18/02/2023
Thema heute: (prophylaktische) Kastration von weiblichen Kaninchen und warum man sie wirklich, wirklich in Erwägung ziehen sollte.
Den Spruch "die vermehren sich wie die Karnickel" haben wir vermutlich alle schon mal gehört, kaum einer weiß jedoch, warum bzw. wie diese kleinen Tiere so unheimlich produktiv sein können. Das Geheimnis heißt (unter anderem): Induzierter Eisprung.
Wir Menschen haben, wenn alles gut läuft, einen Zyklus. 28 Tage, Eisprung, 28 Tage - plusminus. Auch Hunde haben einen Zyklus, wenn er auch deutlich länger dauert. Eins ist uns gemein: Wir können nur zu bestimmten Tagen im Zyklus schwanger oder eben trächtig werden.
Bei Kaninchen läuft das anders. Bock springt auf, löst einen Eisprung aus und juhu, ihr Kinderlein kommet. Da ist nichts mit 30% Chance und auch nur wenn der Zyklusstand passt und die Sonne richtig zum Saturn steht. Zu 99% gilt: ein Schuss, ein Treffer. Für Kaninchen ist das ein Überlebensmechanismus, denn je mehr Nachkommen ich habe, desto weniger schlimm ist es, wenn einzelne davon gefressen werden - zumindest aus Sicht des Arterhalts. Also sind diese Tiere evolutionär so gestaltet, dass sie ständig trächtig werden können und sollen und genau da liegt der Hase auch im Pfeffer: Unsere Haustierkaninchen sollen das nämlich üblicherweise nicht, daher kastrieren wir die Böckchen oder halten Mädelsgruppen um das zu verhindern. Was wichtig und richtig ist - nur bevor hier einer auf die Idee kommt ich würde Vermehrung aus gesundheitlichen Gründen gutheißen.
Bedauerlicherweise (zumindest in diesem Fall) interessiert die Evolution sich überhaupt nicht dafür, was wir wollen und zieht ihr Programm durch. Ein anderes Kaninchen reitet auf? Eisprung. Egal ob Bock oder Weib, ob Deckversuch oder Dominanzgehabe. Mensch krault am Rücken? Eisprung. Bei jedem Eisprung fährt der ganze Hormonapparat hoch, bildet die Gebärmutter um, gibt neue Anweisungen an die Eierstöcke, ändert eventuell das Verhalten und richtet sich auf Babys ein.
Und dann? Passiert nichts.
Also fährt der Körper wieder runter, baut alles wieder zurück und wenn es blöd läuft, kommt einige Tage später die nächste Runde.
Bei Katzen ist es übrigens das Gleiche, allerdings tun sie sich den Gefallen meist sehr lautstark rollig zu werden. Und zwar so lautstark und so penetrant, dass die Fraktion der Besitzer, die die Katze gern ein Mal rollig werden lassen wollen (warum auch immer..), meist an Tag 2 mit Augenringen in der Praxis steht und notfallmäßig einen Kastrationstermin will😉
Dieses Hin und Her birgt Risiken. Häufig bleibt die Gebärmutter irgendwann angebildet, es gibt Entzündungen, Zellen verändern sich, relativ häufig kommt es zu Krebs. Wie oft ist noch unsicher, in Studien an Kaninchen kamen Wahrscheinlichkeiten von 3-95% raus - allerdings lagen die Studien, die wirklich vermehrt ältere Haustierkaninchen untersucht haben und nicht etwa Jung- oder Wildtiere, deutlich im oberen Bereich. Unter den Heimtiermenschen gilt: untersuche eine unkastrierte Kaninchendame im Alter über 8 gründlich und du wirst eine veränderte Gebärmutter finden. Wenn nicht, guck nochmal genauer. Punkt.
Oft gibt es aber auch schon mit 2 oder 3 Jahren problematische Veränderungen (teils auch früher!) und leider sind diese im Frühstadium häufig nicht so einfach zu bemerken. Manchmal sieht man die Gebärmutter im Röntgen, dann ist eigentlich schon was faul. Manchmal sieht man etwas im Ultraschall, manchmal kann man etwas tasten. Der "Normalfall" ist allerdings leider, dass sie sehr spät erkannt werden, oft auch erst, wenn Tumore bereits in andere Organe gestreut haben. Besonders häufig ist die Lunge betroffen, spätestens dann haben wir verloren und können das Kaninchen nur noch erlösen. Übrigens zeigen längst nicht alle betroffenen Kaninchen ständige Scheinträchtigkeiten, das ist also kein verlässliches Symptom.
