08/04/2024
Immer und nie gibt’s nimmer und nie!
Sagen wir es so: die Sache mit den Hunden ist komplex😅.
Wie war das noch? „Immer“ und „nie“ gibt´s nimmer und nie!?
Bei Hunden sind irgendwie alle Profis.
Jahrelange Hundehaltung verleiht das Gefühl, alles zu kennen. So viele Informationen im Netz geben den Anschein, alles zu wissen. Das so viel mehr dahinter ist, als man trotz all der Information denkt, ist oft gar nicht klar. Ich weiß ja gar nicht, was ich alles nicht weiß, wenn ich zu wenig weiß, um die Komplexität eines Themas zu durchdringen.
Das ist normal und es ist auch völlig ausreichend, als Hundebesitzer*in über den eigenen Hund genug zu wissen, um gut miteinander auszukommen.
Es ist spannend und schön, sich auch darüber hinaus zu informieren. Lernen macht einfach Spaß!
Und ja, es gibt viel zu wissen und zu sagen über Hunde – und das meiste muss in Relation gesehen werden. Nicht jede Aussage ist immer auf alles zu beziehen und wir Trainer*innen können gar nicht genug relativieren.
Es scheint aber typisch menschlich zu sein, dass wir pauschale Aussagen wollen.
Grundsätze, Regeln die immer gelten, Schubladen und Parolen.
Geht mir auch so! Ich glaube, jede*r erwischt sich da mal. Früher war es zum Beispiel: „Ein Hund, der einmal ein Kind beißt, muss eingeschläfert werden! Punkt“.
Und das ist immer schon weder richtig noch falsch gewesen. Es kommt eben drauf an, in welcher Situation welches Kind gebissen wurde. Was geschah zuvor, was für ein Hund war es, wohin wurde gebissen, wie stark wurde gebissen, wurde nachgesetzt, war es Aggression oder Jagdverhalten, wurde geschüttelt, oder, oder, oder? Alles wäre möglich! Es kann sein, dass der Hund total friedlich und freundlich ist und es absolut keinen Grund gibt, daran zu zweifeln. Es muss nur das ein oder andere im Haushalt geändert werden und schon passiert sowas sicherlich nie wieder.
Es könnte sein, dass derselbe Hund in einer anderen Familie völlig unauffällig weiterleben würde, ohne die geringste Veränderung im Umgang oder am Hund. Genauso könnte es sein, dass der Hund brisant gefährlich ist und untragbar in jederlei privatem Umfeld. Es könnte sogar sein, dass er tatsächlich eingeschläfert werden sollte.
Alles vom Umstellen eines Hundekörbchens im Wohnzimmer in eine andere Ecke bis zum Einschläfern des Hundes wäre möglich.
Man kann es nicht pauschal sagen! Diese Aussage hat sich heutzutage tatsächlich meist relativiert. Leider wurde sie aber stattdessen durch tausend andere Pauschalaussagen ausgewechselt, die keinesfalls besser sind.
Die heutigen „nie´s“ und „immer´s“ sind meist sorgenvoll für den Hund denkend.
Nicht dass noch eine*r was falsch macht.
„Man darf den Hund nie von oben auf den Kopf fassen“, „der Maulkorb muss maximal tief sein“, „Hunde dürfen nie Kontakt an der Leine“ haben usw.
Und alles das stimmt eben nicht immer, sondern nur meistens.
Es kommt darauf an! …Es gibt Hunde, die es lieben, von oben auf den Kopf gefasst zu werden. Sie mögen es sogar explizit mehr als alle anderen Berührungen.
Es kommt darauf an, WER es tut. Es kommt darauf an, in welchem Moment man es tut. Es kommt darauf an, wie die Körperhaltung des Menschen ist, während dieser den Hund anfasst. Es kommt darauf an, wie die Mimik des Menschen dabei ist, oder wie und ob er spricht.
Es ist wichtig, ob der Hund Menschen kennt, welche Rasse oder Typ er ist, welche Erfahrungen er gemacht hat, wie alt er ist, wie seine Persönlichkeit ist, wie sein Gesundheitszustand ist usw., usw. Ein Maulkorb kann auch mal extra nicht maximal tief sein dürfen, damit der Hund sich nicht verletzt, niemand anderes verletzt wird, oder er nicht abrutschen kann, weil er sich festhakt. Wer Maulkörbe nur als Vorsichtsmaßnahme kennt, um seinen Hund im privaten Rahmen auf Spaziergängen abzusichern, der kennt lange nicht alle Einsatzmöglichkeiten eines Maulkorbes.
Ein Forum in Internet ist kein Ersatz für Erfahrung in den Bereichen, in die die allermeisten Menschen keinen Einblick haben.
Wer seinem schnappenden Hund so ein Hilfsmittel kaufen möchte, hat andere Vorgaben und Notwendigkeiten, als wenn ein*e Tierheimmitarbeiter*in mit einem extrem gefährlichen, großen Hund arbeiten soll, der bei Attacken ins Gesicht springt und versucht, sich blitzschnell Finger durch die Gitterstäbe zu angeln.
In einer Raufergruppe kann ein zu tiefer Korb oder ein falsches Material genauso schlimme Schäden anrichten wie ein zu enger Korb.
Selbst die zu Recht verhasste Maulschlaufe kann bei einem kurzen Einsatz in der Tierarztpraxis absolut sinnvoll sein.
Wer hat denn schon auf dem Zettel, dass ein bissiger Hund eventuell eine Granne in der Nase haben könnte?
Ja, und da muss man dann ins Nasenloch schauen können, ohne dass der Hund beißen kann.
