25/08/2024
*Fallbericht aus dem Praxisalltag : Die dramatische Geschichte von einer kleinen Kämpferin, der Zwergziege „Kalea“*
Die kleine Zwergziege „Kalea“ war erst vor gut einer Woche, zusammen mit ihrem kleinen Lamm, in ihr neues Zuhause im Westerwald eingezogen, als sie plötzlich eine, zunächst unspezifische Verschlechterung ihres Zustands zeigte, weniger fraß und zunehmend schwächer wurde. Trotz großer Bemühungen seitens der Besitzer und einer ersten tierärztlichen Visite im heimischen Stall konnte sie schon bald nicht mehr aufstehen und musste in liegender Position in unsere Praxis verbracht werden.
Bei der erneuten Untersuchung wurde festgestellt, dass „Kalea“ an einer schweren Anämie, also Blutarmut, litt. Dieser Umstand erklärte zweifellos ihren desolaten Zustand. Die wahrscheinlichste Ursache bei kleinen Wiederkäuern, also Schafen und Ziegen, für eine solche Blutarmut lag schnell auf der Hand: Haemonchus contortus, der rote gedrehte Magenwurm, ein Magen-Darm-Parasit, der große Probleme verursachen kann. Der Parasit ernährt sich vom Blut seines Wirts und kann so in kurzer Zeit lebensbedrohlich werden.
Dabei war die kleine Patientin vorberichtlich frisch entwurmt aus Süddeutschland gekommen, aber offensichtlich war die vorangegangene Entwurmung nicht wirkungsvoll- mehr dazu weiter unten.
In diesem Fall war eine erneute, gezielte Entwurmung natürlich dringend notwendig, aber allein damit konnte „Kalea“ nicht gerettet werden. Die einzige Möglichkeit, ihr Leben zu bewahren, war eine sofortige Bluttransfusion.
Die Besitzer zögerten nicht, und glücklicherweise kam schon bald „Luise“ zur Rettung, ebenfalls eine Zwergziege und neue Freundin von „Kalea“. Sie spendete das dringend benötigte Blut- wenn auch widerwillig und unter großer Aufregung für alle Beteiligten. Anschließend wurde das gewonnene Blut der kleinen Patientin übertragen, was erst unter genauer Beobachtung auf eine mögliche Reaktion geschah, und letztlich jedoch erfolgreich durchgeführt werden konnte.
Diese wirksame, und in einem solchen Fall einzige Therapie führte dazu, dass „Kalea“ schon wenige Zeit später ihren Kopf wieder hob und auch begann, die ihr vorgelegte Ziegendelikatesse - Haselnusszweige - zu fressen – ein sehr gutes Zeichen! Große, aber vorsichtige Erleichterung bei allen Involvierten!
Noch am selben Tag kehrte „Kalea“ nach Hause zurück und schaffte es dort sogar bereits, aus eigener Kraft wieder aufzustehen. Ihre fürsorgliche Besitzerin verbrachte die Nacht im Stall, um sie im Auge zu behalten, aber alles verlief ohne weitere Zwischenfälle und so verbrachte die kleine Ziege, neben ihrem Lamm, nach den Strapazen eine erholsame Nacht.
Am Folgetag kam „Kalea“ erneut zur Nachuntersuchung in unsere Praxis. Sie war unvergleichlich viel munterer und bei zunehmenden Kräften. Mit viel Elan unterhielt sie das begeisterte Praxisteam und lief schließlich selbstständig aus der Praxis hinaus, dem Haselnusszweig hinterher, in das Auto, das sie zurück nach Hause brachte.
Diese Geschichte nahm einen dramatischen Anfang, aber wendete sich schlussendlich dem Guten zu!
Dennoch handelt es sich hierbei leider nicht um einen Einzelfall, weshalb unsere Tierärzte noch einmal die Wichtigkeit eines korrekten, individualisierten Entwurmungsmanagements bei kleinen Wiederkäuern betonen möchten.
Die zunehmende Resistenzentwicklung der Parasiten, bei zeitgleicher Stagnation in der Erforschung neuer Wirkstoffe, stellt große Herausforderungen an das Weidemanagement. Eine regelmäßige, pauschale Entwurmung aller Tiere ist genauso veraltet wie Sammelkotproben der gesamten Herde; im Gegenteil, es verschärft die oben beschriebene Problematik drastisch! Die Untersuchung von Kotproben und darauffolgende selektive Anwendung der Entwurmungsmittel hilft, die Wirksamkeit der vorhandenen Wirkstoffe bestmöglich zu bewahren.
Bei Fragen hierzu stehen wir gerne zur Verfügung.
Es wird noch eine Weile dauern, bis „Kalea“ wieder bei vollständigen Kräften ist, aber Dank des wachsamen Auges der Besitzer, der schnellen Intervention und der Spende ihrer Freundin „Luise“ kann „Kalea“ nun weiter genesen, wofür wir ihr von Herzen weiterhin alles Gute wünschen!
Ps zur Erklärung ihrer gelben Fellverfärbung am Kopf: die Eingabe von diversen Medikamenten ins Maul lässt „Kalea“ (zum Leidwesen ihrer Besitzer 😊) inzwischen nicht mehr ganz freiwillig über sich ergehen, weshalb die kleine Maus es lieber wehrhaft umher schmiert. Für uns Tierärzte aber ein gutes Zeichen – denn sture Ziegen sind gesunde(nde) Ziegen! 😉
PPS: die Fotos der Blutröhrchen zeigen den Anteil der festen Bestandteile im Blut (rot) und den Anteil der Flüssigen Bestandteile (klar) - der rote Anteil sollte eigentlich 30% des Rohrchens ausmachen.