Eine mögliche Lösung: Die Kastration. Raus mit den Eierstöcken, meist auch raus mit der Gebärmutter.
Es ist eine radikale Lösung. Es ist eine Bauch-OP mit Narkoserisiken, es kann zu Wundheilungsstörungen kommen, zu Infektionen, auch mal zu Verklebungen im Darmbereich, die später Ärger machen können. Aber im Prinzip ist es Statistik: Die Wahrscheinlichkeit an Gebärmutterkrebs oder einer unerkannten Entzündung zu sterben oder im Not-OP u landen, ist höher, als die OP-Risiken. Und sterben ist das eine, aber so eine veränderte Gebärmutter ist schmerzhaft und macht dem Tier Stress - wir wissen ja nun zu Genüge, wie unfassbar leidensfähig Kaninchen sind und welcher Rattenschwanz (Stichwort Zähne) da dran hängen kann.
Leider ist diese Entscheidung eine, bei der man erst hinterher weiß, ob es richtig war. Gibt es Komplikationen bei der OP, verflucht man sich dafür, dass man sich so entschieden hat. Sind erst mal Metastasen in der Lunge, verflucht man sich, dass man nicht anders entschieden hat. Aber bitte befassen Sie sich mit dem Gedanken, informieren Sie sich und treffen Sie die Entscheidung aktiv und nach bestem Wissen und Gewissen.
Das beste Alter für diese OP ist übrigens ab 6 Monaten bis ca. 1 Jahr, hier ist das Fett um die Gebärmutter noch nicht so ausgeprägt, alles ist noch recht klein und fein und die Tiere üblicherweise gesundheitlich fit. Und achten Sie bitte darauf, dass der Eingriff in einer Praxis durchgeführt wird, die die entsprechenden Kenntnisse hat und eine gute Narkose fahren kann. Erzählt ein:e Kolleg:in irgendwas davon, dass er/sie das so selten macht, weil die so häufig bei der OP sterben, holen Sie sich bitte eine Zweitmeinung bei einer Praxis mit entsprechenden Fortbildungen. Wir legen jede Woche mehrere Kaninchen in unterschiedliche Narkosen und kann Ihnen versichern: Man kann wirklich sehr, sehr viele Dinge tun um das so sicher wie möglich zu gestalten. Natürlich kommen wir nie auf ein Risiko von 0 und ich will auch nicht verschweigen, dass ich einmal ein scheinbar gesundes Tier operiert habe, das 2 Tage nach der OP plötzlich starb (Grund ungeklärt) - aber durch ein gutes Management und moderne Narkosen liegen wir bei Todesfällen im Bereich 0,x% und damit deutlich unter der Wahrscheinlichkeit einer Krebsdiagnose.
Noch ein Wort zu den Kosten: Die Kastration eines weiblichen Kaninchens ist keine Bagatell-OP. Es handelt sich um eine Bauch-OP bei einem höchst empfindlichen Tier, das eine besondere Überwachung braucht, Venenzugang, Infusion, Sauerstoff von Einleitung bis Aufwachen, ein saugutes Wärme- und Lagerungsmanagement, eine gut kontrollierte Aufwachphase mit assistierter Fütterung, eine nahezu perfekte Schmerzausschaltung mit gleich mehreren Schmerzmitteln - das kann es nicht für 200 Euro geben. Wie hoch die Kosten genau sind, kommt auf den Schwierigkeitsgrad der OP (also unauffällige Gebärmutter vs. hochgradig veränderte), das Gewicht des Kaninchens (Narkosemedikamente), Dauer der Narkose und eventuellen Komplikationen an. Wenn Ihnen aber eine Kostenschätzung deutlich unter 500 Euro vorliegt (Stand 02/2023!), dann sollten Sie schauen, welcher der oben genannten Punkte fehlt und überlegen, ob es die Ersparnis wert ist. Und das ist "nur" die finanzielle Untergrenze - fragen Sie also vorher ihre:n Tierärzt:in und kalkulieren Sie lieber eine Ecke mehr ein, auch wenn es finanziell weh tut.
Bei Fragen oder Anregungen können Sie, wie immer, gern Kontakt aufnehmen oder einen Termin vereinbaren.
Wir wünschen ein schönes Wochenende!