16/12/2023
Neue GOT – Teil 3: Nostra culpa, und warum es keinen Weg zurück gibt
Von Ralph Rückert, Tierarzt
So, der dritte und letzte Teil der Mini-Serie, bringen wir es endlich hinter uns! Das Thema macht keine Freude, weder Ihnen als Tierbesitzer:innen und Leser:innen, noch mir selber. Dafür gibt es viel zu viele Leute, die nach dem Motto „Kill the Messenger“ unterwegs sind. Ohne die unselige FN-Kampagne hätte ich auch sicher nur das Fazit für die Kleintierpraxis (Teil 1) geschrieben. Es geht in den drei Artikeln nicht – wie manche Wut-Kommentar-Verfasser:innen unterstellt haben – um eine „Rechtfertigung“, nein, ich versuche nur, Ihnen Zusammenhänge zu verdeutlichen, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen! Ein ganzer Berufsstand, der diese lange überfällige Neufassung nun mal dringend gebraucht hat, muss sich eigentlich nicht wirklich rechtfertigen.
Ich habe aber in der Überschrift „nostra culpa“, unsere Schuld, geschrieben. Ja, ich will mich nicht wegducken, wir sind tatsächlich mitverantwortlich gewesen für die Situation, die die Novellierung am Ende zur dringenden Notwendigkeit hat werden lassen. Viele von uns sind – das ist ein klarer Mangel unserer rein medizinischen Ausbildung – betriebswirtschaftliche Flaschen erster Ordnung. Und wir leiden weit verbreitet unter einem Syndrom, das wir berufsintern halb spöttisch, halb verzweifelt als „Morbus Vet“ bezeichnen.
Wer vom Morbus Vet befallen ist, erfüllt haargenau die Erwartungshaltung der Tierhalter:innen („Da geht es noch ums Tier, nicht ums Geld!“), hat immer eher den Geldbeutel der Kund:innen im Kopf als den eigenen, hat panische Angst, zu teuer zu sein oder von einer Kollegin / einem Kollegen preislich unterboten zu werden. Der Morbus Vet bringt viele Tiermediziner:innen dazu, den 1,0fachen (Mindest-)Satz der jeweils geltenden Gebührenordnung trotz aller anderslautenden betriebswirtschaftlichen Ratschläge während der gesamten Gültigkeitsdauer als den Maximalsatz zu sehen, was durch die Preis- und Lohnentwicklung zwangsläufig in eine Todesspirale aus ständig mehr werdender Arbeit bei stagnierenden Umsätzen und Gewinnen führen MUSS und trefflich dafür sorgt, dass man sich weder die nun mal dringend notwendigen Fortbildungen, noch ebenso dringend notwendige Investitionen in die Praxisausstattung leisten kann. Und – ganz entscheidend – man kann sich entweder gar kein Personal leisten oder aber muss es unterirdisch bezahlen, um selber noch irgendwie rumzukommen! Das ging genau so lange gut, bis die Faszination unserer ja eigentlich wirklich schönen Berufe in den Augen der jüngeren Generationen die durchgehend miesen Gehälter und die teilweise brutalen Arbeitsbedingungen nicht mehr aufwiegen konnte.
Wir, und damit meine ich vorwiegend die ältere Generation der Praxisinhaberinnen und -inhaber, haben sowohl unseren Kund:innen als auch uns selbst über Jahre und Jahrzehnte ein Märchen vorgespielt, das Märchen von der im internationalen Vergleich auf ewig bemerkenswert billigen Tiermedizin in Deutschland, mit Friede, Freude, Eierkuchen für alle Beteiligten. Dabei hatten wir es die ganze Zeit mit Preisen zu tun, die massiv subventioniert waren, und zwar durch querbeet viel zu niedrige Einkommen in der Tiermedizin. So lange genug junge Menschen vorhanden waren, die die Jobs trotzdem zumindest temporär haben wollten, hat das funktioniert. Jetzt aber ist die demographische Situation gekippt, und zwar verblüffend schnell. Gute Mitarbeiter:innen sind inzwischen echte Mangelware, und wenige Bewerber:innen bei hoher Nachfrage bedeuten natürlich zwangsläufig schnell steigende Gehälter. Nachdem die Personalkosten grundsätzlich den massivsten Posten der Praxisausgaben darstellen, dämmert es inzwischen auch den größten Betriebswirtschafts-Trotteln unter uns, dass alle Versuche, sich mangels anderer Vorzüge als reiner Billiganbieter zu positionieren, geradewegs in den Abgrund führen müssen.
Ich werde mich an dieser Stelle nicht bei Ihnen, den Tierbesitzer:innen, entschuldigen, denn Sie hatten mit diesem unseren Fehler letztendlich eine wirklich gute und Jahrzehnte anhaltende Zeit, mit im internationalen Vergleich echten Schnäppchenpreisen selbst für höchstklassige Tiermedizin. Aber jetzt ist das Märchen vorbei, die Realität hat uns eingeholt!
Manche glauben, dass sich die Uhr irgendwie zurückdrehen lassen würde, natürlich nicht zuletzt die FN und ihr hundertprozentiger Ableger, die sogenannte „Vereinigung Deutscher Tierhalter VDTH“, mit ihren Petitionen, die AfD mit ihrem aktuellen Antrag zum gleichen Thema und auch die Tierbesitzer:innen, die da unterschrieben haben oder noch unterschreiben werden. Dieser Gedanke ist völlig verfehlt! Es hat laut geknallt, und die meisten von uns haben diesen Schuss auch gehört. Da gibt es eben keinen Weg mehr zurück!
