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16/02/2020
Spurensuche!
Wir dürfen es uns nicht zu einfach machen und DIE beziehungsweise eine bestimmte Ursache für die offensichtliche Zunahme an Verhaltensauffälligkeiten bei Hunden ausfindig machen wollen.
Denn schließlich nähern wir uns zunehmend der 10-Millionen-Marke, wenn wir über die Anzahl der in Deutschland lebenden Hunde sprechen.
Dieser enorme Zuwachs an sogenannten Familienhunden führt unter anderem zu der Frage, ob das moderne und vor allem enge Zusammenleben von Mensch und Hund mit einer Zunahme an Verhaltensauffälligkeiten bei Hunden in Verbindung gebracht werden kann.
Die Beantwortung dieser Frage kann gleich in vielerlei Hinsicht mit JA erfolgen:
Ja, weil das Zusammenleben zwischen Mensch und Hund durch die immer engere soziale Verbundenheit auch konsequenterweise mehr soziale Reibung aufweist. Die allermeisten unserer Hunde leben heute – glücklicherweise – nicht mehr in Zwinger oder Scheune, sondern wohlbehütet und unmittelbar mit ihren Menschen zusammen. Dadurch entstehen allerdings auch mehr Reibungspunkte zwischen Hund und Mensch als dies früher der Fall war.
Ja, weil viele Menschen das Verhalten ihrer Hunde nicht wirklich verstehen und dadurch vieles fehlinterpretieren. Selbst die konstruktive Aggression bei Streitigkeiten zwischen zwei Hunden wird häufig als Tabu betrachtet und strikt unterbunden. Dass aber Aggressionsverhalten ein Kernmerkmal der sozialen Kompetenz darstellt, wird dabei einfach übersehen. Konstruktive Aggression muss allerdings "geübt" und damit erlebt werden, um sie anwenden zu können.
Ja, weil die Angst des Menschen vor Auseinandersetzungen mit dem Hund dessen soziale Entwicklung einschränkt. Hunde werden häufig überhaupt nicht mehr erzogen. Reglementierende Handlungen am Hund werden nicht nur vermieden und tabuisiert, sondern sogar mit Bestrafung und Gewalt gleichgesetzt. Stattdessen wird fleißig getrickst und gedealt, um ja nicht den Makel eines gewalttätigen Hundebesitzers zu erhalten.
Dabei sind konstruktiv gestaltete Auseinandersetzungen zwischen zwei Beziehungspartnern für die Beziehungsqualität elementar! Wir Menschen streiten auch mit unseren zweibeinigen Beziehungspartnern und haben im Rahmen dieser Auseinandersetzungen gelernt, unsere Positionen im Streitgespräch so zu vermitteln, dass sie durch unseren Partner zumindest respektiert werden. Umgekehrt haben wir auch gelernt, dass wir die Positionen unseres Partners zu respektieren haben. Nur so geht Beziehung! Sehr viele Hunde zeigen jedoch besondere Vorlieben für Respektlosigkeit. Das darf aber nicht den Vierbeinern angelastet werden, sondern ist das Resultat von erzieherischen Versäumnissen des Zweibeiners.
Viele unserer vierbeinigen Sozialpartner zeigen in dieser Hinsicht Beziehungsdefizite, weil der Mensch sich nicht (zu-)traut, seine Position im begründeten Einzelfall gegenüber dem Hund souverän durchzusetzen.
Ja, weil der Mensch noch immer nicht weiß, dass Hunde zwischen 16 und 18 Stunden am Tag Ruhe haben sollten. Galten noch vor 20 Jahren sehr viele verhaltensauffällige Hunde als unterfordert, treffen wir heute auf eine weit überwiegende Anzahl problematischer Hunde, die offensichtlich als überfordert gelten müssen. Innere Unruhe, Hektik und Nervosität sind oftmals klare Anzeichen von fehlenden Ruhe- und Erholungsphasen. Ein Hundebesitzer hat kaum ein schlechtes Gewissen, wenn er seinen Vierbeiner den ganzen Tag über vermeintlich Gutes tut, indem er ihn permanent beschäftigt und nicht nur damit ständig auf Trab hält. Das schlechte Gewissen ist aber sofort gegenwärtig, sollte mal – aus welchen Gründen auch immer – ein Spaziergang mit dem Hund ausfallen. Viele Zweibeiner müssen da einfach umdenken.
