18/11/2024
Impulskontrolle und junge Hunde
Da scheint auch bei vielen Fachpersonen nicht immer fundiertes Wissen vorzuliegen oder manches verwechselt zu werden. Die Erfahrung muss ich leider nicht nur hinsichtlich Hunden immer wieder machen, sondern auch bei Fachpersonen, die mit Jugendlichen arbeiten.
Nun ist es nicht so, dass junge Hunde per se nicht in der Lage wären, Impulse steuern zu können. Aber wir müssen uns bewusst sein, dass aufgrund ihres neurobiologischen Entwicklungsstands wir Menschen uns genau überlegen sollten, was und wann und wie wir etwas in welchem Kontext verlangen.
Die Unterschiede in der neuronalen Entwicklung, speziell das Verhältnis zwischen hemmenden und erregenden Neuronen, spielen eine wesentliche Rolle in der Impulskontrolle junger Hunde.
Bei Welpen und Junghunden sind die erregenden Neuronen früher und stärker aktiv als die hemmenden Neuronen. Das bedeutet, dass junge Hunde impulsiver sind und ihre Erregung schwerer zügeln können.
Die hemmenden Neuronen, die für Impulskontrolle und Selbstregulation wichtig sind, reifen erst nach und nach aus, was im Laufe der Adoleszenz geschieht.
Im Vergleich zu erwachsenen Hunden fällt es Junghunden daher schwerer, auf bestimmte Reize nicht direkt zu reagieren, einfach weil die biologischen Grundlagen für gezielte Impulssteuerung noch nicht vollständig entwickelt sind.
Dieser Prozess ist vergleichbar mit dem menschlichen Gehirn: Auch bei Kindern und Jugendlichen ist die Impulskontrolle aufgrund der langsameren Reifung der präfrontalen Regionen, die für Kontrolle und Entscheidung wichtig sind, eingeschränkt.
Quellen liefern Neurologische Entwicklungsstudien: Bei Hunden hat man herausgefunden, dass sich die Entwicklung der Hirnareale für Impulskontrolle und Selbstregulation bis ins Erwachsenenalter zieht. Die Synapsen in den präfrontalen Arealen, die für hemmende Impulse zuständig sind, benötigen Zeit zur Ausreifung. Diese Untersuchungen basieren unter anderem auf Arbeiten zur neuronalen Plastizität und Synapsenbildung bei Hunden und sind zum Teil analog zu denen beim Menschen.
• Bray et al. (2020) - "Cognitive Characteristics of 8-to-10-Week-Old Assistance Dog Puppies." Diese Studie untersucht kognitive Fähigkeiten und Verhaltenssteuerung bei jungen Hunden und zeigt auf, dass sich kognitive und impulssteuernde Fähigkeiten erst mit zunehmendem Alter entwickeln.
• Miller et al. (2019) - "The Development of Inhibitory Control in Dogs (Canis familiaris)." Diese Untersuchung erforscht die Impulskontrollfähigkeit in verschiedenen Altersstufen und stellt fest, dass Junghunde im Vergleich zu erwachsenen Hunden signifikant weniger Impulskontrolle zeigen.
• Fagnani et al. (2016) - "Developmental Trajectories of Puppies’ Responses to Human Social Cues." Diese Studie beschreibt die neuronale und verhaltensmäßige Entwicklung junger Hunde und zeigt, wie sie auf menschliche Reize und Impulse reagieren. Die Ergebnisse legen nahe, dass bestimmte Aspekte der Impulskontrolle in den ersten Lebensmonaten noch stark eingeschränkt sind.
• Wynne & Udell (2013) - "Animal Cognition: Evolution, Behavior, and Cognition." Dieses Buch bietet eine umfassende Übersicht zur kognitiven Entwicklung bei Hunden, einschließlich der neuronalen Grundlagen von Impulskontrolle und Selbstregulation.
Ferner sollten wir eines nicht verwechseln: Erlernte Reaktion und echte Impulskontrolle!
Für viele Menschen scheint Impulskontrolle darin zu bestehen, dass der Hund "ruhig sitzen" oder auf ein Zeichen "warten" kann. Das ist jedoch keine echte Impulskontrolle! Die tatsächliche neurologische Impulskontrolle ist komplexer und betrifft die Fähigkeit, Erregung selbständig zu regulieren, auch ohne äußere Signale!
Diese Fähigkeit setzt ein reiferes neuronales Netzwerk voraus, das bei Junghunden noch nicht vollständig entwickelt ist.
Impulskontrollübungen verbrauchen Ressourcen wie Aufmerksamkeit, Konzentration und Erinnerungsvermögen.
Impulskontrollspielchen, die mir unter diesem Lable begegnen, trainieren im Grunde nicht die Impulskontrolle. Nur wollen das die wenigsten wirklich wahrhaben. Und welche Impulskontrolle, welche Mechanismen sollen denn eigentlich genau trainiert werden? Offenbar scheint der Mensch neurobiologische Entwicklungen außer Kraft setzen zu können 😉
P.S. Impulskontrolle und Frustrationstoleranz sind nicht das Gleiche!