Die Realität ist einfach die, dass die Preise für tiermedizinische Leistungen so oder so explodiert wären, ob mit oder ohne neue GOT. Die Neufassung hat nur als Initialzündung für eine unausweichliche Entwicklung gewirkt, hat verkrustetes Denken aus den Köpfen gesprengt und gibt dem Ganzen darüber hinaus eine deutlich verbesserte Struktur und Transparenz. Es gelten nun wieder die ewigen und nie dauerhaft außer Kraft zu setzenden Gesetze des Marktes: Angebot und Nachfrage regeln den Preis! Tiermedizinische Leistungen, jahrzehntelang im billigen Überangebot vorhanden, werden durch den Fachkräftemangel und das allmähliche Wegbrechen der vielen Boomer-Praxen immer knapper, also zwangsläufig teurer. Die Marktgesetze kann man durchaus mal eine gewisse Zeit lang (auch längerfristig) zu umgehen versuchen, meist auf Kosten von irgendwelchen schwachen Gliedern der Wertschöpfungskette. Je länger man aber so einen unnatürlichen Zustand irgendwie aufrecht erhält, desto heftiger fliegt einem das irgendwann um die Ohren. Wenn bestimmte Leistungen, wie seit einem Jahr im Pferdebereich, plötzlich nicht nur teurer, sondern gleich viel teurer werden, bedeutet das nur eines, nämlich dass sie vorher absolut unrealistisch niedrig waren. Wollte man nun den vorher bestehenden Zustand, nach dem sich jetzt plötzlich alle Tierhalter:innen zurücksehnen, wieder herstellen, müsste man das System erneut irgendwie subventionieren. Aber wer sollte das tun? Auf wessen Kosten? Wir und unsere Angestellten machen es jedenfalls nicht (mehr), sorry!
Damit ist klar: Selbst wenn sich die Hoffnungen der Reiterlichen Vereinigung FN und einiger Tierhalter:innen auf eine wie auch immer geartete „Überarbeitung“ der Gebührenordnung durch die Regierung erfüllen würden – und das ist wirklich maximal unwahrscheinlich, wie einem alle Kenner des Gesetzgebungsprozesses versichern – würden die Gebühren trotzdem keineswegs wieder sinken, weil sich die Denkgewohnheiten einer ganze Branche grundlegend geändert haben. Es geht gar nicht so sehr darum, was da auf dem Papier der GOT geschrieben steht, sondern vielmehr um das, was die Entwicklungen der letzten Jahre in den Köpfen der Tierärztinnen und Tierärzte ausgelöst haben. Wir haben erkennen müssen, dass wir einem Denkfehler aufgesessen sind (nostra culpa) und dass wir mit einem einfachen „Weiter so!“ nur eines erreichen, nämlich dass binnen zehn Jahren die Hälfte der in Deutschland gehaltenen Tiere keinen Zugang zu regelmäßiger tiermedizinischer Betreuung mehr haben wird. Das können wir natürlich nicht zulassen und mit Blick auf diese potentielle Katastrophe können und müssen wir es wohl hinnehmen, wenn uns nun vorgeworfen wird, dass durch die nGOT Tiere leiden müssten, weil ihre Besitzer:innen den Tierarzt nicht mehr bezahlen können.
Selbst wenn dieser allseits unterstellte, aber bisher durch keine handfesten Zahlen belegbare Effekt „Neue GOT bedeutet Tierleid“ stimmen würde, wäre er allemal das deutlich kleinere Übel im Vergleich zum obigen und sehr realistischen Super-GAU des endgültigen Zusammenbruchs der Versorgungsstrukturen, bei dem große Teile des Tierbestandes von der tiermedizinischen Versorgung komplett ausgeschlossen würden. Da ginge es dann tatsächlich um Tierleid in einem bisher nicht vorstellbaren Ausmaß! Der Versuch, den Fachkräftemangel und das Praxissterben über nun endlich wieder dem tatsächlichen Aufwand entsprechende Gebühren abzufangen, ist also auch aus tierschutzrechtlicher Sicht aller Ehren wert und vor allem völlig alternativlos! Es ist eigentlich ganz einfach: Entweder kann man als TFA, als angestellte Tierärztin oder als Praxisinhaberin in diesen Berufen genug verdienen oder nicht! Wenn ja, dann können wir uns Hoffnungen darauf machen, dass der Fachkräftemangel sich in denn nächsten fünf bis zehn Jahren langsam beheben oder zumindest abmildern lässt. Wenn nicht, ist die Katastrophe unausweichlich, und dann Gut Nacht um Sechse! Und damit eines klar ist: Was genau „genug verdienen“ heißt, werden die nachrückenden Generationen junger Leute definieren, und ganz sicher nicht die FN oder sonst wer.
Deshalb noch einmal: Es gibt keinen Weg zurück, der Zug ist abgefahren! Ich denke, dass das auch sehr viele Tierbesitzer:innen verstanden haben. Die diese Realitäten völlig verkennenden (und in Kombination mit dem Bundestags-Antrag der AfD sogar hochgradig unappetitlichen) Petitionen der FN können inzwischen guten Gewissens als grandiose Rohrkrepierer bezeichnet werden, was mir schon ein Stück weit den Glauben an die Menschheit bzw. die deutschen Haustierbesitzer:innen zurück gibt.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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