14/09/2024
Der Fall Seppel - ein süßer Dackel mit Wutproblem
Unsere Tierpflegerin Nadine berichtet:
Heute, vor genau 3 Jahren, wandte sich ein verzweifelter Hundebesitzer an das Tierheim, in dem ich damals arbeitete, weil er zum wiederholten Male schwer von seinem eigenen Hund gebissen wurde. Ich muss zugeben, als es hieß, es würde sich um einen Dackel handeln und man wäre sich nicht sicher, ob man ihn selbst sichern und ins Tierheim bringen könnte, war ich doch etwas irritiert und dachte an eine große Übertreibung oder an einen klassischen "Hund muss einfach weg” Fall.
Als ich dann aber Hund samt Herrchen und Frauchen kennenlernte, wusste ich sofort, dass das hier etwas Anderes ist! Seppel hatte ein wundervolles Zuhause. Er wurde nicht misshandelt, und nicht verhätschelt, sondern gut erzogen und hat Grenzen kennengelernt! Er wurde geliebt und war immer Teil der Familie. Egal ob Urlaub oder Ausflug - Seppel war überall dabei und die ersten 2 Jahre hätten nicht besser verlaufen können! Seppel stand zu der Zeit kurz vor der Begleithundeprüfung und noch nie habe ich einen Dackel kennengelernt, der einen so guten Grundgehorsam hat! Trotzdem war es soweit gekommen und das Tierheim nahm Seppel auf.
Schnell war klar, Seppel hatte eine Ahnentafel und aus der ging ganz klar hervor, dass er aus einem jagdlich geführten Elternhaus stammt und da lag vermutlich auch der Kern des Problems! (Warum werden solche Hunde an "normale" Menschen verkauft?)
Was folgte waren 3 gescheiterte Vermittlungsversuche und immer größer werdende Verzweiflung! Und da fing ich an, mich besonders intensiv um den kleinen Dackelmann zu kümmern. Ich nahm ihn, mit Maulkorb abgesichert, mit auf Ausflüge, zu Grillfesten und ermöglichte ihm so gesicherten Kontakt zu Artgenossen und Menschen.
Irgendwann ließ mich dann der Gedanke nicht mehr los, ihn selbst zu adoptieren. Es folgten wochenlange Versuche, Seppel und meine eigenen Hunde aneinander zu gewöhnen. Leider erfolglos. Mein 45 kg Rüde wollte ihn einfach nicht akzeptieren und so war auch dieser Versuch gescheitert. Für mich war es unfassbar schwer, nun abends das Licht in der Hundeanlage auszuschalten und den kleinen Dackelmann einfach zurückzulassen, wo wir doch so gut miteinander auskamen!
Jede Tierpflegerin kennt es, natürlich fühlt man mit allen Tieren mit, aber es gibt immer solche Einzelschicksale, die einem besonders nah gehen und nicht mehr loslassen!
Monate um Monate vergingen, ohne dass sich jemand für Seppel meldete.
Als es mich beruflich wieder nach NRW verschlug, war sofort klar: Seppel muss mit!
Also ging es für Seppel und mich gemeinsam ins Tierheim Herne Wanne.
Während ich mich sehr gut einlebte, tat Seppel eher das Gegenteil: Es gab kaum einen Mitarbeiter, den er nicht angegriffen und sogar verletzt hat, und ich blieb eine seiner wenigen Bezugspersonen. Wir waren kurz davor, die Hoffnung aufzugeben, als sich plötzlich ein junges Paar für ihn meldete, zwar ohne Hundeerfahrung, aber es war der letzte Strohhalm, an dem wir uns halten konnten! Vielleicht eben auch die letzte Chance für Seppel, den Tierheim Zwinger endgültig zu verlassen!
Mit viel Zeit, Geduld und der Unterstützung einer Hundetrainerin wurde nun also auf Tag X hingearbeitet.
Im Wohnzimmer der neuen Familie entstand ein kleines Gehege, das später als Rückzugsort für Seppel und als Entspannungsmaßnahme für die Familie fungieren sollte.
