28/04/2024
LONGIEREN kann doch jeder (Depp)!?
Ein Plädoyer fürs (richtige) Longieren
Passt einer dieser Sätze zu dir oder kennst du jemanden, der so denkt?
• „Longieren kann doch jeder.“
• „Longieren macht keinen Spaß. Ich reite lieber.“
• „Longieren ist einfach, dazu brauch ich doch keinen Extra-Kurs zu machen.“
• „Longieren brauch ich nicht, ich reite nur ab und zu in den Wald.“
• „Wenn ich keine Zeit hab zum Reiten, häng ich mein Pferd einfach kurz am Halfter oder Trense an die Longe bis es schwitzt.“
• „Longieren ist ungesund, im Kreis rennen geht auf die Gelenke.“
• „Longieren finden Pferde doof. Sie sehen keinen Sinn darin im Kreis zu rennen.“
• „Ein Kappzaum mit Eisen ist brutal, ich longiere nur mit Knotenhalfter oder frei im Roundpen.“
Solche Aussagen und Mythen oder Vorurteile höre ich nur allzu oft in meinem Arbeitsalltag als Pferdephysiotherapeutin und -osteopathin. Ich möchte mit diesem Artikel gerne dazu anregen, alte Denkmuster loszulassen – und longieren im Sinne unserer Pferde sinnvoll einzusetzen.
Bei der Arbeit mit unseren Pferden steht in erster Linie Reiten im Vordergrund. Darum haben wir uns unsere Pferde ja schließlich gekauft. Damit wir uns draufsetzen können - zumindest die meisten unter uns Pferdemenschen.
Boden- und Longenarbeit ist oft zweitrangig oder in der Prioritätenliste gar nicht vorhanden. Dass allerdings ein Pferderücken nicht zum Tragen gemacht wurde, ist mittlerweile in der gesamten Reiterwelt bekannt. Es verlangt deinem Pferd einiges ab, deinem Wunsch von ihm getragen zu werden und dabei noch freundlich und motiviert zu sein und gesund zu bleiben, zu entsprechen.
Es liegt also an dir, dein Pferd richtig zu trainieren und vor allem es richtig auf sein Leben als Reitpferd einzustellen und vorzubereiten.
Einige möchten auch optimale Leistung von ihrem Pferd abverlangen können, wie zum Beispiel ein Springderby oder hohe Dressurlektionen. Aber auch längere Wanderritte gehören zu den außergewöhnlichen Leistungen, die Pferde für uns erbringen sollen.
Zur Vorbereitung und Unterstützung eignet sich die Longenarbeit bestens, solange sie korrekt ausgeführt wird. Aber wenn es ums Longieren geht, scheiden sich die Geister.
Viele halten an alten Vorgehensweisen fest und stellen sich in die Mitte und lassen das Pferd mit Dreieckszügel („damit der Kopf schön runter geht“) um sich herum rennen.
Andere wiederum sind komplett gegen Hilfsmittel und schicken ihr Pferd frei und gänzlich ungeachtet der Körperhaltung unkontrolliert durchs Roundpen.
Beide Beispiele sind jedoch das genaue Gegenteil von sinnvollem und biomechanisch korrektem Training für jedes Pferd.
Ich formuliere hier bewusst polarisierend. Glücklicherweise findet ein Umdenken bei vielen bereits statt. Immer mehr Pferdemenschen wird bewusst, wie sehr nicht nur die Reitweise für die Gesunderhaltung unserer Pferde verantwortlich ist, sondern u.a. auch das Training vom Boden einen bedeutenden Unterschied ausmachen kann.
Ich bin mir sicher, dass die meisten Pferdemenschen und alle unsere Patientenbesitzer um das Wohlergehen ihrer Pferde sehr bemüht sind - und zwar nicht nur um derer Leistungsfähigkeit willen. Sondern weil wir alle unsere Pferde gern haben und möchten, dass es ihnen gut ergeht. Und zwar auch möglichst lange…
Aus diesem Grund lohnt es sich hier weiterzulesen, denn es wird erklärt, welche Herausforderungen das Longieren mit sich bringt, worauf es zu achten gilt, und warum wir es trotzdem tun sollten, obwohl es nicht wirklich so einfach ist, wie du vielleicht immer gedacht hast.
Fakt ist: JEDES Pferd - auch pensionierte, ungerittene, gefahrene, alte oder junge Pferde – können von der korrekten Longenarbeit gesundheitlich und psychisch enorm profitieren.
Warum ist Longieren denn viel kniffliger, als die meisten Pferdemenschen meinen?
Pferde können naturgemäß nicht auf einer gebogenen Linie laufen. Wenn es um die Kurve geht, gleicht die natürliche Haltung eines Pferdes in der freien Wildbahn (oder auf der Koppel, aber auch im Longierzirkel) einem Motorrad in Schräglage. Um das Gleichgewicht zu halten, geht das Pferd auch in eine Schräglage und belastet mit dem gesamten Gewicht die innere Seite, v.a. das innere Vorderbein. Kurzzeitig – und damit ist gemeint für ein paar Sekunden - ist das auch überhaupt kein Problem und gesundheitlich absolut vertretbar. Der Körper hat viele feine Strukturen, mit denen er solche Belastungen mal kurz abfangen kann. Dies ist aber nicht der Fall, wenn es dabei beispielsweise um 10 Minuten oder mehr am Stück geht.
