17/11/2024
Glattgebügelt
In einer Welt, die nach Perfektion strebt, wird das Glattgebügelte zur neuen Normalität. Auf Bildschirmen, in Supermärkten, in sozialen Medien und letztlich auch in unseren Köpfen haben wir uns eine Matrix geschaffen, die weder uns selbst noch unserer Umwelt oder unseren Beziehungen guttut: Ein makelloses Gesicht auf Instagram, das durch einen Filter gejagt wurde. Die Äpfel im Supermarkt, die so symmetrisch und glänzend sind, dass sie fast wie Plastik wirken. Die perfekt aufgeräumte Wohnung mit dem cleanen Look, in der kein einziges Haar aus der Designerdecke hervorschaut. Selbst der Hund, der in die Familie aufgenommen wird, muss ins Konzept passen – hübsch, pflegeleicht, „instagrammable“. Alles ist geglättet, zurechtgebogen, makellos, schablonös.
Besonders bei Hunden sorgt dieser Märchenwelt-Zeitgeist für eine erschreckende Entwicklung, welche es dem besten *Freund des Menschen* langsam aber sicher unmöglich macht, weiterhin als solcher zu gelten. Wir holen uns eine Hunderasse ins Haus, die uns optisch gefällt oder die gerade im Trend liegt, und erwarten dann, dass der Hund sich unseren Vorstellungen komplett anpasst. Plötzlich soll der Herdenschutzhund freundlich jeden Fremden an der Tür willkommen heißen, obwohl sein genetischer Code ihn dazu antreibt, Haus und Familie zu beschützen. Der Weimaraner, der über Jahrhunderte für die Jagd gezüchtet wurde, soll gefälligst nicht mehr jagen wollen, weil es „unpraktisch“ ist. Und der Malinois, der Bewegung und geistige Auslastung braucht, soll immer ruhig in der Ecke liegen und kaum bis keine Mühen machen – Hauptsache, er sieht gut aus auf Instagram.
Diese Erwartungen sind nicht nur unrealistisch, sie sind auch unfair. Hunde sind Lebewesen, keine Schablonen, welche man sich zurechtschneiden kann. Ihr Verhalten ist u.a. tief in ihrer Rassegeschichte und ihrem individuellen Charakter verwurzelt. Den eigenen Hund in eine Form zu pressen, in die er gar nicht passt, kann weder ihm gegenüber gerecht noch unserer Beziehung zuträglich sein.
Vielleicht wäre es an der Zeit, hier umzudenken. Statt einen Hund zu wählen, der ins perfekte Bild passt und dessen unpraktisches Verhalten wir gewohnheitsmäßig in Form zu quetschen versuchen, sollten wir uns fragen, ob WIR zu DIESEM Hund passen. Welche Bedürfnisse hat diese Rasse? Welche Eigenschaften bringt sie mit, und wie harmoniert das mit unserem Alltag? Ein bisschen mehr Ehrlichkeit – mit uns selbst und mit dem Hund – und eine große Schippe weniger Matrix könnte helfen, die Beziehung zu bereichern, statt sie zu belasten.
Und vielleicht könnten wir im Zuge dessen auch versuchen, nicht alles glattbügeln zu wollen, und mehr lernen, das Rauhe und Echte zu schätzen. Das Unsymmetrische, das Chaotische, das, dem Charakter innewohnt, das Leben – in all seiner Schönheit. Und uns selbst. Denn – und das wissen wir doch alle - hinter den weichgezeichneten Gesichtern der Influencer verbergen sich Augenringe, Pickel und Fältchen – Leben eben. Das makellose Obst ist überzüchtet, genormt und geschmacklos. Die „perfekte“ Wohnung wird eine halbe Stunde nach dem Foto wieder von der Realität eingeholt, wenn das Kind die Bauklötze durch die Gegend wirft oder der Partner seine Socken in die Ecke schmeißt.
Die Wahrheit liegt in den Falten. In den Kratzern auf der Lieblingskommode, welche alte Geschichten erzählen. In dem Apfel mit der kleinen Delle, der trotzdem süß und saftig ist. In dem Gesicht, das lacht und dabei wunderschöne Falten zeigt, weil es schon viel gelacht hat. Glattgebügelt mag hübsch aussehen, aber es ist flach, ohne Tiefe, ohne Seele.
Vielleicht sollten wir lernen, die Unebenheiten zu feiern. Nicht nur bei anderen, sondern auch bei uns selbst. Denn erst wenn wir die Falten und Ecken annehmen, beginnen wir, die wahre Schönheit zu sehen – die, die nicht glatt, sondern echt ist.