03/05/2023
Diesen Artikel bekommt Ihr ganz - von Anfang bis Ende. Denn so ernste Themen sollte man nicht beschneiden... Er ist diesmal schlicht von mir. Liebe Grüße, Eure Ilka Brummenbaum
NOMV
Dieses Logo - NOMV - sieht man in den letzten Tagen wieder auf vielen Tierarztseiten. Es steht für "Not One More Vet" und dafür, dass immer wieder und viel zu häufig tolle, talentierte Tierärzte und Tierärztinnen den Weg in den Freitod wählen.
Wir kennen sie meist nicht persönlich, dennoch trauern wir um jeden einzelnen Kollegen und der Schock sitzt tief. Allein in den letzten 12 Monaten waren mindestens drei Praxen betroffen. Die Suizidrate unter Tierärzten ist hoch, viel zu hoch. Wir versuchen schon seit längerem darauf aufmerksam zu machen. Doch gehört werden wir kaum.
Im letzten Jahr hat das Thema es kurz an die Oberfläche der Medien geschafft. Doch spätestens die Erhöhung unserer Gebühren hat dieses wichtige Problem wieder beiseite gefegt. Die Bestürzung der seit 1999 das erste mal erhöhten Tierarztkosten hat auf jeden Fall einen weit größeren Aufschrei der Massen verursacht als die Tatsache, dass wir mehr und mehr Kollegen in Burnout, Krankheit und sogar Selbstmord verlieren.
Die Situation spitzt sich zu, wir rutschen in einen ernsthaften Tierärztemangel. Der Grund dafür ist einerseits der schlechte Verdienst, andererseits der unglaubliche Druck in unserem Job.
Warum Druck? Weil uns Tierärzten seit Jahren immer strengere Auflagen und Vorschriften gemacht werden, die unseren Job zu einem Kampf mit Formalitäten macht. Und es wird mehr und mehr und mehr. Viele dieser neuen Ideen der Ämter machen uns das Leben mega schwer.
Wussten Sie, dass wir zum Beispiel seit ca. einem Jahr die Auflage haben, Medikamente nur noch laut Packungsbeilage anzuwenden? Wenn dort also die Empfehlung steht, eine Tablette pro 10 Kg Hund einzusetzen, müssen wir uns theoretisch daran halten. Hat der Hund eine Erkrankung, die nun aber zwei Tabletten dieses Medikemants pro 10 kg erfordert, ist diese völlig korrekte Anwendung verboten. Dabei hängt das, was in der Packungsbeilage steht, nur davon ab, was die Pharmafirma bei der Zulassung des Medikaments angegeben hat. Das gleiche gilt übrigens für den Grund der Anwendung: Steht in der Packungsbeilage "für Infektionen der Blase", ich brauche es aber für einen Durchfall, darf ich es nicht anwenden. Es ist ein Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz, ich mache mich strafbar! Ihr Hund hat eine Ohrentzüdung und braucht ein reines Antibiotikum zur lokalen Anwendung am Ohr? Da gibt es leider keins, denn das Antibiotikum, dass ich dafür einsetzen würde, ist nur zum spritzen zugelassen... Und so geht es endlos weiter.
Nun haben sich die Beamten wieder etwas neues einfallen lassen: Da ja irgendwer Schuld sein muss an den Problemen mit den vielen resistenten Antibiotika, hat man den Tierärzten diese zugeschoben - und zwar ausschließlich. Deshalb müssen wir bald jeden einzelnen Antibiotika-Einsatz komplett dokumentieren und rechtfertigen - erneut ein großer Zeitaufwand neben den vielen großen Zeitaufwänden. Humanmediziner müssen das natürlich nicht. Die gehen ja komplett verantwortungsvoll mit Antibiotika um - klar, oder?
Ich möchte Sie aber nicht mit weiteren unschönen Einzelheiten langweilen.
Es ist auf jeden Fall unglaublich, was wir alles rechtfertigen, überprüfen (lassen), dokumentieren, nachweisen und abarbeiten müssen.
Wir verbringen etwa die Hälfte unserer Arbeitszeit mit Formalitäten. Natürlich nehmen wir in dieser Zeit kein Geld ein, das heißt die vier Stunden Sprechstunden pro Tag müssen finanziell das Geld für acht Stunden Arbeit einbringen.
Das hat aber nach der alten GOT nicht einmal annähernd funktioniert. Auch mit der neuen GOT, die ja bereits vor 12 Jahren beantragt und entworfen wurde, reicht es noch nicht, aber es ist besser - hoffentlich, denn Zahlen liegen noch keine vor. Fakt ist, dass der Verdienst als selbstständiger Tierarzt oder Angestellter eines Tierarztes super mies war. Kein anderer studierter Mensch würde für dieses Geld arbeiten. Ein Beispiel: Mit 3000 Euro brutto inklusive Wochenend- und Nachtdienste war ein Tierarzt mit einem Vollzeitjob schon richtig gut bezahlt, richtig gut! Berufseinsteiger bekamen häufig nur 1500 bis 2000 Euro. Übrigens: Das Einsteiger-Gehalt anderer Akademiker Berufe liegt im Schnitt zwischen 3000 und 3500 Euro. Und 2-5% Gehaltserhöhung jährlich wie in anderen Jobs? Vergessen Sie es, schließlich wurden ja auch die Gebühren nicht jährlich erhöht. Sie sind Ingenieur, Beamter, Anwalt? Dann lachen Sie ruhig, dass wir dafür arbeiten...
Kein Wunder also, dass niemand mehr als Tierarzt in der Praxis arbeiten möchte oder? Immer wieder rund um die Uhr und wochenends arbeiten für Geld, von dem man kaum leben kann? Nein danke, nicht zu Zeiten von Live-Quality-Management und Akademikerschwemme.