Ja, weil Hunde scheinbar immer aktiv(!) glücklich sein müssen und bloße Zufriedenheit als nicht ausreichend angesehen wird! Viele Menschen scheinen an einem aktiven Hund viel mehr Freude zu haben als an einem zufrieden herumliegenden Vierbeiner.
Ja, weil vor allem der ideologische Methodenstreit in der Hundeerziehung wenig nützlich ist und viel verwirrt! Hier treffen wir auf deutliche Parallelen zur Kindererziehung, bei der ja auch unterschiedliche Erziehungsstile ohne klares Ergebnis seit sehr vielen Jahren diskutiert werden.
Dann wäre da noch der alltägliche Stress. Er gilt als der hauptsächliche „Killer“ unserer Lebensqualität. Dabei ist ja Stress an sich nichts Schlimmes; vorausgesetzt die Dosis stimmt.
Zu viel Stress jedoch verhindert emotionale Zufriedenheit, lässt uns nicht wirklich zur Ruhe kommen, sorgt für Schlaflosigkeit und macht uns schlimmstenfalls sogar organisch krank. Da geht es unseren vierbeinigen Sozialpartnern keineswegs besser als uns Menschen.
Einfach gar nichts mehr tun, um dem Stress aus dem Weg zu gehen, funktioniert allerdings ebenso nicht – weder bei einem Mensch noch bei einem Hund. Denn auch Untätigkeit kann Stress auslösen, weil aktives Tun notwendig ist, um innere Zufriedenheit und damit Lebensqualität zu erreichen. Wir brauchen Stress zudem für den Erhalt der Funktionalität unseres Organsystems. Nichts tun ist damit nicht gut und zu viel tun ist auch nicht gut.
Emotionale Zufriedenheit und damit hohe Lebensqualität ist deshalb nur möglich, wenn sich ein Mensch in ausreichender Weise Zeit für sich selbst nehmen kann. Raus aus dem Hamsterrad und rein in die „meditative Hängematte“. Kraft und Gelassenheit schöpfen und dann – warum nicht – wieder rein ins „Hamsterrad“. Dabei zählt übrigens die gemeinsame Zeit mit dem Hund außerhalb des „Hamsterrades“ für beide Parteien zu den besonders schönen Momenten im Leben.
Doch genauso, wie wir Menschen uns immer wieder zwingen müssen, unsere lebensbereichernden Auszeiten auch wirklich zu beanspruchen, müssen wir unter Umständen auch unseren nervösen bis „überdreht“ wirkenden Vierbeiner zu Beginn eines Auszeit-Trainings ebenfalls verpflichten, zur Ruhe zu kommen. Nicht unerheblich ist dabei die Gewissheit, dass die Beziehungsqualität zwischen Mensch und Hund mittel- und langfristig zweifelsfrei optimiert wird. Gegenseitiges soziales Vertrauen ist dabei das Fundament.
Der erste Schritt auf dem Weg in ein glückliches Zusammenleben zwischen Mensch und Hund besteht allerdings in der nicht immer einfachen Aufgabe, ganz einfach umzudenken und den Blickwinkel dabei zu verändern. Der Mensch muss lernen, die wirklich wertvollen Inhalte des Lebens zu erkennen, zu selektieren und gemeinsam mit dem Hund zu erleben. Gelingt ihm dies, wird sich die Lebensqualität von Mensch und Hund gleichermaßen erhöhen. Mehr Zufriedenheit im Hundeleben reduziert letztlich auch das Risiko von Verhaltensauffälligkeiten.
Thomas Baumann