Falsche Trainingsmethoden und wie du damit deinem Pferd schadest:
1. Lassen wir unser Pferd nun einfach am Halfter oder auch an der Trense im Kreis rennen, schaden wir dem Pferd. Warum? Der Kopf wird spätestens bei erhöhtem Tempo hochgerissen, die falschen (unteren) Muskelketten werden beansprucht, das Gewicht verlagert sich auf die Vorhand, der Rücken wird durchgedrückt und kann nicht mitschwingen, die Hinterhand wird hinterhergezogen und schiebt nicht. Zudem werden die Hufgelenke, sowie Fesselgelenke und Karpal- bzw. Tarsalgelenke schräg belastet, wodurch sich der Knorpel frühzeitig abnutzt und es kann zu Gelenkschädigungen kommen.
2. Einige trainieren eine tiefe Kopfhaltung, weil diese mit einer entspannten Selbsthaltung gleichgesetzt wird. Was ist falsch daran? Eine tiefe Kopfhaltung ist in der Tat Teil der entspannten Selbsthaltung, allerdings nur während der langsamen Fortbewegung z. B. bei der Futtersuche auf der Koppel oder beim Schlafen oder mal kurzzeitig zum Lösen während des Trainings. In der Bewegung auf einer gebogenen Linie allerdings ist es nicht förderlich, wenn der Kopf dauerhaft Richtung Boden zieht. Hierbei kommt es zu einer Art Überdehnung der oberen Muskelkette, wodurch auch hier der Rücken nicht schwingen kann. Ein Muskel wächst durch Anspannung und Entspannung im Wechsel. Eine ständige Dehnhaltung hingegen führt zu einer Überlastung und Verspannung. Ebenfalls kommt es bei dieser Haltung meistens zu einer massiven Gewichtsverlagerung auf die Vorhand.
3. Eine noch sehr weit verbreitete Methode ist der Einsatz von Hilfszügeln wie z.B. Dreieckszügel, damit der Kopf runter geht bzw. in eine scheinbar „richtige Kopfhaltung“. Wahrscheinlich weil diese Haltung für manche mit einer effektiven Selbsthaltung gleichgesetzt wird. Durch Hilfszügel, die den Kopf vorne runter ziehen, werden allerdings die falschen Muskelketten aktiviert. Die Hilfszügel erzeugen einen Zug, der gleichzusetzen ist mit Druck, der aufs Pferd einwirkt. Druck erzeugt erstmal IMMER Gegendruck. Aus diesem Grund arbeiten wir beim Reiten optimalerweise immer mit feinen Hilfen wie „Annehmen und Nachgeben“. Gezieltes Nachgeben ist allerdings bei einem Hilfszügel, der den Kopf nach unten bringt, nicht möglich. Auch ein flexibler Hilfszügel kann nicht wirklich gezielt nachgeben.
Die Folge davon ist also, dass das Pferd entweder dauerhaft im „Gegendruck-Modus“ läuft. Das bedeutet, die falschen Muskelketten sind aktiv wie z. B. der allseits bekannte Unterhals. Oder aber das Pferd hält seinen Kopf in einer Art Zwangshaltung fest um dem Dauerdruck auszuweichen und überlastet dabei wiederum andere Strukturen. Nicht selten sieht man dann sogenannte „eingerollte“ Pferde. Dabei ist der Oberhals unnatürlich fest und verkrampft. Diese Pferde kippen sehr stark auf die Vorhand und schleifen die Hinterbeine hinter sich her.
Worauf kommt es also beim sinnvollen Longentraining an?
Wir möchten, dass sich unser Pferd in aufrechter Haltung locker und gelassen durch die Kurven trägt. Das bedeutet, dass es sich biegen kann ohne in Schräglage zu gehen. Dafür muss es das Gewicht von der inneren Schulter nehmen. Der Hals soll losgelassen und locker bei jedem Schritt pendeln und im Trab und im Galopp leicht mitschwingen. Die Hinterbeine sollen in einer Spur mit den Vorderbeinen laufen und so weit unter den Schwerpunkt treten, dass eine Lastaufnahme durch die Hinterhand stattfindet. Dann kann der Rücken deines Pferdes locker mitschwingen. Der Schub kann dann aus der Hinterhand kommen und über einen lockeren Rücken nach vorne übertragen werden. Losgelassenheit von Körper und Seele werden gefördert. Der Kopf soll in einer leichten Innenstellung getragen werden. Weder ein Verwerfen ist förderlich, noch eine ganz tiefe oder eine zu hohe Kopfhaltung oder gar eine Außenstellung.
Warum du trotzdem longieren solltest, obwohl es gar nicht so einfach ist?
