04/10/2024
Wie immer gut und nachvollziehbar geschrieben 🥰. Danke 🐾🐾
Bist das denn Du?
Ich habe keine Ahnung, wo ich anfangen soll.
Ich bin so voll, so müde und das alles will raus.
Ich fange mit dem an, was mich gerade am meisten umtreibt. Dem schlechten Gewissen der Menschen mit denen ich tagtäglich arbeite. Das schlechte Gewissen von Meschen, die mit Hunden ihr Leben teilen. Es hat so viele Gesichter.
Ich erzähle jetzt von einem. Ich bin die dritte Trainerin bei einem Hund unter 2 Jahren. Besuch könnte ohne Beschädigung das Haus nicht betreten, draußen ist der Hund ruhig, passiv. Alles scheint ihm gleichgültig, nur wenn er nicht weiter will, dann will er nicht. Dann ist er stur.
Zunächst soll er depriviert sein, bekommt Psychopharmaka, damit er ruhiger wird und sich besser konzentrieren kann. Man beginnt „rein positiv“ zu arbeiten. Fleischwurst und Käse wird der tägliche Begleiter und als der Hund beginnt bei seinen Besitzern aufzureiten wird er kastrationsgechipt. Heile heile, moralisch korrekte Welt.
Nur weiter kommt man nicht. Besuch kann nicht kommen und stur bleibt er auch. Irgendwann beißt der Hund in eine Trainerin, ich habe keine Ahnung mehr, welche von beiden, auf jeden Fall werde ich von der zweiten Trainerin empfohlen. DANKE!
Ich habe an sich keine Termine mehr frei, lasse Hund und Besitzerin aber mal kurz reinschneien, um das einzuschätzen. Sehr feiner Hund! Sehr kooperativ, SEHR unerzogen, total haltlos und eine Besitzerin, die auch nach sovielen Monaten Training ihren Hund nicht versteht. Wir beginnen drinnen, wir beginnen mit Besuch, nach 5 Terminen bekommt sie Besuch ohne mich. Es klappt. Nicht perfekt, natürlich gesichert. Aber man konnte Kaffee zusammen trinken.
DANN: „Nanette, mir tut der Hund auf der Decke so leid. Ist das für ihn keine Strafe?“
Ich habe wie bei der ersten Trainerin mal angefangen ihm dort Wurst hinzulegen...Ich wollte auch den Maulkorb positiv verknüpfen mit Käse.
WARUM in Gottes Namen, schimpfwörter
Der Hund lag seit wir arbeiten total entspannt auf dieser Decke, er blieb dort sogar, weil es sich gut anfühlte diese Verantwortung abzugeben. Ich habe das erklärt. Ich rede mich fusselig. Nicht einmal mussten wir laut werden, oder Druck anwenden. Er wurde in seinem Tempo auf die Decke geführt, wir haben seinen Rahmen akzeptiert, seine Sorge super ernst genommen. Ihm die Alternative total plausibel gemacht. Es klappte und dann kotzt das Kleinhirn da so blabla hin: Der arme Hund.
Ist am Halsband nehmen nicht Gewalt? Er will es ja nicht von selber.
Ich sage meine Meinung.
Jetzt wollte ich letzte Woche nach 14 Tagen Pause dem Hund erklären, wie man auf Besuch zu gehen darf. Übrigens mit Leberwursttube. Dabei ist die Wohnzimmertür kaputt gegangen. Der Hund verbittet sich nämlich nun von der Besitzerin am Halsband angefasst zu werden. ohwunder
Das sind bestimmt die Hormone, so die Aussage der Besitzerin.
Der Besuch hat sich letzte Woche nicht reingetraut, der Hund wollte nicht auf seiner Decke sein, also hat man ihn am Tisch festgebunden. WAS??? Und der Besuch sollte sich da hinsetzen?
Er war nichtmal mit Wurst zu locken.
Der unerzogene Heranwachsende ist bald bierernst und saugefährlich.
Anstatt den Hund zu erziehen, macht der Mann im obersten Geschoß eine „Auszeit“, wenn der Hund ihn attackiert, oder was will.
Ich stehe da und bin sprachlos. Wie fühlst du dich, wenn er mir durch die Scheibe entgegenfliegt, wenn er euch angeht?
„Ich bin enttäuscht von ihm und traurig.“
Ist da gar keine Wut?
NEIN. Er wird ja einen Grund haben, wir wissen ja nicht, was er erlebt hat und die Deprivation.
Warum konnte er sich im Training ohne Wurst, mit klarer Linie dann so toll benehmen? Glück? Guter Tag? Mondkonstellation?
Ich mache mir große Sorgen um diesen Hund und die Menschen, die mit ihm leben. Ich hoffe, ich irre mich, wie es endet. Ich hoffe, es macht noch früh genug „klick“ und sie verstehen, was ich und der Hund von ihnen brauchen.
Training findet eben nicht mit dem bezahlten Menschen oder 2mal in der Woche statt. Euer Alltag ist die Übungsmatte. Ihr müsst zu dem Trainingsziel werden. Es muss verinnerlicht sein. Ohne Denken. Und daran hapert es so, so, so, so oft.
