16/11/2024
Fortsetzung vom 15.11.2024
noch zu „Tipp 14“ aus dem letzten Beitrag:
Eine „Studie“ mit 30 Heimkaninchen aus einem englischen Tierheim wird eigentlich immer zitiert, wenn es um einen Vergleich von Erkrankungen bei Stehohr- und Widderkaninchen geht: Johnson & Burn, 2019, für die laut Auskunft der Autorinnen kein Peer-Review in Auftrag gegeben wurde, ein solcher aber extern stattgefunden hätte – was auch immer das bedeuten mag. Es wurde auch nicht angegeben, von wem die Studie finanziert wurde und außerdem, dass keine Interessenkonflikte vorliegen würden. Laut den Autorinnen bot das Tierheim Platz für 100 Kaninchen, aber es wurde nicht mitgeteilt, wie viele zum Zeitpunkt der Studie da waren, aus denen letztlich die 30 Tiere von der Tierheimleiterin ausgewählt wurden. Nachdem dieser mitgeteilt wurde, welche Untersuchungen stattfinden sollten. Alle Ergebnisse bezogen sich nur auf die 30 Kaninchen. Die Statistik für die subjektiv, nicht zufällig ausgewählten 30 Kaninchen aus einer gänzlich unbekannten Grundgesamtheit ohne Vergleichsgruppe eines Tierheims mit Bezug zum Tierschutz wurde mit der Statistiksoftware SPSS erstellt – war also tiptop. Mit der Software kann man auch eine Statistik für Sterbefälle erstellen: wenn von 2 Probanden einer Population 1 stirbt, sind 50% der Population tot.
Eine der Autorinnen war Charlotte C. Burn – Professorin für Tierschutz und Verhaltenswissenschaften am britischen Royal Veterinary College. https://www.rvc.ac.uk/about/our-people/charlotte-burn. In einer englischen Zeitschrift berichtete sie z. B. auch über Forschungsergebnisse, die darauf hinweisen würden, dass rund ein Fünftel der Heimkaninchen an schmerzhaften Ohrenerkrankungen leiden, die jedoch möglicherweise nicht ausreichend diagnostiziert und behandelt werden, wobei Widderkaninchen und ältere Kaninchen am meisten gefährdet seien. So etwas wird natürlich von deutschen Expertinnen gern aufgegriffen. Diese „Forschungsergebnisse“ waren das Resultat einer Online-Umfrage, die von Chivers, Keeler und Charlotte C. Burn, 2023 veröffentlicht wurde. Die Professorin für Tierschutz und Verhaltenswissenschaften war also Mitautorin von zwei „Studien“ mit suboptimalen Methoden, bei denen Widderkaninchen mehr als schlecht abschnitten.
In der Umfrage wurden Halter auch danach gefragt, wie oft ihre gesunden und kranken Kaninchen „Freudensprünge“ (binky behaviour, joy jumps) machen würden. Mal abgesehen davon, dass kranke Tiere sowieso eher selten dazu neigen, solitäres Spielverhalten zu zeigen, sollte man als Verhaltenswissenschaftlerin wissen, dass diese Form des Verhaltens fast ausschließlich von jungen Kaninchen ausgeübt wird, von erwachsenen Wildkaninchen gar nicht mehr. Wissenschaftlich belegt und das gilt nicht nur für Kaninchen. Die Spanne des Alters der Hängeohr- und Stehohrkaninchen in der „Studie“ betrug 2-6 Jahre. Mit ca. 9 Monaten gelten Kaninchen als „erwachsen“. Die Auswertung der Studie bot übrigens alles, was die Statistiksoftware SPSS bietet und war entsprechend beeindruckend. Aber auch SPSS kann aus Mist (Input) nicht Gold (Output) machen.
Wenn ich also künftig eine Studie mit einer bestimmten Professorin für Tierschutz und Verhaltenswissenschaften als (Mit-)Autorin finde, ist mir die Finanzierung dieser Arbeit absolut egal.
Fortsetzung folgt …
Quelle:
Johnson, J. C., & Burn, C. C. 2019. Lop‐eared rabbits have more aural and dental problems than erect‐eared rabbits: a rescue population study. Veterinary Record, 185(24), 758-758. https://doi.org/10.1136/vr.105163
Chivers, B. D., Keeler, M. R., & Burn, C. C. (2023). Ear health and quality of life in pet rabbits of differing ear conformations: A UK survey of owner-reported signalment risk factors and effects on rabbit welfare and behaviour. PLoS One, 18(7), e0285372. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0285372
Bild: Startbildschirm der Statistiksoftware SPSS, Vers. 22