20/09/2022
Einige kennen sicher inzwischen diese „Qualzucht-Kampagne“ in Bezug auf Widderkaninchen. Der „Kampagne“-Begriff stammt übrigens nicht von mir, sondern wird von der Präsidentin der Landestierärztekammer Berlin, H. Ratsch, so genutzt.
In dem QUEN-Merkblatt finden sich ja viele Behauptungen, die nicht belegt werden. So werden z. B. Widderkaninchen vermehrt Ohr- und Zahnprobleme zugerechnet. Am Ende werden 5 Quellen angeführt, die wohl einige der Behauptungen belegen sollen – welche, ist unklar.
Eine der Quellen ist eine Dissertation von Reuschel, 2018. Dort wurden 388 CT-Aufnahmen von Kaninchen ausgewertet, die im Kopfbereich erkrankt waren. Also alles kranke Tiere.
Von diesen 388 Tieren wurden bei 6 Stehohrkaninchen (1,5%) und bei 33 Widderkaninchen (8,5%) Ohrerkankungen diagnostiziert. Aus dieser Fülle an ausgewählten Tieren wurde allgemein auf Ohrprobleme von Widderkaninchen geschlossen. Ohne Rasseunterschied, weil die ja in der Regel nicht bekannt ist.
Es gab noch andere Diagnosen in dieser Arbeit, nämlich die von Zahnerkrankungen. Hiervon waren 110 Stehorkaninchen (28,4%) betroffen und 66 Widderkaninchen (17%). Fast doppelt so viele Stehohrkaninchen als Widderkaninchen waren also wegen Zahnproblemen vorstellig. Das stimmt natürlich jeden, der sich ernsthaft und unvoreingenommen mit dem Thema beschäftigt, nachdenklich. Wie kann das sein?
Wer die Arbeit nutzen möchte, um ein Ohrproblem bei Widdern belegen zu wollen, zerlegt mit ihr gleichzeitig das Argument, Widderkaninchen würden häufiger wegen Zahnproblemen vorgestellt. Wie verbiegt man sich jetzt, um die Arbeit trotzdem für irgendetwas nutzen zu wollen?
Antwort: gar nicht. Die Arbeit ist nämlich prinzipiell nicht geeignet, allgemeine Schlüsse ziehen zu wollen. Es ist schlicht die Anzahl und Auswahl der Tiere (388 kranke Tiere aus mehr als 8 Jahren), die einen allgemeinen Schluss auf Irgendwas nicht zulässt. Nennt man auch Studiendesign.
Tierschützer nutzen die Arbeit, um Ohrprobleme bei Widderkaninchen belegen zu wollen und ich könnte sie nutzen, um allgemein gehäufte Zahnprobleme bei Stehohrkaninchen belegen zu wollen. Beides ist aber falsch. Es waren übrigens keine „Zwergkaninchen“ dabei.
Quelle:
Reuschel, M. (2018): Untersuchungen zur Bildgebung des Kaninchenohres mit besonderer Berücksichtigung der Diagnostik einer Otitis bei unterschiedlichen Kaninchenrassen. Dissertation. Tierärztliche Hochschule Hannover, Hannover. Klinik für Heimtiere, Reptilien, Zier- und Wildvögel. Online verfügbar unterhttps://elib.tiho-hannover.de/servlets/MCRFileNodeServlet/tiho_derivate_00000027/reuschelm_ws18.pdf