28/04/2024
Eine wirklich tolle Einschätzung
Neues Tierschutzgesetz: Es scheint, als hätten die sachlichen Stellungnahmen der Verbände zum Referentenentwurf bedauerlicherweise kaum Berücksichtigung gefunden, daher an dieser Stelle nochmal die von Fachkunde und Detailwissen geprägte Stellungnahme des Bundesverband Praktizierender Tierärzte (bpt) (s. Link) und ein paar Anmerkungen zum neuen Qualzuchtparagraphen 11b.
Während der Entwurf viel Gutes enthält, sind etliche Paragraphen eher von guten Intentionen geprägt. So würde die wörtliche Umsetzung des neu formulierten §11b mittelfristig jegliche Tierzucht und jegliche "Zurschaustellung" von Tieren (Zuchtleistungsprüfungen, Reit- und Hundesport, Ausstellungen) zum Erliegen bringen, bzw. auch kurzfristig schon viele Tiere ausschließen. Dies betrifft nicht nur die Haus- und Heimtiere, sondern natürlich auch alle Nutztiere.
Die Kombination der Merkmalsliste in Teil A, die so allgemein gehalten ist, dass sie den gesamten Organismus umfasst, mit den Begründungen in Teil B, die jeden Erbfehler und sogar Anlagenträger als "Qualzucht" definieren (S. 59-61), führt dazu, dass streng genommen jedes Tier unter diesen Paragraphen fallen könnte. Der Einwendung von Offiziellen, dies gälte ja nur wenn Schäden, Leiden oder Schmerzen verursacht würden, muss man leider entgegenhalten, dass von einflussreichen Stellen, die die Amtstierärzt:innen beraten, jeder Gendefekt als "Körperschaden" definiert wird.
Der Teil B (S. 59 - 61 Referentenentwurf) wird gern übersehen. Er beinhaltet ganz wesentliche Aussagen aus Privatgutachten des pensionierten Verwaltungs- und Tierrechtlers Prof. Cirsovius und wurde nicht nur so dahin geschrieben.
Würden diese Faktoren zusammengenommen ermöglichten sie Verbote von Zucht oder "Zurschaustellungen" in ungeahnter Zahl, wenn ein Veterinäramt dies anstrebte. Die bisherige Liste von über 800 monogenen Erbkrankheiten der OMNIA Datenbank wird fast täglich um neue erweitert. Bei polygenetischen determinierten Defekten (Skeletterkrankungen, aber auch z.B. Diabetes oder Allergien) gehen die Anlageträger quer durch die ganzen Populationen, und es ist unmöglich, genau vorherzusagen, ob betroffene Nachkommen entstehen würden.
Beispiele, dass es mitnichten nur um die Bekämpfung "klassischer Qualzuchtrassen"geht, gibt es bereits. So wurde kürzlich eine Ausstellung von nordischen Hunden abgesagt, weil das zuständige Veterinäramt neben bekannten Untersuchungen kurzfristig für zwei Rassen durchaus unübliche Röntgenuntersuchungen zur Patellaluxation sowie einen ebenso unüblichen Gentest auf Hämophilie verlangte. Nordische Hunde wie Huskies, Malamutes oder die betroffenen japanischen Shiba Inus und Kai Ken gehören nun wahrlich nicht zu den klassischen Qualzuchten, sondern sind noch sehr ursprüngliche Hunderassen.
Leider wird diese Art der Umsetzung in den Medien nie erwähnt, sondern dort geht es immer nur um Bekämpfung der offensichtlichen Qualzuchten, bei der sich eigentlich (außer den Besitzern) alle einig sind. Die weit darüberhinaus gehenden Konsequenzen der jetzt schon gültigen Ausstellungsverboten und zukünftigen Verschärfungen werden nie erwähnt.
Zu genetischen Defekten muss man wissen, dass Genmutationen die Grundlage für jegliche Evolution sind. Würde sich das Genom von Tieren nicht kontinuierlich verändern, wären sie nie in der Lage gewesen, sich an geänderte Umweltbedingungen anzupassen.
Natürlich gibt es Mutationen, die zu Leiden und Schmerzen führen, und diese gilt es zu verhindern. Das ist das Kerngebiet von Tierärztinnen und Tierärzten und Tierschützern. Bei "Schäden" verschwimmen die Grenzen hingegen.
