25/06/2024
Eine laaaaangen Text verfassen!
*Annehmen und Wachsen – wenn das Zukunftspferd krank wird*
Ich bin seit 25 Jahren als Ausbilderin im Pferdebereich tätig. All dies ermöglichte mir mein damaliger Weggefährte Hannibal, ein Haflinger, durch den ich viel lernte und mit dem ich schließlich meine Trainerprüfungen im Westernreiten (Trainer C und Trainer B) absolvieren konnte. Beim Kauf eines Nachwuchspferdes wollte ich Alles richtig machen. Ich hatte große Pläne und Ziele. Ich wollte mir einen Namen machen. Auf Turnieren starten, auf Shows wie Nordpferd oder auch der Hansepferd reiten, mich beweisen. Und so kaufte ich einen Jährling aus guter Zucht (!) einer seltenen Rasse (wenn schon keine Sonderfarbe, dann besondere Fanbase - Frederiksborger) mit sehr guten Noten in der Fohlenschau, Elterntieren mit klarem Kopf. Die Ausbildung wollte ich dokumentieren, Videos drehen…immer schön viele Fotos für die sozialen Medien machen….
Es kam anders. Auf der Hengstkoppel hatte er einen Einschuss und Fieber- seine Entwicklung verlief langsamer und er blieb irgendwie immer ein bisschen dünn. Naja, manche Jungpferde brauchen halt ein bisschen sagte ich mir. Das kommt schon noch. Es folgte Kastration und Umzug in den Offenstall: er verstand Selbsttränke und Heunetze nicht, konnte zuerst nicht mit dieser „Technik“ umgehen, war rangniedrig, unbeholfen und immer ein bisschen schwächlich und blieb weiterhin zu dünn. Charakterlich war und ist er ein Traum, und die großen Pläne, die ich mir für uns vorstellte schienen mir erreichbar. Ausgesprochen aufmerksam, lerneifrig, freundlich, menschenbezogen- so wie Frederiskborger eben sind. Bestimmt nur ein Spätentwickler. Das würde schon werden. Als er dann 4 Jahre alt war, nagte aber unterschwellig schon die Sorge an mir: er war zwar immer größer geworden- sogar größer, als ich und der Züchter es gedacht hatten, aber er nahm nicht zu. Er fraß langsamer als die Haflinger und Freiberger, er war wählerisch beim Futter, er blieb dünn. Blutuntersuchungen, Futterberatung, unterschiedliche Futtermittel, Zahnkontrolle, Entwurmung – nichts half.
Anreiten ,Anhängerfahren, Straßenverkehr, Zirkuslektionen – er lernte unfassbar schnell und leicht, er war immer voller Eifer und Begeisterung dabei. Aber er stolperte auch ständig und muskelte einfach nicht auf, es stagnierte reiterlich, die Selbstzweifel nahmen zu. Obwohl ich jede Menge Kurse in Bodenarbeit und Hangbahntraining gab, mich als Sattelfitterin hatte ausbilden lassen und mit Reitunterricht gut ausgelastet war: der große Entwicklungssprung hin zum großen Auftritt kam einfach nicht. Der Hals blieb dünn, der Körper knochig und eckig, die Galopp-Schrittübergänge wurden einfach nichts: wenig werbewirksam.
Die inneren Zweifel wurden riesengroß. Ich absolvierte weitere Trainerausbildungen mit Akado: die TGT-Thegentletouch_Methode von Peter Kreinberg, Bodenschule, Reiten, - das Feedback war gut, ein bisschen half mir das. Ich redete mir wieder gut zu: „Der ist Spätentwickler, geduldig bleiben, noch kleinschrittiger, den Galopp hinten anstellen. Aber der Trab wurde schlechter, Stolpern, Taktfehler in der Hinterhand kamen dazu. Mehr Unterricht, Sitzschulungen bei Sibylle Wiemer- und es ging nicht voran. Stattdessen: reiterlich wurde es schlimmer! Bewegungen unrunder, Genick fester, Brustkorb hängend. Huforthopädin, Osteopath, Zahnkontrolle, selektive Entwurmung, Futterberechnung, Offenstall, Sattelfitting, Sitzschulung, Reitunterricht… Ich tat doch alles für ihn, warum bekam ich nicht das zurück, was ich wollte? Das Traumpferd, das perfekt ausgebildete Jungpferd, die Visitenkarte des Trainers- alles Murks.
Inzwischen weiß ich, was uns Probleme machte.
Man sagt, „Reiten bildet den Charakter“- ich würde auch sagen, der Umgang mit Pferden führt zur Selbstreflexion. Zur Ehrlichkeit mit sich selbst. Zum Erkennen der eigenen Werte und Ziele- und was ich bereit bin, dafür zu geben. Fragen, die ich mir stellte, waren: „Bin ich gut genug?“ „Was, wenn Alles, was ich für gut halte, gar nicht stimmt?“
„Wenn ich mein Ziel (Turnier, Messeauftritt, Namen machen) mit diesem Pferd nicht erreichen kann, was dann? Geht es mir wirklich nur um mein Ego?“
Und dann kam die Auflösung all der Rätsel- einerseits eine Erleichterung, andererseits ein Schrecken.
