30/03/2023
Lesenswert :)
Es ist wieder Zeit…für ernste Themen…
Die Geschichte vom Eimer und dem Salzstreuer…oder… „Das konsumieren von Tieren…“
Wir müssen aus der Praxis berichten, wir, die Hundeberufler, die Meutemacher, die Trainer, die Tierärzte und auch die Veterinärämter. Wir haben es prophezeit, dass die Hundewelt eine andere werden wird, wir haben es geahnt, aber was wir derzeit erleben, toppt alles Vorstellbare. Und es wird schlimmer.
Jetzt könnte man uns Jammern auf hohem Niveau unterstellen, wir haben doch zu tun, gerade in der krisengeplagten Zeit keine Selbstverständlichkeit. Stimmt. Aber so einfach ist es nicht.
Wir haben uns alle vor langer Zeit dazu entschieden, unsere Leidenschaft und das, was wir wirklich gut können, zum Beruf zu machen. Wir alle sollten eigentlich ein Ziel haben: Menschen zu helfen, um Hunden zu helfen.
Jetzt verändert sich unser Berufsbild, wir müssen uns rasend schnell an die neuen Gegebenheiten anpassen, kommen kaum hinterher, es brennt an jeder Ecke.
Wir Hutas haben täglich Anfragen von gerade angeschafften Welpen, die ab gestern Vollzeit in die Betreuung sollen. Fast nur noch blaue oder merle Hunde. Qualzuchten, als Clowns für die Familie. Rassemixe, Hybriden wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten. Statussymbole. Gerettete und totgeliebte Tierschutzhunde.
Aber auch von Menschen, die sich in 6 Monaten einen Hund anschaffen wollen, dies wohlüberlegt tun, aber keine Betreuungsplätze mehr bekommen, keine Pension für den Urlaub, alles voll. Tierärzte nehmen auch keine Neukunden auf. Und dann gibt es auch ganz normale Hundehalter, wenige, aber es gibt sie. Noch. Anfragen über Anfragen.
Und …hmhh, ich würde sagen…70%, Tendenz steigend…haben ernsthafte Probleme mit ihren Hunden und brauchen weit mehr als eine Hundetagesstätte.
Schon im Erstgespräch hören wir Probleme wie häusliche Kontrolle, Leinenaggression bis zum Übersprungsbeissen, Artgenossenunverträglichkeit usw.
Es wird kein Besuch mehr empfangen zuhause, denn das mag der Hund ja nicht. Wahlweise schreddern sie den Besucher oder lassen ihn erst gar nicht rein oder rasten so aus, dass danach eine Renovierung ansteht („aber er freut sich doch so“).
Hundehalter sitzt auf dem Klo, während der Hund ihm die Beine abschleckt. Hunde rasten in der eigenen Spielstraße so aus, dass man nur noch nachts um 4 spazieren geht, weil es schlicht zu peinlich ist. Wohnungseinrichtung zerstört, den Hund mal alleine lassen, nein das geht nicht, das mag er nicht. Sein Futter mag er auch nicht, deswegen wechselt man es täglich.
Der Hund als Lebensmittelpunkt.
Der Hund als Psychohygiene, Seelentröster, Sportpartner, Beschäftigung für die Kinder, Nabel der Welt und das gleichzeitig. Wir werden überschüttet mit Hundezubehör, in allen Farben und Formen, täglich gibt’s neue Produkte. Nur die Maulkörbe, die mag man nicht so gerne.
Ein sehr gefährlicher Trend entwickelt sich. Wir heben den Hund auf eine Ebene, der er nicht gewachsen ist. In keiner Form.
Gleichzeitig wird seine Genetik komplett wegignoriert, wofür der Hundetyp ursprünglich gemacht wurde, interessiert schon lange niemanden mehr. Die Farbe und der eigene optische Anspruch sehr wohl. Muss ja auch schön aussehen in der Nachbarschaft. Muss passen zum Tessla und zum Steingarten. (Sorry, bisschen Klischeeschublade, ich kenne sehr nette Tesslafahrer).
Wo wir beim Eimer und beim Salzstreuer wären.