Und dann kam Tag X.
Am 6.4.24 verließ der kleine Wüterich das Tierheim gemeinsam mit seiner potentiellen neuen Familie. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verabschiedete ich mich von meinem kleinen Mr. Hyde. Die Angst, er könnte schon wieder zurückkommen, war trotz aller Vorbereitungen sehr groß. Aber noch größer als die Angst vorm Scheitern war der eine Gedanke in meinem Kopf: Es muss doch jetzt endlich klappen! Wenn es jetzt nicht klappt, wann dann!?
Diesmal blieb der Maulkorb die ersten Wochen dauerhaft am Hund. Wir wollten nun alles richtig machen und keine falschen Kompromisse mehr eingehen. Die ersten Wutanfälle von Seppel ließen auch nicht lange auf sich warten, aber mit Maulkorb abgesichert und mit Hundetrainerin an der Seite, meisterte Seppels neue Familie alle Hürden mit Bravour! Das Vertrauen wuchs auf allen Seiten.
Heute, fast 6 Monate später, sieht es verdammt gut aus für den kleinen Dackelmann!
Nichts ist in Stein gemeißelt, aber es sieht wirklich sehr gut aus!
Von seinem eigenen Hund schwer gebissen zu werden ist eine schlimme Sache und nicht jeder kann damit umgehen. In diesem Fall war es richtig, dass sich Seppels ehemalige Familie von ihm getrennt hat, denn das Vertrauensverhältnis war auf beiden Seiten zerstört und ein normales Zusammenleben wäre kaum mehr möglich gewesen.
Seppel wird in gewissen Situationen sein Leben lang einen Maulkorb tragen müssen. Und da der Maulkorb in der Öffentlichkeit leider immer noch verteufelt wird und Dackel einfach nur niedlich sind, erntet seine neue Familie nicht nur nette Blicke! Auch damit kommt nicht jeder klar.
Abschließend möchte ich Danke sagen:
Danke an Seppels ehemalige Besitzer, die immer noch sehr an ihm hängen, ihn nie vergessen haben und all die Jahre finanziell für ihn gesorgt haben!🫶🫂
Danke an Seppels neue Familie, dass ihr euch bewusst dazu entschieden habt, einem Schwerverbrecher ein neues Zuhause zu geben! Danke, dass ihr weder Kosten noch Mühen gescheut habt, um ein Zusammenleben möglich zu machen! Es müsste viel mehr Menschen wie euch geben. 🫶🫂
Ihr wisst, ich bin jederzeit für euch und Seppel da. Das habe ich ihm und euch versprochen. ❤️
Nadine, Tierpflegerin im Tierheim Herne-Wanne
Wir als Tierheim wollen abschließend noch ein paar Appelle loswerden.
Kauft keine Arbeitshunderassen, wenn Ihr sie nicht für den ursprünglich gezüchteten Zweck ausbilden wollt, bzw. wenn ihr keine Ahnung von dem eigentlichen Ursprung habt.
Gebt auch den schwierigeren Seelen im Tierheim eine Chance. Es werden immer mehr und Sie brauchen Menschen, die ihnen eine Chance geben!
Hört bitte auf den Maulkorb zu verteufeln! Er ist ein Hilfsmittel für den Hund, das ihm Freiheit, Vertrauen und sozialen Kontakt ermöglicht. Nichts ist negativ, an einem gut sitzenden Maulkorb!
Werft bei Problemen nicht sofort die Flinte ins Korn! Es gibt für fast alles eine Lösung. Man sollte sich aber eben auch direkt Hilfe suchen und nicht erst wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist!
Bitte kauft keine Hunde im Internet! "Anklicken, anrufen, abholen" ist ein Motto, das für einen Mixer gilt, aber nicht für ein Lebewesen!!!
Und jetzt drückt alle die Daumen für den den kleinen Dackelmann mit der langen Fallakte.🍀❤️