22/12/2024
Da muss er durch!
Na, wer hat das schon einmal gehört, gesagt oder auch nur gedacht? Ich behaupte mal, viele Hundehalter sind mit diesem Standardsatz vertraut. Dieser Spruch hält sich hartnäckig wie so viele verstaubte Weisheiten und ich finde, die olle Kamelle kann was.
“Da muss er durch!" entspricht zu hundert Prozent den Tatsachen, wenn man es - Achtung, Trommelwirbel - auf den Halter anwendet!
Da wir alle freiwillig in den Club der Hundehaltung eingetreten sind, dürfen wir uns diese angestaubte Parole gerne wie ein Mantra täglich aufsagen.
“Ich kann, ich will, ich muss da durch!"
Wir dürfen da durch, dass Hunde nicht innerhalb von fünf Minuten Handauflegen prognostizierbar gemacht werden können, wir müssen da durch, dass sie eigene Bedürfnisse haben, die von unseren abweichen und wir sollten da durch, weil unsere Hunde es verdient haben.
Was macht es mit dem Hund, wenn Wunsch und Wirklichkeit auseinanderdriften?
Ob es jetzt der Wunsch ist, dass zum Beispiel der Herdenschutzhund im Biergarten artig unterm Tisch seine Gene wegatmet oder der neu adoptierte Tierschutzspanier, der morgens erst vom Flughafen abgeholt wurde, sofort vier Stunden alleine im unbekannten Zuhause bleiben muss - wir müssen da durch, dass das Ignorieren von Bedürfnissen beim Hund eine Reaktion hervorruft. Eventuell auch eine, die richtig Durchschlagskraft hat. Solche “da muss er durch” Szenarien sind vergleichbar mit einem ABC Schützen, der an seinem ersten Schultag prompt mit den Gedichten von Rilke konfrontiert wird oder mit dem Überflieger von morgen, der auf dem Spielplatz Kopfrechnen üben muss. So etwas könnte schon für einen Ausflipper sorgen, oder? Da muss er durch, der Hoffnungsträger von morgen, oder vielleicht doch eher nicht?
Fehler sind die Baustellenschilder auf unserem Weg zum harmonischen Miteinander.
Natürlich gehört der gelegentliche Tritt ins Fettnäpfchen mit ins Repertoire der Hundeerziehung. Niemand ist perfekt und Lernen ist ein Prozess, bei dem es gelegentlich im Getriebe knirscht. Wie oft und wie heftig es knirscht, das liegt allerdings an uns. Damit kann man doch arbeiten. Wir haben es in der Hand, ob wir ein Problem groß aufziehen oder motiviert durch gelegentlichen Misserfolg postwendend in die Lösungsfindung einsteigen. Selbstbestimmt raus aus dem selbstgemachten Dilemma! Wir müssen auch nicht gekränkt sein, weil wir aus unserer Sicht zwar alles versucht haben, der Hund aber dennoch ein Hund bleibt, der schlichtweg anders tickt als wir.
Niemand hat übrigens jemals ALLES probiert. Das magische ALLES ist lediglich ein Synonym für drohende Resignation, weil der Halter den Marathon der Hundeerziehung auf drei Kurzsprints herunterbrechen möchte. Aber - wir wissen ja nun, da muss er durch, der Mensch!
“Wie soll er denn da durch?” - also der Hund!
Wenn schon behauptet wird, der Hund müsse wodurch, dann sollte die Frage nach dem WIE zuerst geklärt werden.
Im Erziehungsflow und Ausbildungswahn kollidieren nicht selten die selbst auferlegten Ziele mit dem, was der Hund in der jeweiligen Entwicklungsphase überhaupt ableisten kann. Es ist sinnvoll, sich darüber im Klaren zu sein, wie das Zusammenleben mit seinem Hund in den nächsten Jahren aussehen soll. Man tut allerdings gut daran, seinen Plan einem regelmäßigen Update zu unterziehen. Je nach Hundetyp darf auch ein stündliches Update gefahren werden - Flexibilität als Kernkompetenz sozusagen. Da müssen wir durch!
Wenn eine Trainingssituation sich zum Beispiel nachteilig für das angestrebte Lernziel verändert, weil die Umwelt dazwischen funkt, dann darf der Halter die Aufgabenstellung den neuen Umständen anpassen oder die Situation einfach verlassen.
Banal, wenig glamourös, aber hoch effizient!