Hunde wollen Soziales. Sie brauchen menschliche Liebe nicht in dem Sinne, wie wir sie eimerweise über ihnen ausschütten. Sie brauchen Menschen, die ihnen Räume nehmen, um ihnen zu mehr Freiheit zu verhelfen.
Hunde finden Erfüllung in Struktur und Mikrokommunikation, vor allem untereinander. ( Aber lernen können wir Menschen das auch.)
Stattdessen darf der Hunde einfach alles, jederzeit und immer. Es wird ihm ein Eimer mit bedingunsloser Liebe über den Kopf gestülpt und damit hat er gefälligst umzugehen. Sie sollen dankbar dafür sein und gehorsam und bitte auch zurück lieben. Aber nicht peinlich sein oder gar genetisch oder irgendwie rassespezifisch und schon gar nicht: Zähne! Zähne ist ein no go.
Genetik eigentlich auch.
Und weil es uns so egal ist, schmeißen wir extrem zähe Herdenschutzhunde mit ernsten Gebrauchshunden und überdrehten superfröhlich Jagdhunden in eine Gensuppe und rühren kräftig durch. Immer eine Prise Dilute oder Merle oder Albino oder whatthef**k mit rein. Und dann immer nur Liebe drüber: Katastrophe vorprogrammiert.
Wir erleben sehr oft Hunde, die bei körperlichem Eingriff ihrer Besitzer (und das ist oft nur ein unangekündigtes Anfassen) völlig unangemessen reagieren. Wir sehen in den Trainings Menschen mit zerbissenen Händen, die sich damit abgefunden haben. Wir sehen Hunde, die uns beim Aufnahmegespräch ins Gesicht gehen („Ich hoffe Du bist bissfest?“) Und ganz besonders Hunde, die strategisch gelernt haben, Angst und Unsicherheit als Verhaltensstrategie einzusetzen, weil ihre Menschen dann sofort in Anteilnahme und Mitleid zerfließen und dabei immer was gutes rausspringt.
Wir sehen völlig verzweifelte Menschen, die bei etlichen Trainern und Tierärzten falsch beraten wurden und sich mit den Zähnen ihres Hundes arrangiert haben. Oder Menschen, die glauben einen gefährlichen Hund zu haben, weil seine angemessene Kommunikation in einer schlechten Hundeschule als Aggression gewertet wurde. Hund stigmatisiert, Mensch verzweifelt.
Und weil das nicht gut gehen kann, einen Hund, der z.B. dazu gezüchtet wurde, von Rindern getreten zu werden, oder sich im Zweikampf einem anderen Tier zu stellen, nur mit eimerweise Liebe zu erziehen, vor jeder Berührung höflich um Erlaubnis zu fragen und bloß niemals Nein zu sagen, häufen sich die Beißvorfälle. Hunde verstehen ihr Gegenüber nicht mehr, können hündisches nicht mehr von menschlichem unterscheiden, und Hilflosigkeit äußert sich bei Hunden nun mal immer in extremen Verhaltensketten.
Je nach Genetik mal mehr, mal weniger Zähne.
Ups.
Angenommen, Dein Kind und Du seid im Supermarkt. Schlechte Stimmung, Gequängel, Generve, endlich zur Kasse. Da will das liebe Kleine dann unbedingt noch einen Kinderriegel aber Dir reichts jetzt und du sagst Nein.
Kind fängt an zu brüllen, Kasse ist voll, superpeinlich. Du bleibst aber dabei, ist ja klar. Kind wirft sich auf den Boden, ist knallrot, kreischt und erstickt fast, während es sich den Kinderriegel reinstopft.
Was tust du? Holst dir eine Packung Raffaello und tauschst, damit Ruhe ist?
Angenommen, Du lebst in einer Partnerschaft. Stell dir vor, dein Partner würde dir jeden Tag Rosen schenken, dir täglich sagen tausend mal sagen dass er dich liebt, dich immer anlächeln und dir permanent jeden Wunsch von den Augen ablesen?
Immer wenn du rüberguckst grinst er dich d***l an und sagt „Was ist denn Schatz? Was kann ich für dich tun Schatz?“. Wie schnell hättest du genug von eimerweise Liebe?
