06/12/2024
Ich handhabe es genauso nix finde ich schlimmer als dem Hund diese Möglichkeit zu verwehren nur so können sie es lernen.
Pubertär, potent und sozial unverträglich.
Echt jetzt?
Aber blenden wir doch mal zurück:
Wir waren an Demos, haben zu laut Musik gehört.
Wir haben Autos getunt oder waren barfuss und nur noch mit dem Rad unterwegs.
Wir fühlten uns stark und unverwundbar und all diese spiessigen Gesetze und Einschränkungen kotzten uns so richtig an.
Wir zogen in Clans um die Häuser. Oder sassen in der Waldhütte am Feuer. Schmiedeten Pläne. Lachten uns tot. Retteten Frösche. Veränderten die Welt.
Wir wussten, dass wir die grosse Liebe gefunden hatten und ohne sie nicht leben konnten.
Abends im Bett waren wir verdammt allein, fühlten uns unverstanden und alles war einfach nur noch zum Kotzen.
Und zwei Tage später, auf der Fahrt zum OpenAir waren wir so frei und glücklich wie noch nie.
Und Kinder wollten wir eh nie. Wer kann es denn verantworten, Kinder in diese beschissene Welt zu setzen.
Wenn wir mal erwachsen sein würden, wollten wir alles anders und vor allem besser machen. Eh klar.
Pubertät ist ein Zuviel von ganz Vielem: Ein Zuviel an Gefühlen. Ein Zuviel an Selbstüberschätzung. Ein Zuviel an Wut. Ein Zuviel an Hormonen. Ein Zuviel an Verliebtheit. Ein Zuviel an Kraft. Ein Zuviel an Selbstbewusstsein. Ein Zuviel an Selbstzweifeln.
Und ein Zuwenig an Hirn. Und an Gelassenheit.
Und genauso muss es sein. Denn nur so schiesst man mal übers Ziel hinaus und lernt. Nur so findet man heraus, wer man ist. Und nur so wird man irgendwann etwas gelassener. Und klarer. Und lebensfähig.
Aber dafür braucht es dieses Zuviel. Dafür braucht es dieses Überschiessen. Und dafür braucht es Zeit. Wir reden nicht von Monaten. Sondern von Jahren. Sowohl beim Menschen, als auch beim Hund.
Und nun sind wir wieder beim Anfang: Pubertär, potent und sozial unverträglich. Egal ob Rüde oder Hündin, meist so um die 18 Monate (also mitten in der Pubertät), langsam aber sicher eine wunderbare Leinenaggression entwickelt, dann (verständlicherweise) immer weniger Hundekontakt im Alltag, dann (unverständlicherweise!!) von x Trainer*innen als sozial inkompetent, überschiessend und schwierig eingestuft. Und natürlich ungefragt schon ganz viele wunderbare Tipps von Hinz und Kunz bekommen:
«Wäre das meiner, würde ich dem aber mal so richtig die Nägel einschlagen. Jetzt setz dich einfach mal durch. Und zwar richtig!»
«Das geht vorbei. Lenk ihn ab und mach einen grossen Bogen.»
«Es liegt an dir. Du vermittelst zu wenig Sicherheit. Dein Hund vertraut dir nicht.»
«Du musst viel kleinschrittiger und ohne Stress und Druck trainieren! Alles andere ist Steinzeit, tierschutzrelevant und wissenschaftlich schon lange widerlegt.»
«Kastrier ihn endlich!»
Gut. Und jetzt?
Ja, die Leinenaggression muss gelöst werden. Und zwar durch Training. Und nicht durch Kastration. Wie sich ein Hund an der Leine gebärdet, hat aber nichts (!!) mit seiner sozialen (In)Kompetenz anderen Hunden gegenüber zu tun.
Hunde müssen sich ausprobieren dürfen. Mit anderen Hunden. Gleichaltrigen. Älteren. Jüngeren. Und zwar nicht nur als Welpen. Sondern vor allem danach. In der Pubertät, der Adoleszenz und bis sie wirklich erwachsen sind. Also etwa dreijährig. Und zwar nicht auf der Hundewiese im gesetzlosen Raum. Und auch nicht in einer Raufergruppe, in der einfach alles, was sich angemeldet hat, zueinander geschmissen wird. Denn dann werden nur die Starken stärker und die Schwachen schwächer oder lernen, sich mit Gleichgesinnten zusammenzutun, um dann andere verkloppen zu können (ein Schelm, wer …). Pubertäre Vierbeiner müssen sich treffen können mit passenden Gegenübern. In einem geschützten Rahmen. In dem sie Zeit bekommen sich auszuprobieren. Blöd zu werden. Auf die Mütze zu bekommen. Zurückzugeben. Frieden zu schliessen. Rumzuprollen. Es zu übertreiben. Schutz zu bekommen bei seinem Menschen. Selber die Konsequenzen tragen zu müssen, wenn man im vollen Galopp auf den anderen zuschiesst. Hündinnen müssen lernen, sich zu wehren und sich die Jungs vom Leib zu halten (und das lernen sie nur, wenn sie es üben dürfen, wenn sie nicht einfach überrannt werden, sondern wenn ihre anfänglich vorsichtigen Versuche Wirkung zeigen! Und wenn sie bei Bedarf Schutz bekommen von ihrem Menschen).
Und ja, das braucht genaue Planung (und zwar für jeden Anlass von Neuem!) von uns Trainer*Innen. Und ja, da kann man nicht 15 – 20 Hunde an einem Abend in sechzig Minuten durchschleusen. Und ja, da muss man anschliessend erklären und aufzeigen können. Und noch vieles mehr. Augen auf bei der Berufswahl.
Aber nur so werden die Schnösels und Schnöselinen kompetent. Und irgendwann mit dreijährig oder so auch endlich mal ein bisschen gelassen. Aber dazu braucht es Zeit und Gelegenheiten und Übung und Frustrationstoleranz und eine geklärte Beziehung zu seinem Menschen und Hormone. Oder um dieses wunderbare Zitat von Maren Grote Hundetraining Maren Grote mal wieder zu verwenden:
„Hormone machen eben auch vernünftig, gechillt, fair und weniger schnell gestresst. Diese Dinge werden gern unterschlagen. Und für mich persönlich ist das Erwachsenwerden-Dürfen ein Grundrecht des Hundes. Danach kann man diskutieren und sicher ist es auch mal angebracht. Aber bevor der Hund nicht komplett ausgereift ist, nimmt es ihm so viele Möglichkeiten, einfach cooler durchs Leben zu gehen.“
Und ja, es ist mühsam. Und ja, es ist anstrengend. Für alle Beteiligten. Aber es ist auch eine unglaublich spannende und wichtige Zeit. Geniesst sie. Holt euch Unterstützung, bei der man mit euch und mit eurem Hund wohlwollend umgeht. Und lasst euch nicht einreden, dass euer Hund mit 18 Monaten sozial inkompetent ist.
Nina Miodragovic
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Das Foto von Susanne Wittwer zeigt zwei pubertäre Rüden, die gerade ganz viel über sich lernen.