13/01/2021
Alle Jahre wieder oder warum Weihnachtsbäume kein Futter für Pferde sind!
Petra Wolf
Das Schmücken eines Weihnachtsbaums in der Wohnung gehört mit zu den häufigsten weihnachtlichen Traditionen; allein in Deutschland werden jährlich mehr als 26 Millionen Weihnachtsbäume gekauft. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um eine Nordmanntanne (Abies nordmanniana), die sich durch nicht stechende Nadeln von dunkelgrüner Farbe und mit glänzender Oberfläche auszeichnet. Beliebt ist auch die Blaufichte (Picea pungens), die ihren Ursprung in Nordamerika hat und ihren Namen dem hohen intensiven Blauanteil der Nadeln verdankt. Die Nadeln der Edel- oder Nobilistanne (Abies nobilis bzw. A. procera) sind blaugrün und damit weniger intensiv gefärbt. Die Fichte (Picea abies) hat hingegen dunkelgrüne, nur mäßig stechende Nadeln. Alle diese Bäume gehören zu den Koniferen der Familie Pinaceae; Kieferngewächse): Sie enthalten sowohl in der Rinde wie auch in den Nadeln ätherische Öle. Einige von ihnen (Monoterpene wie das Bornylactetat, a- und b-Pinen, b-Phellandren und Camphen) werden im Humanbereich aufgrund ihrer hyperämisierenden sowie expektorierenden Effekte zu Einreibungen, bei Erkrankungen der Atmungsorgane, bei Rheuma und Muskelschmerzen (z.B. in Franzbranntwein) eingesetzt. Aufgrund dieser Wirkungen werden mitunter auch „ausgediente Weihnachtsbäume“ Pferden angeboten – häufig mit dem Argument, die Extrakte aus der Fichte seien im Winter ja auch beim Menschen gut gegen Erkältungen. Und da man bei Pferden die eben genannten Wirkstoffe nicht in extrahierter Form hat, bietet man den gesamten Tannenbaum mit den entsprechenden Wirkstoffen als Futter an. Bei dieser Vorgehensweise nimmt der Pferdebesitzer unweigerlich in Kauf, dass die Tiere dann auch unerwünschte ätherische Öle aufnehmen können. Zu den bekanntesten gehört das Terpentinöl, welches bei Aufnahme größerer Mengen zu einer Beeinträchtigung der Gesundheit des Pferdes führen kann. Die klinischen Symptome sind dabei vielfältig: Häufig kommt es bei Aufnahme durch das Pferd zunächst zu örtlichen Reizwirkungen an der Maulschleimhaut des Tieres, die durch die mechanisch erzeugten Läsionen beim das Kauen der Nadeln noch verstärkt werden. Diese verletzten Bereiche werden nicht selten sekundär bakteriell besiedelt, was dann zu einem fauligen Geruch aus dem Maul des Pferdes führt. Wegen der massiven Durchblutung der Schleimhäute kann es insbesondere im Kehlgangsbereich zu einer Einengung der Atemwege
- verbunden mit Atemnot (pfeiffende Atemgeräusche) - kommen. Mitunter stehen die Pferde auch mit gesenktem Haupt da und zeigen eine starke „Salivation“, d.h. der Speichel läuft ihnen aus dem Maul, wenn der Gehalt an Terpenen vorherrscht. Die akuten Vergiftungserscheinungen äußern sich in einer Gastroenteritis (Magen-Darm-Entzündung) und in zentralnervösen Störungen, die sich mitunter in einem Einknicken der Hinterhand zeigen können. Andere ätherische Öle mit geringerem Terpengehalt bewirken Koliken, evtl. sogar eine Leberdegeneration. Da die Ausscheidung dieser Verbindungen im Wesentlichen über die Nieren erfolgt (größtenteils an Glukuronsäure gebunden), kommt es häufig auch zu Nierenschädigungen. Das Auftreten dieser klinischen Symptome hängt wie bei allen „Giften“ von der aufgenommenen Menge ab: kleine Mengen können möglicherweise nützen, mittlere Mengen können schaden, große Mengen führen zum Tode. Aufgrund fehlender Dosis-Wirkungs-Versuche ist man für eine nähere Einschätzung auf Fallberichte angewiesen. In diesen werden häufig nur die klinischen Symptome ohne genaue Angabe der tatsächlich aufgenommenen Menge beschrieben. Das Zupfen eines Pferdes an einer Tanne während des Ausritts im Wald ist mit Sicherheit in den Bereich der „kleinen Mengen“ einzustufen. Anders hingegen, wenn ganze Tannenbäume auf dem Paddock „entsorgt“ werden. Pferde, die als Steppentiere viele Stunden des Tages mit dem Grasen beschäftigt sind, nehmen dann, um dieser Nahrungsaufnahme gerecht zu werden, aber wohl auch aus Langeweile, evtl. sehr große Mengen davon auf. Bei einem Pferd, das im Winter auf einem schneebedeckten Paddock stand, auf dem mehrere Fichten angeboten wurden, traten nach mehrtägiger Aufnahme „größerer Mengen“ an Fichtenzweigen Salivation, Hyperämie der Schleimhäute, eiterige und ulzeröse Maulschleimhautveränderungen, zentralnervöse Ausfallerscheinungen wie Stupidität und Ataxie sowie Dyspnoe (Atemnot) auf. Trotz sofort eingeleiteter Therapie (Infusionen, Leberschutz) in einer Klinik konnte das Pferd erst nach 2 Monaten als vollständig geheilt bezeichnet werden.
Aufgrund der Tatsache, dass eine pharmakologisch erwünschte Wirkung bei oraler Aufnahme mehr als fraglich, eine lokale Reizung und Entzündung der Schleimhäute im Gastrointestinaltrakt hingegen eher wahrscheinlich und zentralnervöse Störungen und schwere Nieren- und Leberschädigungen sogar möglich sind, ist auf ein übermäßiges Angebot „ganzer ausgedienter Weihnachtsbäume“ an Pferde zu verzichten, während kleinere Mengen hingegen problemlos vertragen werden.
Noch risikoreicher als Weihnachtsbäume sind allerdings Zweige aus Gestecken und Türkränzen, da es sch hierbei mitunter um hochgiftige Pflanzen wie z.B. Eibe handelt. Jeder Pferdebesitzer sollte daher stets kritisch prüfen, was er seinem Pferd nach dem Fest als „Leckerbissen“ gibt.
Literatur:
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Hiller, K., Melzig, M. (2003): Lexikon der Arzneipflanzen und Drogen, Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg, Berlin
Kersten, W. (1994): Allergische Atemwegserkrankungen in der holzverarbeitenden Industrie. Allergologie 17, 55-60
Meyer, H., Coenen, M. (2002): Pferdefütterung, Parey, Berlin
Rau, G. (2006): Giftpflanzen erkennen – Vergiftungen vorbeugen. Pegasus, 74-75
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