Wie viel schöner es ist, wenn Kinder lernen, dass Schokolade an der Kasse etwas besonderes ist und sich dann umso mehr darüber freuen und wie schön es ist, wenn man sich in menschlichen Beziehungen auf Augenhöhe begegnet, sich mal aneinander reibt, voneinander lernt, streitet und liebt.
Ich benutze Metaphern zum Vermenschlichen, weil das ja das Problem ist und man mir so eher zuhört.
Wir machen uns Sorgen um all diese Menschen mit ihren grenzenlosen, übergeliebten, gemixten Pulverfässchen im Hundekostüm.
Hoffen, dass sie doch noch an die richtigen Trainer geraten, die richtigen Tierärzte, die richtigen Betreuungsformen.
Und ein bisschen mehr Genetik googeln. Im besten Fall vor dem Hundekauf.
Natürlich möchten wir auch den Menschen und ihren Hunden helfen, die einen Fehler in der Anschaffung gemacht haben, diese Suppe aber jetzt auslöffeln wollen. Mit Maulkörben, guten Tierärzten (Merle, Dilute, Albino 😉) und der Metapher: nehmt dem Hund den Eimer Liebe vom Kopf, füllt ihn mit Verbindlichkeiten, mit Sozialem und mit Führung und schüttet davon einfach immer und regelmäßig etwas über ihm aus. Und Eure Liebe füllt ihr in einen Salzstreuer und benutzt diesen auch so. Ihr werdet mit einem glücklichen Hund belohnt, versprochen. Und das ist es doch, was wir alle wollen, oder?
Wir werden weiter kämpfen und hoffen, dass wir irgendwie das Ruder noch rumreißen, bevor in den Tierheimen wieder offiziell euthanasiert wird. Inoffiziell passiert das längst, Tendenz aller Langzeitinsassen steigend, Stellen zur Aufbewahrung extrem gefährlicher Hunde alle voll. Kollegen voll, Veterinärämter löschen Brände wo sie können, aber das Personal reicht längst nicht.
Wir möchten uns bedanken bei den vielen guten Kollegen die wir haben, Dogwalker, Pensionen und Hutas und bei unseren tollen Tierärzten und Vet Amt. Wir haben das Gefühl, dass wir gemeinsam vernetzt viel schaffen können, und ein bisschen davon abfangen, was da gerade passiert.
Nicht bedanken möchten wir uns bei denen, die nur das schnelle Geld verdienen wollen und Menschen falsch beraten. Hundeschulen, die mit Gewalt arbeiten, gehen absolut nicht!!! Ihr erschafft mit eurem Starkzwang in den falschen Händen tickende Zeitbomben- auf hündischer und menschlicher Ebene.
Genauso wenig gehen die, die sich nicht eingestehen können, dass die eigene Grenze im Hundetraining erreicht ist und mit fragwürdigen Methoden dafür sorgen, dass die Hunde fehleingeschätzt nach vorne gehen.
Ihr habt eine Verantwortung, also tragt sie auch!
Verweist an andere Hundetrainer, wenn Ihr nicht weiter wisst, anstatt Euch im Selbstversuch zu testen.
Bildet Euch fort.
Arbeitet ZUSAMMEN, nicht gegeneinander.
Helft den Menschen schnell, es brauchen zu viele Hilfe, anstatt monatelang Methoden zu verkaufen.
Und wenn es keine Veränderung bei den Hunden und Menschen gibt, hinterfragt Euch.
Bietet ihnen häusliches Programm, Soziales, Beschäftigung, Gemeinsames, das brauchen wir alle in unserer heutigen Gesellschaft.
Passt Eure Konzepte an die jetzige Zeit an, wir haben das doch alle gelernt in den letzten Jahren.
Hört auf um Insta Follower zu kämpfen, darum geht’s in dieser Realität gerade am allerwenigsten.
Kompetenz beginnt da, wo Kompetenzgerangel aufhört.
Deswegen: seid fair mit den Hunden. Und mit Euren Kunden auch.
Euer Team Rheinrudel