19/01/2022
Weil auf den Post zur Mähroboter-Studie leider immer noch verharmlosende und sogar verleugnende Kommentare gab, wiederholen wir gerne noch mal unseren Post aus dem September: Besuch auf einer Igelstation:
Kaum auszuhalten - Igel leiden still
Es ist etwas völlig anderes, immer wieder auf die Gefahren durch Motorsense, Fadenschneider und Mähroboter hinzuweisen, als die schrecklichen Folgen dieser Geräte dann auch tatsächlich an den Tieren zu sehen.
Ich durfte gestern die Arbeit einer Igel-Pflegestelle vom Tierschutzverein Meerbusch begleiten. Jetzt haben diese Verletzungsbilder auch ein Gesicht für mich. Es sind Bilder, die ich nicht mehr aus dem Kopf bekomme.
Es ging zu wie in der Notaufnahme eines Krankenhauses. Ein Igel wurde eingeliefert, so schwach, dass er nicht mal mehr den Einroll-Reflex zeigte. Er zerfloss förmlich in der Hand. Die kleinen Augen halb geschlossen ergab er sich seinen Verletzungen. Igel sterben leise, so erklärte man mir. Erst wenn sie sich sicher fühlen, so wie in dieser Pflegestelle, beginnen sie zu wimmern. Auch dieses Geräusch hat mich bis in den Schlaf verfolgt.
Der kleine Igel war über und über mit Maden befallen. Nichts für schwache Nerven. Die Bilder erspare ich euch. Wie die ehrenamtlichen Igelpfleger das jeden Tag aushalten, weiß ich nicht. Irgendetwas muss ihn geschwächt haben, dass er solch eine Angriffsfläche bietet, erklärte man mir. Die Maden wurden entfernt, das Tier eingehend untersucht. Dann entdeckten die Pfleger den wahren Grund für den geschwächten Zustand: eine schwere Verletzung. Ein glatter Schnitt am Nacken, der sich schon geschlossen hatte. Fadenschneider. Kein Zweifel. Später musste dieser Igel zum Tierarzt, in Narkose würde der Abszess geöffnet werden. Seine Überlebenschancen 50:50.
Ich bekam Videos gezeigt, bei denen ich ganz tief durchatmen musste: Einem Igel waren von einem Mähroboter die Vorderbeinchen abgetrennt worden, einem anderen die Hinterbeinchen. Sie hatten sich im amputierten Zustand noch in den Nachbargarten geschleppt und kamen dann zur Igelhilfe, die in manchen Fällen auch nicht mehr helfen konnte. Seitdem glaube ich niemandem mehr, der behauptet, „sein Roboter täte nichts, denn er habe noch nie einen verletzten Igel im Garten gefunden“ Seit gestern weiß ich: Igel leiden leise, schleppen sich in ihrer Not irgendwie vom Verletzungsort weg, so dass der Gartenbesitzer sie niemals findet. Und dann munter weitersenst oder Robi laufen lässt.
Etwa 20 Gäste sind aktuell in der Igelstation, die – wie so ziemlich alle – komplett ehrenamtlich und ohne irgendwelche Zuschüsse arbeitet.
Einigen Patienten geht es schon wieder besser, sie werden bald ausgewildert. Manche können nicht mehr an ihren Fundort zurück, weil viele Gärten einfach zu gefährlich geworden sind. Gifte, Schneckenkorn, zahlreiche Gartengeräte mit messerscharfen Klingen. So kommen sie auf eine Igelwiese – eine verwilderte riesengroße Streuobstwiese, die die Stadt zur Verfügung gestellt hat. Dort sind sie sicher, geschützt und finden genügend Nahrung.
Aber ist es nicht ein Armutszeugnis, dass es solche geschützten Wiesen überhaupt geben muss? Warum ist es so schwer, Igeln wenigstens ein verwildertes Eckchen im Garten zur Verfügung zu stellen: mit Laubhaufen, Totholz (als Käferhabitat) und Reisighecke? Warum sind so viele Gärten so insektenarm, dass Tierfreunde Igel regelmäßig mit Katzenfutter zufüttern? Für viele Tiere ist das zwar bitter nötig, keine Frage. Aber Wildtiere mit Fleisch aus der Massentierhaltung füttern? Irgendetwas ist doch da gewaltig aus dem Ruder gelaufen!
Ein weiteres Verletzungsopfer liegt in der Nachbarbox, offenbar durch städtische „Pflegemaßnahmen“ verunfallt. Die Jungs sind ja gerade wieder mit ihrer Armada aus Laubsaugern und den Geräten mit messerscharfen Klingen unterwegs. Bis auf den Boden wird alles abgesäbelt. Ohne Rücksicht auf Verluste. Ein skalpierter Rücken? Oh sorry, Kollateralschaden.
Ich habe gestern nur einen winzigen Ausschnitt aus der Arbeit mitbekommen, die Igelstationen überall leisten. Sie kehren die Scherben auf von dem, was viele Menschen zerstören. Mutwillig, gleichgültig oder unwissend.
Hiermit spreche ich offiziell all denen meine tiefe Hochachtung aus, die retten, was zu retten ist. Ehrenamtlich, oft 24/7, am Rande der Erschöpfung und vielleicht auch mit Schaden an ihrer Seele.
Ob wir das Ruder noch rumreißen können? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.
Bitte erzählt allen von diesen Grausamkeiten. Ermutigt sie, mal wieder einen stinknormalen Rechen zur Hand zu nehmen und die Heckenschere. Und wenn irgendjemand jemanden bei den städtischen Grünflächenämtern kennt: Bitte haltet ihnen die Bilder von skalpierten Igeln unter die Nase (gibt es überall im Netz) Und was die Mähroboter angeht: Vielleicht hilft hier wirklich nur noch ein Hammer…
Ich bin unendlich wütend, weil dieses Leid wirklich vermeidbar ist. Traurig, weil sich die Igel gerade von uns verabschieden. Und verzweifelt, weil ich nicht weiß, was ich dagegen machen kann, außer aufzuklären. Immer und immer wieder...
© Text: www.summende-gaerten.de
© Foto Igelhilfe Schöffengrund Weilmünster