Akados Probleme lagen an mehreren schlimmen Erkrankungen: unerkanntem Infundibularkaries, seine Zähne im Oberkiefer waren kariös, ausgehölt, entzündeten sich und platzten wie kleine Bomben in seinem Kiefer auseinander. Die Auffälligkeiten beim Fressen, die immer schlechtere Rittigkeit, Festigkeit im Kiefer und Genick… kein Wunder. Er hatte durch seinen ständigen Hunger viel Sand gefressen, was sich schließlich in einer heftigen, lebensbedrohlichen Sand-Gas-Kolik mit Darmverdrehung entlud, er wurde operiert und etwa 12 kg Sand aus dem völlig verstopften Darm entfernt. Drei Mal hat er in Vollnarkose gelegen, all der Schmerz und der Streß hat Spuren hinterlassen, die für immer bleiben werden.
Und so kam ich an ein ganz neues Kapitel an Fragen!
„Bin ich bereit, meine Wünsche hintenanzustellen?“ „Was bedeutet mir die Bindung an mein Pferd?“ „Auf wieviele Dinge mag ich verzichten, worauf nicht?“ „Werde ich meine Verpflichtung ernst nehmen auch wenn ich nicht mehr von meinem Pferd profitiere?“
Wenn man ehrlich mit sich selbst ist, lernt wie groß der eigene Ehrgeiz, die eigene Demut oder die Fähigkeit zur Akzeptanz einer Situation ist.
Ich habe Antworten auf viele meiner Fragen gefunden. Ich bin gut genug. Er hat Muskeln aufgebaut, seine ganze Körperform hat sich verändert, sein Rücken hat sich entwickelt, der Brustkorb wird nun getragen, er stolpert nicht mehr, die Lahmheiten der Hinterhand sind verschwunden.
Meine Ziele haben sich verändert- er hat in seinem Leben viel Schmerz, Hunger und Stress erlebt- eine Messe oder ein Turnier werde ich ihm nicht mehr zumuten. Mein Ego ärgert das, ja. Ich würde gerne einmal vor Publikum zeigen, was ich kann- aber das ist zu viel für ihn, das ist es nicht wert. Nur weil ein Pferd etwas zeigen und leisten kann, so bereitwillig arbeitet und sich hergibt- muss man wirklich Alles aus den Pferden herausholen, nur weil es funktioniert? Pferde sind meist zu gutmütig, um Nein zu sagen. Es ist meine Verantwortung, ihn zu schützen. Auch vor meinem eigenen Ehrgeiz.
Was bedeutet mir meine Bindung an mein Pferd? Einerseits ist sie enger geworden- andererseits habe ich gemerkt, dass diese Verantwortung mich auch extrem belastet, so habe ich den Schritt gemacht und habe mir eine Pflege- und Reitbeteiligung gesucht, die mir „freie Tage“ verschafft und dafür sorgt, dass ich das Leben abseits der Pferde nicht aus den Augen verliere.
Ich weiß, dass ich für ein, zwei Jahre durchaus bereit bin, Anforderungen an mein Pferd zurückzuschrauben. Damit zufrieden bin, es lebendig und schmerzfrei zu sehen, spazieren zu gehen, Bodenarbeit zu machen. Ich habe aber auch gelernt, dass ich gerne reite, es mir fehlt und ich mit einem völlig unreitbarem Pferd auf Dauer wohl nicht glücklich wäre. Meinen unmöglichen, witzigen, zähen, sensiblen Tollpatsch und Überlebenskünstler hergeben?- Nein. Vermutlich würde ich das Pferd eines anderen Reiten und mit meinem Akado spazieren gehen.
Ich kann nur jedem ans Herz legen, sich mit diesen Fragen auseinander zu setzen, wenn eine ernsthafte Diagnose im Raum steht. Zu unterscheiden, was euer Vergnügen, euer Bedürfnis ist.
Was sind eure Bedürfnisse, und was braucht das Pferd, um ein Pferd zu sein? Ist die Haltung so, dass es ein interessantes, bedürftnisorientiertes Leben in einer Sozialstruktur, in der es sich wohl und sicher fühlt hat, auch ohne Bewegung durch den Menschen? Was ist ein lebenswertes Leben für ein Pferd? In welchem Zustand hat das Pferd welchen Wert für mich?
Was darf ich meinem Pferd an Leidensweg zumuten, für eine Chance auf welche Art von Leben? Habe ich Angst vor dem Schmerz des Verlustes oder besteht wirklich die Hoffnung auf Besserung und ein gutes Leben?
Kann ich Leiden bei meinem Pferd erkennen und beurteilen, ob es wieder besser wird, die Mühsal sich lohnt? Was erwarte ich von einem Pferd und was macht es- langfristig- mit mir, wenn diese Erwartung nicht erfüllt wird? Wie und als was sehe ich mein Pferd? Wie unveränderbar sind meine Ziele? Würde ich eher meine Ziele austauschen oder das Pferd?
Der Umgang mit Pferden zeigt uns, wie wir sind, wenn wir uns trauen hinzusehen. Wie reagiere ich auf Druck, auf Enttäuschung, auf Angst? Welche Art von Entscheidungen treffe ich, egoistische oder altruistische? Was ziehe ich für mich selbst aus dem Umgang mit Pferden? Egoboost, Daseinsberechtigung, Partnerersatz? Über all diese Dinge könnte man weitere Texte schreiben- aber das soll als Denkansatz erst einmal reichen.
Schreibt mir gerne, was ihr von euren Pferden gelernt habt!