Und manchmal ist es für die zehn Sekunden der Spritze auch ganz schön, als Helfer*in, die den Kopf des Hundes auf dem Tisch hält, nicht einen Metallkorb ins Gesicht geschlagen zu bekommen, wenn der Hund sich wehrt. Die Alternative wäre, den Hund so fest im Gesicht zu packen, dass er es sicher noch ungemütlicher findet und die Besitzer*in ganz bestimmt nicht begeistert wäre.
Es kommt eben darauf an.
Und dass auf jeder Infoseite wiederholt wird, dass „größer“ immer besser ist und der Hund im Maulkorb am liebsten noch einen Purzelbaum schlagen können muss – das sorgt für genauso schlechtsitzende, unsichere und scheuernde Maulkörbe und verspannte Nacken von Hunden wie zu enge Maulkörbe, die drücken und abschnüren.
Beides blöd. Man muss hinsehen und wissen, was es alles an Optionen gibt, bevor man ein Urteil über etwas fällen kann, was man nicht einmal zur Gänze kennt. Es lassen sich auch nicht alle wissenschaftlichen Erkenntnisse einfach auf alles übertragen und das „ich hab da eine Studie gelesen“ heißt nicht, dass man damit alles dazu weiß. Selbst wenn die Studie toll und richtig ist und auch richtig gemacht wurde und dementsprechend auch im wissenschaftlichen Bereich ernst zu nehmen ist.
Beispiel: Wenn Menschen in einer Studie das Jonglieren besser lernen, wenn sie für Fortschritte gelobt werden, dann kann man noch lange nicht daraus schließen, dass Lob grundsätzlich alles besser macht.
Bei der Studie kamen die Menschen freiwillig dazu und es ist üblich, dass für die Teilnahme an einer Studie eine finanzielle Aufwandsentschädigung gezahlt wird. Die Menschen waren also selbstgewählt dabei und erwarteten ein Lob bereits für die reine Teilnahme.
Von ihrer Persönlichkeitsstruktur waren sie grundsätzlich zu neuen Erfahrungen bereit, sonst hätte sie sich gar nicht freiwillig gemeldet.
Die Versuchsleiter*innen hatten zudem keine persönliche Beziehung zu den Teilnehmenden und die soziale Komponente war dementsprechend völlig anders als in einer Mensch-Hund-Beziehung.
Und zu guter Letzt wurde das Einüben einer motorischen Handlung als Beispiel verwendet, keine Verhaltensänderung, keine soziale Reaktion oder Interaktion, sondern nur ein körperlicher Bewegungsablauf, den die Menschen spannend fanden und der ihnen sinnvoll vorkam.
Nicht jedem Hund kommt alles, was er lernen soll sinnvoll vor.
Nicht alles ist selbstgewählt – und motorische Bewegungsabläufe zu erlernen, ist eben etwas völlig anderes wie das Ablegen einer komplexen und emotional belegten Verhaltensreaktion.
Die pauschale Aussage „man lernt besser durch Lob“ ist also falsch und die Studie ist trotzdem richtig – wenn man ihre Voraussetzungen mit berücksichtigt. Mich macht es manchmal ein bisschen wahnsinnig, wenn ich all die harschen Anweisungen und Gesetze lese und höre, die sich in der Hundewelt unreflektiert ausbreiten und mit einer Vehemenz weitergetragen werden, die an Aggression grenzt.
„Ich weiß das, ich hab das gelesen!“.Ein großer Teil meiner Ausbildung, meines Berufsweges und meines Lebens allgemein bestand und besteht immer noch darin, mich zu ertappen, wenn ich pauschal werde. Ich weiß eben, dass man meistens nicht alles weiß. Dass viele Themen deswegen ein Studium und Erfahrung erfordern, weil sie nicht eben mal in einer schnellen Zusammenfassung zu begreifen sind. Dass es Informationen gibt, von denen ich noch nicht einmal begreifen kann, dass sie wichtig wären, um wirklich verstehen zu können, egal wie überzeugend mein Wissen bereits scheint.
Dieser Prozess des Relativierens und Hinsehens ist anstrengend. Schubladen machen es einfacher, das steht fest.
Aber Schubladen, die fest verschlossen sind und einen Aufkleber mit „weiß ich alles, brauch ich nicht mehr drüber nachdenken“ tragen, die verhindern Wachstum und Verständnis.
Es ist nicht schlimm, nicht alles zu wissen und nicht alles beurteilen zu können.
Niemand kann das und niemand muss das.
Man darf fragen, neu abwägen, Überzeugungen in die Tonne treten, die schon da waren.
Das ist Lernen. In vielen Seminaren habe ich das erleben dürfen und war und bin immer tief beeindruckt. Feedbacks, in denen ein „darüber muss ich erstmal nachdenken!“, „ich glaube, da muss ich Dinge neu planen, die ich seit zwanzig Jahren so gemacht habe“, oder „das möchte ich ausprobieren!“ sind die tollsten Komplimente für mich nach dem Seminar.
Neugier und geöffnete Köpfe und Gedanken sind tausendmal besser als das Gefühl, jetzt wirklich alles zu wissen. Und ich habe so mutige und tolle Menschen kennengelernt, deren Neugier eine bemerkenswerte Offenheit zu lernen bereitgestellt hat, die ich nur bewundern kann. Ich danke allen diesen Menschen! Ihr seid mir ein Vorbild! Bleiben wir also alle offen, sammeln immer weiter Informationen und seien wir nicht zu hart und fest in unseren Urteilen, in unseren Regeln und Vorgaben, denn vielleicht lernen wir irgendwann dazu, dass noch mehr gab als wir dachten. Denn vielleicht nicht immer, aber zumindest meistens ist das eine gute Idee 😉
Dieser Beitrag darf gerne von dieser Seite und im Ganzen geteilt werden, alle Rechte daran verbleiben aber bei der Autorin Maren Grote.