Zitat Babette Teschen:
„Damit Ihr Pferd Sie dauerhaft ohne Schaden für seinen Körper tragen kann, muss das Pferd lernen den Rücken aufzuwölben, die Schultern anzuheben und mit der Hinterhand aktiv Last aufzunehmen. Und genau das können Sie ihm an der Longe vermitteln.“
Erfolge durch effektives Longieren
• Systematisches Erlernen vom korrekten Laufen auf gebogenen Linien
• Erlernen einer gesunden Selbsthaltung für ein Reitpferd
• Beste Vorbereitung für die Arbeit unter dem Sattel
• Muskelwachstum und Beweglichkeit werden optimal gefördert
• Gelenke werden gleichmäßig belastet
• Verbesserung der tragfähigen Strukturen deines Pferdes sowie Erweiterung des Raumgriffs
• Verbesserung der Kommunikation und Bindung zu deinem Pferd
• Ausgleich von körperlichen Defiziten seitens deinem Pferd aber auch von dir als Reiter
• Gründe für „Widerspenstigkeiten“ beim Reiten können an der Longe ganz ohne Zwang und Druck und v.a. ohne Reitergewicht aufgelöst werden
• Die Motivation beim Laufen sowohl an der Longe als auch unter dem Sattel wird bei einem Pferd, das gelernt hat sich selbst zu tragen, sichtbar erhöht.
• Beste Voraussetzung zur Gesunderhaltung deines Pferdes
Bist du überzeugt von der Wichtigkeit und Sinnhaftigkeit vom korrekten Longieren und weißt nicht, wie du es umsetzen sollst?
Wer sich nun motiviert fühlt und nicht weiß, wie er anfangen soll, dem empfehle ich gerne den Online-Longenkurs von Babette Teschen. Der ist für jeden erschwinglich und erhältlich unter https://www.babette-teschen.de/longenkurs-co/
Er gibt eine tolle Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie man das Training pferdegerecht aufbaut, egal ob für junge Pferde, die noch nichts kennen oder für alte Hasen, die es noch kennen stumpf im Kreis herum zu rennen.
Ein korrekt sitzender Kappzaum ist vor allem anfangs sehr wichtig um dem Pferd schrittweise die richtige Kopfhaltung beizubringen. Außerdem brauchst du Gerten und Peitschen in verschiedenen Längen – natürlich nicht um dein Pferd damit zu verprügeln! Diese werden positiv eingesetzt um dein Pferd aus verschiedenen Entfernungen beim Erlernen der Grundhaltung zu unterstützen.
Wer Gelegenheit hat, den Longenkurs in Theorie und Praxis zu erleben, sollte die Chance nutzen.
Es ist immer wieder faszinierend, den direkten Vorher-Nachher-Effekt bei den aktiv teilnehmenden Pferden zu beobachten. Sei es die verbesserte Laufmanier oder auch der deutlich wachsende Motivationslevel der Pferde, die sich im Verlauf des Kurses schon deutlich wohler in ihrem Körper fühlen und das auch meist deutlich zeigen. .
Fazit
Wer jetzt immer noch denkt: „Das kann ich meinem Pferd auch alles unter dem Sattel beibringen.“ Oder „Die gesunde Haltung kann ich jederzeit auch beim Geländeritt abrufen und reite ständig in Stellung und Biegung und mit schwingendem Rücken und nur so und nicht anders durch den Wald.“, zu dem sage ich nur: Hut ab!
Diese Reiter gibt es sicherlich. Doch wer ohne Fehler ist, werfe den ersten Stein. Und jetzt mal ehrlich: Keiner ist perfekt. Jeder Körper - sei es Reiter oder Pferd hat Schwachstellen.
Nebenbei gesagt sind die körperlichen Schwachstellen deines Pferdes oder deine als Reiter neben nicht passenden Sätteln, fehlerhaften Reitweisen, falscher Haltung und schiefen Hufen die Hauptberechtigung für unsern Job als PferdephysiotherapeutInnen.
Auf Menschen- und Pferdekörper, die jeweiligen Schwachstellen und ihr Zusammenspiel einzugehen ist meines Erachtens die Königsdisziplin in der Reiterei.
Meine animotion Partnerin Jana Schmidt bietet aktuell Kurse und Sitzschulungen an zu diesem Thema unter: animotion - gerittene Physiotherapie.
Aber zurück zu unserm Thema Longieren: Also ran an den Kappzaum! Trau dich! Und setz dir nicht zu hohe Ziele. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Wenn du nun gewisse Ansprüche an dich selbst als Longierer bzw. an dein Pferd hast und ihr diese nicht gleich erfüllen könnt, ist das kein Grund, es nicht weiter zu versuchen. Es gilt für euch beide schrittweise zu lernen und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: die Gesunderhaltung deines Pferdes.
Text © by Carolin Kaiser, Pferdephysio- und osteotherapeutin
Kontakt: www.animotion.info, [email protected], 0177-2133525
Danke an alle passionierten Pferdeleute fürs Lesen bis zum Ende 😄
DANKE an Babette Teschen für dein Wirken, v.a. auch in diesem Bereich der Pferdeausbildung.
DANKE für die Fotos: Tania Konnerth - Wege zum Pferd