Wenn mir jemand das Wasser im Schwimmbecken ablässt, dann werde ich nicht den dreifachen Salto vom Zehner versuchen, sondern lieber eine solide Bodenübung auf der Matte vorziehen. Auch wenn der Sprung vom Zehner auf der Agenda stand.
Es geht nicht immer nur ums Aushalten, ums Durchturnen, sondern vielmehr um Vertrauenserhalt. Ich bringe meinen Hund nicht wissentlich in eine Situation, für die es keine gute Lösung gibt. Die mentale Unversehrtheit ist ein hohes Gut, das es zu bewahren gilt. Das darf der Halter berücksichtigen, wenn es wieder heißt “Da muss er durch!”
Hausgemachte Themen erkennen und verbessern - los geht’s!
Wenn ich an drei Tagen in der Woche auf die selbe Hundewiese wackele und mein Hund dort feini Platz und Bleib lernen soll und mir an diesen drei Tagen immer wieder der lustige Freilaufpaule in meinen Hund hinein ballert, somit ein Üben und Lernen boykottiert, dann könnte ich durchaus stutzig werden. Ich könnte mich fragen, ob ich den Rest der Woche mit diesem Muster fortfahren möchte oder ob ich erkennen mag, dass es eventuell andere Optionen gibt. Wenn man täglich gegen eine Wand läuft, ist die Wand nicht schuld. Wenn man diese Nummer alleine fabriziert, dann viel Spaß damit. Sobald aber der Hund der Leidtragende ist, sollten wir unser da durch Müssen überdenken. Unsere Hunde sind Meister der Mustererkennung, wir könnten uns durchaus ein Scheibchen davon abschneiden.
Ein Justieren der eigenen Agenda ist kein Versagen am Hund!
Heimgehen statt artig ein befohlenes SITZ in der Gefahrenzonen auszuhalten, wird dem Hund nicht zwingend die Weltherrschaft zuschustern. Ein pädagogisches Unentschieden zum Zwecke der Gesichtswahrung (beim Hund, der Halter darf da ja durch) können wir Menschen doch mal ertragen, oder? Alles eine Frage der eigenen Stabilität und Souveränität.
Kratzt es den Halter am Ego, dass er sein “da muss er durch!” in eine Papiertüte atmen musste, dann liegt es an ihm, den Trigger zu einem Dimmer zu machen. Der Halter könnte dem inneren Feldwebel zuhören und ihn dann auf stumm schalten.
Der innere Monk darf da alleine durch, wir verlassen den Kasernenhof!
Der Mensch bleibt ein verlässlicher Entscheidungsträger - das ist die Botschaft für den Hund! Schließlich müssen auch unbequeme Entscheidungen getroffen werden, dazu braucht es Größe und Weitblick. Solange mein Hund gestärkt, verstanden und gesund aus der jeweiligen Situation herauskommt, kann ich mit dem Augenrollen der Umwelt gut leben. Wie ist’s bei Euch?
Ein strategischer Rückzug ist keine hysterische Flucht.
Natürlich gehört Stress zum Leben dazu, ist wichtig für die Entwicklung und sorgt für das Erlernen von Stressantworten. Wer ab und zu mit kleinen oder auch größeren Widrigkeiten konfrontiert wird, sammelt Erfahrungen und kann an seinen Bewältigungsstrategien feilen. Eine solide Mustererkennung wird im späteren Leben vieles vereinfachen.
Was ich kenne, macht mir keine/ weniger Sorgen - um es einfach auszudrücken.
Ein solides Verhaltensrepertoire ermöglicht dem Hund, für die unterschiedlichsten Situationen Strategien aus dem Hut zu zaubern. Jeder Hundehalter möchte doch so gerne einen “klugen” Hund, na hier wäre doch mal ein Ansatz, um den von Natur aus klugen Hund nicht durch eigenes, viel Wollen und wenig Können zu “entschlauen”.
Am Ende entsteht der Weg beim Gehen!
Das klingt doch akzeptabel, oder? Diese Erkenntnis gibt uns Hundehaltern Gestaltungsfreiraum, erlaubt auch mal kleine Fehler und erweitert stetig den eigenen Horizont. Es wird werden, wenn wir nur die Freude am Hund und die Bereitschaft, ihn zu verstehen, wie ein Fähnchen vor uns hertragen. Statt wodurch zu müssen, könnte unser neues Mantra doch lauten:
"Ich lerne mit Dir und für Dich!”
Was wohl so ein Perspektivenwechsel mit dem Hund macht?
Finden wir es heraus.