt" ist hinterfotzig. Gleichzeitig sind es nämlich die Menschen die ihren Hund lieber über angebliche "Belohnungen" dressieren, also "Du Hund erhältst dann Lohn, wenn du schön brav tust was ich sage". Das hat mit Erziehung nichts zu tun, sondern mit einem miesen, ausbeuterischen Arbeitsverhältnis. Und was sind Arbeitsverhältnisse? Richtig. Menschlich.
Es spielt keine Rolle ob ihr eurem Hund im Winter einen Mantel anzieht und es ist richtig das der Pudel hin und wieder geschoren werden muss weil er sonst zum Wischmopp wird. Was jedoch Vermenschlichung ist, ist dem Hund die eigenen Bedürfnisse aufzuzwingen, ihn auf einen bestimmten Zweck zu reduzieren und ihm die eigene Weltanschauung aufs Auge zu drücken. Die Bedürfnisse des Hundes, seine, nicht eure, müssen gewürdigt und geachtet werden, er darf "Hund" sein ohne Verpflichtungen euch gegenüber und er hat das Recht auf artspezifische, angemessene Kommunikation und Erziehung.
Es grüsst,
R. und eine sehr müde Crew, die gestern ganz sinnlos aufgrund eines menschlichen Bedürfnisses wandern waren 🙃
PS: Nicht durchdrehen, da hat sich noch das Hündchen der Wanderpartnerin mit aufs Bild geschlichen, kein vierter Hund für mich😁