Tatsache ist, dass Tiere mit einem genetischen Schaden in einem Organsystem sehr positive Erbanlagen auf anderen Gebieten besitzen können. Sie können langlebig, überdurchschnittlich leistungsfähig oder mit besonders gutem Temperamten gesegnet sein, alles positive Eigenschaften für Haustiere. Nicht jeder Erbfehler beeinträchtigt ein Tier klinisch, z.B. fehlende Zähne oder leichte Fehlstellungen.
Gute Tierzucht ist nicht schwarz oder weiß, sondern sie ist immer Folge der klugen Abwägung aller Eigenschaften eines potentiellen Zuchttieres und seines potentiellen Beitrages für die ganze Rasse. Klassisches Beispiel für die Effizienz moderner Tierzuchtmethoden sind Zuchtwertschätzungen.
Es gibt aber durchaus Haustierrassen, bei denen schwere gesundheitliche Mängel genetisch schon so fest in der Population verankert sind, dass eine Sanierung nicht mehr möglich ist. Hier bleibt nur, auf die Zucht dieser Tiere entweder ganz zu verzichten oder eine Auskreuzung mit gesunden Rassen zu versuchen. Etwas anderes ist aus tierärztlicher und tierschützerischer Sicht unmöglich. Aber auch diese zweite, von Prof. Achim Gruber breit propagierte Lösungsmöglichkeit, wäre nach dem neuen Tierschutzgesetz verboten.
Bei den meisten Rassen sind es nur einzelne Tiere, die die einzelnen Defekte aufweisen, von denen wir noch lange nicht alle kennen. Da aber viele Tiere viele unterschiedliche Mutation haben können (Stichwort Evolution), wird man in der Summe kaum noch Individuen finden, die gar keinen Gendefekt tragen. Geschätzt hat jedes Säugetier und jeder Mensch einige Dutzend fehlerhafte Gene. Es ist aber ein himmelweiter Unterschied, ob einem Hund ein Zahn oder die ganze Nase fehlt.
Gar keine Schadensabwägung mehr zu machen und keine Lösung anzubieten, sondern einfach alle Tiere mit jeglichem "Körperschaden" von der Zucht und sogar von jeglichem Auftritt in der Öffentlichkeit ausschließen zu wollen, ist geradezu surreal. Warum sollten z.B. erfolgreich an OCD (erbliche Skeletterkrankung) operierte Hunde oder Pferde nicht mehr auf Leistungsprüfungen starten dürfen? Ein Zuchtverbot ist ja ok, aber ein Startverbot? Die Prognose ist exzellent, Schmerzen, Leiden oder Schäden im weiteren Leben sind nicht zu erwarten, und optisch kann man sie nicht von anderen Tieren unterscheiden. Dennoch fielen sie nach dem neuen TSchG unter Qualzucht, die nicht mehr zur Schau gestellt werden dürfen.
Lt. Gesetz soll Bedarfserzeugung durch öffentliches Vorzeigen/Bewerben von Qualzuchten vermieden werden. Das ist sehr sinnvoll, betrifft aber nur sichtbare Kriterien. Kompensierte, innere oder orthopädische Probleme ohne klinische Symptome und äußerliche Sichtbarkeit sollten nicht reglementiert werden.
Es bedarf dringend einer Neubewertung, was als "Schaden" im Sinne des Tierschutzgesetzes zu verstehen ist, um mit einem neuen Tierschutzgesetz nicht den Einstieg in eine haustierfreie Zukunft zu beschließen.
Und natürlich sagen besonnene Kolleg:innen vom Amt, das würden sie so nie umsetzen. Leider sehen das nicht alle so, wie das obige Beispiel demonstriert. Jedes Veterinäramt ist völlig frei in seiner Interpretation.
Bürger und Bürgerinnen haben ein Recht darauf, voraussehen zu können, was sie dürfen und was nicht. Gesetzgeber haben die Pflicht, dies zu gewährleisten.
Ob die entscheidungsberechtigten Politiker:innen überhaupt wissen, welcher Sprengstoff in diesem Gesetzentwurf steht, ist fraglich. Es ist an jedem Einzelnen von uns, eine entsprechende Öffentlichkeit herzustellen. Die Stellungnahme des Bundesverbandes Praktizierender Tierärzte (bpt) bietet eine fachlich qualifizierte Argumentationshilfe.
https://www.tieraerzteverband.de/bpt/berufspolitik/Positionen/gesetzentwuerfe/dokumente/2024-02-28_Stellungnahme-bpt-Tierschutzgesetz.pdf