Ich wünsche mir, dass mein Hund in hoher Ablenkung abrufbar ist. Dann benötigst du in reizarmer Umgebung 100%ige Ansprechbarkeit. Ich möchte ja aber nicht, dass er keine eigenen Entscheidungen treffen darf, er soll ja frei sein und sich gut fühlen, Hundsein, ich will ihn nicht gängeln.
Das klappt nicht – PUNKT. Du kannst nicht einen Hund haben, der frei seine Persönlichkeit entfaltet und dann plötzlich, weil es dir wichtig ist, seine Bedürfnisse nach hinten anstellt. So Ghandi, Mutter Theresa like. DAS ist so unfair Hunden gegegnüber und mißbräuchlich. Dieses Enttäuschtsein, es macht mir das Leben gerade sehr sehr schwer.
Der Hund ist kein besserer Mensch, er lebt in keiner Moral und er wertet in seiner Lust. Er macht Dinge, weil er es kann und weil es sich gut anfühlt, nicht weil sie logisch sind und in dein Erziehungskonzept passen, oder in meines. An sich ist die ganze Sache so unfassbar simpel.
Sich erkennen, den Hund erkennen. Wo passen unsere Bilder übereinander, wo braucht es Anpassung. Wo ist es zu kompliziert, dann vereinfache ich.
Und natürlich darf da gelockt werden und natürlich darf da gestoppt werden. Ihr müsst nur wissen, was ihr da tut und bitte dem Hund den Raum geben zu antworten. Versteht er, was ihr da macht? Versteht ihr es? Ist es zielführend?
Im Fall oben, wollte ich dem Hund erstmal Sorge nehmen. Wir haben ganz langsam angefangen. Erstmal Schuhe in den Flur gestellt, er durfte sie begutachten, geruchlich wahrnehmen, wer kommt da gleich. Er wurde im Wohnzimmer abgelegt, wir klingelten, er blieb ohne Einwirkung liegen. Dann kam ich in den Flur. Kurzes Blabla, dann ging ich wieder. Alles safe, ohne Ausrastenmüssen Dann brachte ich Menschen mit, gleiches Vorgehen. Hund war super entspannt. Bei der dritten Stunde erst betraten wir das Wohnzimmer, setzen uns. Gingen wieder, als er sich entspannte. Du bist sicher und verantwortungsfrei. Das war meine Message. Bei der letzten Stunde, konnten wir uns im Raum frei bewegen und er blieb einfach auf seiner Decke. Brauchte zunächst noch die Nähe und Entspannung seiner Besitzerin, orientierte sich toll. Schlief sogar schnarchend ein und sie konnte in die Küche uns Getränke holen.
Nun belegte man diesen Platz mit Fleischwurst. Etwas, was vorher sich einfach gut angefühlt hat, hat plötzlich einen Wert. Muss der Platz nun beschützt werden, da war sie wieder die Sorge und die Verantwortung. Gleichzeitig macht sich die Besitzerin unglaubwürdig. Ach, seht mich seufzen.
Wenn du also ein schlechtes Gewissen deinem Hund gegenüber hast, dann guck genau hin. Geht es wirklich um den Hund, oder um Dich?
Hört auf die Hunde als Projektionsfläche für eure Wünsche zu benutzen! Ihr wollt gerne freier, stärker, mehr ihr selber sein. Der Hund will nur seine Ruhe, nen vollen Napf und sich fortpflanzen, er wäre gerne Teil einer sozialen Struktur, die er verstehen kann. Je nach Persönlichkeit und Rasse kommen ein paar kleine Features hinzu, ansonsten ist er das, was er an Material mitbringt und DU daraus machst. Nen grenzenloser Wi***er, nen jagender Nö-sager, nen jammernder kurz vorm Verhungern, ein liebevolles Kuschelkissen, ein Beschützer, ein Freund und manchmal auch richtig richtig gefährlich.
Und ja, ich bin so wütend auf Kollegen, damit sind nicht mal die im besprochenen Fall gemeint, die Menschen einreden, dass ins Halsbandgreifen Gewalt ist. Auf Zwang einige ich mich. Und wer ohne Zwang arbeitet ist tot. Hört doch auf den Leuten solche Märchen zu verkaufen.
Uns muss einfach mal wieder bewusst werden, das Hunde keine Wildtiere mehr sind, weil wir sie selektiert haben. Nicht Gott, oder die Evolution hat sie erschaffen, nicht das „Überlebenmüssen“, sondern der Mensch. Der Hund war uns schon immer Nutze, wir gaben ihm den Rahmen vor. Also nehmt diese Verantwortung ernst und seid die Götter, die der Hund braucht, um pupsend auf dem Sofa zu chillen.
So, nun rufe ich alle zurück, die die letzten Tage versucht haben mich zu erreichen, mache die Listen neu, Termine, plane – Büro. Am freien Tag. So ist das, wenn man liebt, was man tut. Wenn einen das so schrecklich berührt, dass es oft weh tut.
Namaste.