09/05/2019
So wahre Worte...
Die Sache mit der Sozialverträglichkeit…
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Von Hundebesitzern höre ich oft, dass sie beschimpft werden, wenn sie darum bitten, einfach ohne direkten Körperkontakt zwischen ihrem und einem fremden Hund, weiter ihres Weges gehen zu dürfen…
Meist fallen dann Sätze wie: „Ach. Ihrer ist wohl schlecht sozialisiert?!“
Auch ich erlebe dies oft.
Genau solche Sätze sind es, die anderen suggerieren, in der Erziehung des eigenen Hundes versagt zu haben, wenn er nicht uneingeschränkt und in jeder Situation freundlich zu jedem Hund ist.
Daher wundert es mich mittlerweile nicht mehr, dass fast jeder Hundebesitzer bei uns als erstes Trainingsziel den Wunsch äußert, dass sein Hund sozialverträglich werden solle.
Durch andere Hundehalter unterliegen sie dem unterschwelligen Druck, ihren Hund scheinbar zwanghaft dahin erziehen zu müssen, dass er sich sofort freundlich und spielbereit gegenüber jedem anderen Hund verhalten und aggressives Verhalten anderer Hunde einfach ignorieren soll. Untermauert wird diese Einstellung oft mit dem Argument, dass Hunde schließlich Rudeltiere seien.
Auch wenn es gelegentlich Hunde gibt, die genau so sind, ist diese Interpretation von „Sozialverträglichkeit“ dennoch eine Fehleinstellung, die viele Hunde niemals erfüllen können.
Hunde wissen nichts um die menschliche Definition von Sozialverträglichkeit. Und mal ehrlich, welcher Mensch mag schon jeden anderen Menschen? Hier haben wir also einen höheren moralischen Anspruch an unsere Hunde als an uns selbst.
Wir legen also den menschlichen Moralmaßstab (den wir selbst nicht erfüllen) an unsere Hunde an. Das ist unfair und verkennt die Realität: Der Hund ist ein domestiziertes Raubtier.
Und jetzt in aller Deutlichkeit für alle, die noch immer der Meinung sind, alle Hunde dieser Welt seien ein einziges großes Rudel und potentielle Spielpartner für den eigenen Hund:
Was erwarte ich von einem Raubtier, wenn es auf ein fremdes Raubtier trifft?
Wer darauf hofft, dass der eigene Hund ohne jegliches Management und Führung durch seinen Menschen immer freundlich bleibt, nie in einen Konflikt gerät und uneingeschränkt hundespielwiesentauglich ist, hat eine realitätsfremde Erwartungshaltung an seinen Hund.
Also kann man sich die Hoffnung auf Sozialverträglichkeit gleich sparen?
Nein, es ist eine Definitionssache.
Sozialverträglichkeit bedeutet nicht, dass ein Hund beim kleinsten Erahnen der Silhoutte eines anderen Hundes am Horizont, seinen Besitzer stehen lässt, jedes Rufen ignoriert um den fremden Hund mit Spielaufforderungen penetrant zu belästigen.
Sozialverträglichkeit bedeutet auch nicht, dass ein Hund sich in Lauerhaltung flach auf den Boden legt, entgegenkommende fremde Hunde anstarrt, nur um dann plötzlich los zu sprinten und (natürlich freundlich!) in die anderen Hunde zu brettern!
Wer solches Verhalten seines Hundes zulässt, ist auch als Hundebesitzer alles andere als „sozialverträglich“.
Sozialverträglichkeit des eigenen Hundes beginnt beim Besitzer und zwar mit der Einstellung niemanden belästigen zu wollen.
Ich definiere Sozialverträglichkeit für mich als Neutralität des Hundes gegenüber seiner Umwelt.
Dies bedeutet, dass er weder überdreht freundlich, noch aggressiv auf fremde Menschen oder Hunde reagiert. Eben einfach neutral, so als wären diese gar nicht da. Somit ist er weder eine Belästigung, noch ein Risiko für meine Mitmenschen und deren Hunde. Dies ist sehr sozialverträglich.
Auch ich habe Hunde (einen Malinois, zwei Jagdterrier, alles Rüden, alle unkastriert). Darunter einen, der nicht unter die öffentliche Definition von „sozialverträglich“ fällt.
Wie auch ich, mag er keinen Körperkontakt mit fremden Artgenossen und würde sicher auch wie ein Raubtier darauf reagieren, wenn ich ihn ließe.
Und nein, es liegt nicht daran, dass er schlechte Erfahrungen mit Artgenossen machte. Es liegt auch nicht daran, dass ich in der Erziehung versagt habe.
Ich kann die Einstellung eines Hundes zu anderen Hunden nicht mit Erziehung verändern. Ich kann ihm nicht anerziehen jeden fremden Hund sofort zu mögen. Ich kann seinen Charakter auch nicht durch Ausbildung verändern.
Wenn ein Hund unerlaubt ein Kommando verlässt, um mit einem anderen Hund zu spielen, käme niemand auf die Idee, dies als mangelnde Sozialverträglichkeit zu werten. Es wäre allenfalls Ungehorsam.
Nun… wie im Guten, so auch im Schlechten…
Demzufolge ist es ebenfalls nur Ungehorsam (und nicht mangelnde Sozialverträglichkeit), wenn ein Hund ein Kommando verlässt, um einen anderen Hund zu vermöbeln.
Das ist das, was jeder beeinflussen kann.
Den Gehorsam.
Nicht den Charakter.
Ein Arschlochhund bleibt auch nach dem besten Training ein Arschlochhund. Nur ist er dann eben ein Arschlochhund mit zuverlässigem Gehorsam.
Ich kann ihm (wie auch mir selbst) nicht aufzwingen, jeden zu mögen. (Wozu auch?)
Aber ich kann ihm beibringen, auf mich zu achten und fremde Hunde einfach zu ignorieren (wie ich es ebenfalls mit Menschen handhabe, die mir unsympathisch sind).
Ignorieren funktioniert allerdings nur so lange (wie bei uns mit unsympathischen Mitmenschen auch), wie vom Gegenüber kein direkter Kontakt aufgezwungen wird.
Wie würde wohl unsere Reaktion ausfallen, wenn uns ein Mensch, der uns grundlegend unsympathisch ist, Kontakt aufzwingt?
Sind wir dann auch schlecht sozialisiert?
(C) Juliane Lange (Hundeschule Potsdam)