26/12/2023
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Sie möchte nicht in die Praxis. Wie angewurzelt steht sie an der Türe. Ein schwerer LKW rast in dem Moment scheppernd am Haus vorbei. Sie erschrickt. Weicht zitternd zur Seite.
Ich frage mich in solchen Momenten, was manches Lebewesen in seiner Geschichte alles erlebt haben muss, dass ihm fast schon der eigene Atem beängstigend erscheint. Wie mögen diese Tiere die Welt, in der sie aufwachsen, erleben, wenn so vieles, was sie bis dahin in ihr erfahren haben, ihnen zeigt, dass sie um ihr Leben fürchten müssen?
Viel zu oft erinnern mich solche Momente daran, dass wir Menschen in unserem Dasein das Gefühl und das Bewusstsein für das Empfinden andere Geschöpfe verloren haben. In unserer Welt hat nur das einen Platz, was sich in unsere Vorstellungen einfügt. Was nicht stört. Nicht belästigt. Nichts einfordert. Mitläuft.
Ich weiß um das Leben von Straßenhunden aus meiner eigenen Zeit in der Tierschutzarbeit. Ihrem Kampf um die eigene Daseinsberechtigung. Das Geld, das auf allen Ebenen mit diesen Tieren gemacht wird. Dem unguten Kreislauf, mit dem der Mensch immer mehr Tiere in diese Welt bringt. Und letztendlich auch um das Dilemma von Rettung aus dem Ausland und dem Belassen im eigenen Umfeld. Es sind Hintergründe, die auch meine Arbeit als Tierphysiotherapeut berühren, denn viele dieser Tiere, die nun hier ein liebevolles Zuhause gefunden haben, sind gesundheitlich angeschlagen.
In dieser neuen Welt braucht es Zeit. Zeit um Vertrauen aufzubauen. Zeit, um die Erfahrung zu ermöglichen, dass nicht von jedem neuen Reiz eine potenzielle Gefahr für Leib und Leben ausgeht. In meiner Praxis gibt es diese Zeit. Auch wenn das manchmal heißt, dass in den ersten Besuchen keine Behandlung stattfinden kann, Termine kürzer ausfallen oder gar abgebrochen werden müssen. Auch wenn das heißt, dass ich nicht sofort mit der eigentlichen Therapie starten kann. Es ist vielmehr eine andere Therapie. Es ist eine Therapie der Seele. Eine Therapie, die es ermöglicht, neue Reize anders zu bewerten. Sie positiv zu erfahren. Sie fordert auch mich heraus, unaufdringlich zu sein. Geduldig. Auch wenn in mir nichts größer ist als das Bedürfnis, diesem Lebewesen zu zeigen, dass es willkommen ist, sein darf, wie es ist, keine Angst haben muss.
Ich gehe in die Knie. Schaue an ihrem zitternden Körper vorbei, breite vorsichtig ein wenig die Arme zur Seite aus. Sie wagt eine Annäherung, schnüffelt an meiner Hose, den Schuhen. Berührt mit ihrer Nase meinen Handrücken. Das Zittern lässt nach. Ich spüre, wie sie sich vorsichtig an mich drückt.
Willkommen, flüstere ich ihr leise zu. Ich bin Hardy. Bald wird es dir besser gehen.