Ein Rechtsanwalt würde dafür nicht einmal morgens aufstehen, geschweige denn ein Notar oder ... ach lassen wir das.
Fakt ist, dass immer weniger Tierärzte zur Verfügung stehen, die Kliniken reihenweise ihren Notdienst einstellen und dennoch hoffnungslos überfüllt sind.
Mit der neuen GOT haben wir nun die Hoffnung, dass sich die Situation bessert. Aber da ist ja noch der Druck der Kunden. Wir müssen Geld verdienen und ja, wir wissen auch, dass Tierarztkosten hoch sind. Aber ohne deutliche Preiserhöhung geht nichts mehr. Und die Unfreundlichkeit, die Unzufriedenheit, die Meckerei, die Vorwürfe, die ständigen Bemerkungen der Kunden über unsere Unverschämtheit geht auch nicht spurlos an uns vorüber. Wir alle machen einen super Job und dennoch gibt es sehr oft unfreundliche Worte. Ob das bei Auto-Werkstätten auch so ist? Ich habe neulich für unseren Wagen 850 Euro für die Inspektion bezahlt. Der Wagen war zwei Stunden in der Werkstatt. Gehen da auch die Leute hin und machen Theater, wie man so unverschämt sein kann?
Was folgt sind Bewertungen, schlechte Bewertungen. Und wissen Sie was? Da zählt unsere Arbeit nichts mehr. Ich zum Beispiel habe vier oder fünf schlechte Bewertungen und ALLE sind wegen "zu teuer" und alle besitzen nur EINEN Stern. Wir haben einen tollen Job gemacht, das Tier gerettet oder korrekt behandelt, vielleicht sogar in unserer Freizeit, weil die Leute so lieb gebeten haben. Und weil einzig der Preis nicht passte, gibt es nur einen Stern. Wäre in den einschlägigen Seiten nicht mindestens einen Stern erforderlich, um bewerten zu können, wären es sicher Null Sterne gewesen. Nicht einen Stern für die Freundlichkeit, einen für den Service, einen für das KnowHow, einen für guten Umgang mit dem Tier und eben einen weniger, weil es zu teuer war. Nein: nur Einen von fünf Sternen. Ich hatte neulich einen Anrufer in der Nacht, der mir Videos geschickt hat und meinen Rat wollte und bekam. Doch als er die Rechnung über 39 Euro erhielt, wurde ich beschimpft. Er erwarte, dass nächtliche Anrufe bei seinem Tierarzt kostenlos zum Service gehörten! Raten Sie: Er bezahlte die Rechnung nicht.
Ich gebe es offen zu: Jede schlechte Bewertung macht mir Bauchschmerzen, denn ich will einen guten Job machen, den besten! Jedes Mal, wenn ich auf Facebook diese Umfragen sehe, ob jemand einen guten Tierarzt kennt, habe ich Angst, dass jemand schreibt: Oh Gott, nicht DIE! Dabei machen wir hier alle im Umkreis einen guten Job. Ich kenne die Nachbarkollegen, sie sind nett, sie sind fähige Kollegen, sie machen den besten Job der Welt. Man kann halt nicht mit jedem, aber diese Facebookabfragen sind so ... sinnlos, denn jeder hat seinen Favoriten, jeder hat schon Gutes und Schlechtes erlebt, überall. Und wir alle tun unser Bestes und wir alle nehmen Sie abends oft mit nach Hause und können nicht abschalten. Immer wieder liege ich nachts im Bett und reflektiere schwierige Fälle, frage mich, ob ich es hätte besser machen können. Und da bin ich sicher nicht die Einzige.
Dabei darf man auch eines nicht vergessen: Wir Tierärzte sind mittlerweile überwiegend Frauen. Wir haben nicht nur diesen super anstrengenden Job mit all seinen Ansprüchen, wir haben zudem Familie, Kinder, Haushalt. Und wir sind die Mütter. Auch hier sind wir Manager - Manager eines weiteren wichtigen Unternehmen namens Familie.
Das alles - der Anspruch der Kunden, die ganzen Formalitäten, der vielseitige Job, die Arbeitszeiten, das große Drumherum - das alles macht unendlich Druck. Und es jagt regelmäßig Kollegen in den Freitod. Sie können nicht einmal sagen "Ich höre auf und ich mache mir ein schönes Leben", sie sind am Ende, geben auf, endgültig.
Ich hoffe, ich komme nie in diese Situation. Und wenn die Auflagen noch unsinniger und aufwendiger werden, werden sich mehr und mehr aus dem Praxisgeschäft zurückziehen, in den Burnout stürzen und den Ketten wie Nestle das Feld überlassen.
Ja, unser Job ist sehr anspruchsvoll, und ja: wir müssen endlich mehr einnehmen und ordentlich verdienen. Wir arbeiten grad an an der zweiten Millionen - schließlich hat es mit der ersten nicht geklappt.
Scherz Beiseite 🙂. Seien Sie einfach nett zu Ihrem Tierarzt. Und denken Sie dran: Eine Praxis ist nicht schlecht, weil sie Ihnen hochpreisig erscheint. Deshalb ziehen Sie bitte nicht gleich alle Sterne ab, wenn Sie Ihren Tierarzt zu teuer finden. 🙂 Und bewerten Sie doch bitte auch und auf jeden Fall, wenn Sie Ihren Tierarzt gut finden.
Lieben Dank für Zuhören (Lesen) und Danke für jedes freundliche Wort, dass Sie uns schenken. Und falls Sie unser Kunde sind: Wir freuen uns auf Sie!
Ihre Tierarztpraxis am Turm, Ilka Brummenbaum