05/12/2023
Abgesehen davon, dass ich die nicht-Teilbarkeit der Hausbesuchsgebühr für einen Fehler halte, kann ich dies nur unterschreiben. Und es kommt nicht von ungefähr, dass ich keine Assistenten mehr gesucht habe, im Zuge der Trennung der Gemeinschaftspraxis vor knapp 10 Jahren die kurative Praxis extrem heruntergefahren habe und mich praktisch ausschließlich auf die Osteopathie konzentriere.
Und die meisten Kunden, die sich beschweren, fallen durchaus in die Kategorie, welche Unmengen an verschiedensten teuren Futterzusätzen und immer die neueste Kollektion an passenden Sets aus Schabracken, Bandagen und Fliegenmützen kaufen…
Nach der stimmungsgeladenen Aufregung um die GOT durch die FN scheint es an der Zeit, zur Abwechslung mal wieder ein paar Fakten auf den Tisch zu bringen.
- Stichwort Hausbesuchsgebühr: im Pferdebereich wurden 2022 6,7 Milliarden Euro pro Jahr umgesetzt. 2,6 Milliarden Euro entfallen auf die Pferdehaltung an sich, den Löwenanteil mit 4,1 Mrd Euro teilen sich Einzelhandel und Dienstleister auf.
- Davon machen Tierarztkosten nach wie vor nur einen kleinen Teil (unter 10%) aus. 90% dieser gut 4 Mrd. entfallen auf Bereiche, in denen gespart werden kann, ohne das Tierschutzgesetz zu verletzen. Vieles an Zubehör oder Futtermitteln ist unnötig, wird aber dennoch gekauft. 40 Euro für ein wirkungsloses Zusatzfutter, das die Rittigkeit verbessern soll, ist kein Problem, 40 Euro Hausbesuchsgebühr, hingegen, ist ruinös.
- Behauptungen, dass Tierarztrechnungen sich generell verdoppelt hätten, sind natürlich falsch. Und wieviele Pferdetierärzte impfen überhaupt einen ganzen Bestand an einem Tag? Das Tagesgeschäft sind doch die Einzeltierbehandlungen. Extreme Einzelbeispiele zu verallgemeinern, um Unwillen und Wut zu erzeugen, ist freundlich gesagt, Populismus.
- Die Hausbesuchsgebühr ist vom BMEL eingefügt worden, nicht von der Bundestierärztekammer, und sie macht eine Menge Sinn. Natürlich ist es viel aufwendiger, alles ein- und auszupacken und unter teils abenteuerlichen Bedingungen untersuchen und behandeln zu müssen als sauber und trocken in einer Praxis oder Klinik.
- Hätten sich die Kritiker auf den Punkt der Unteilbarkeit konzentriert und eine Verschiebung in der GOT von Teil A (unteilbare Leistungen) in einen Bereich mit teilbaren Leistungen gefordert, hätte es eine angemessene, sachliche Diskussion werden können.
- Mit einer punktuellen Sachdiskussion hätte man aber natürlich nicht so viel Aufsehen erregt. Der Pferdesport steht wegen diverser Skandale von Leitfiguren sowie breit etablierter, aber tierschutzrelevanter Trainingsmethoden in der Kritik. Die sogenannte „Social license“, also die gesellschaftliche Akzeptanz des Pferdesportes ist in Gefahr. Das hat zu großer Aufregung in den Verbänden geführt.
Ein offizieller Ausweg der FN aus diesem Dilemma heißt „Durch gemeinschaftliches Handeln gesellschaftliche Akzeptanz stärken“. Es scheint, als solle die Aktion gegen die Tierärzte und ihre Gebühren genau dies umsetzen. Die FN profiliert sich als Retter der Enterbten, im Versuch, alle Pferdehalter unter ihrem Banner zu versammeln. Wenn man schon in allen anderen Dinge uneinig ist, spätestens wenn es ums eigene Portemonnaie geht, (so hofft man) stehen doch alle zusammen. Es handelt sich hier um ein Ablenkungsmanöver, für das man sich eine vermeintlich schwache Berufsgruppe und einen populären Aufhänger ausgesucht hat.
- Ausgerechnet denen, die 365 Tage im Jahr 24 Stunden am Tag bereit stehen, um bei Nacht, Sturm oder Eisglätte Pferde in Not zu behandeln, wird ein angemessenes Einkommen geneidet? Vor der neuen GOT lag das Mindestgehalt von angestellten Tierärzt:innen bei 2.500 Euro! Das hat sich glücklicherweise geändert.
- Das Netto-Einkommen von Praxisinhaber:innen betrug vor der neuen GOT ca. 10-15% vom Umsatz. Um eine Vergleichbarkeit mit einem normalen 38,5 Stunden Beruf zu erreichen, muss dieser Betrag auf die geleistete Stundenanzahl umgerechnet werden. Die stetige Verwechselung von Umsatz oder Rohgewinn mit Nettoeinkommen zeugt von Unkenntnis. Umsatz minus Mehrwertsteuer minus Kosten ergibt den Rohgewinn. Von diesem gehen dann noch alle Sozialabgaben und die Einkommenssteuer ab.
- Die oft zitierten GOT Anpassungen von 2008 und 2017 brachten lediglich einen Inflationsausgleich (jeweils 10 Jahre im nach hinein), aber keinen Kaufkraftgewinn. Bloß weil Tierärzte und Tierärztinnen jahrzehntelang billig gearbeitet haben und nun die Quittung durch fehlenden Nachwuchs bekommen, heißt das nicht, dass es immer so weiter gehen kann. Im Gegenteil, hier muss sich schnell etwas ändern.
- Pferdepraxis ist ein ausgesprochen gefährlicher Beruf. Nach einer britischen Studie haben Pferdetierärzte den mit Abstand unfallträchtigsten Beruf überhaupt, und jeder von uns kann von knappem Entkommen oder Verletzungen berichten.
- Was versteht die FN unter einer „angemessenen Bezahlung“ für jemanden, der routinemäßig seine Gesundheit und oft genug sein Leben einsetzt? Wo bleiben die breiten Aktionen der FN für Sicherheit im Umgang mit Pferden und Schulungen für die Basiserziehung eines Pferdes oder „medical training“?
Wer möchte, dass jemand die Kohlen aus dem Feuer holt, sollte wenigstens dafür sorgen, dass dieser dabei nicht verbrennt.
- Und Pferde als landwirtschaftliche Nutztiere in der EU Gesetzgebung? Sicher nicht. Equiden werden von der EU zumeist als Sonderfall behandelt und haben zahlreiche Ausnahmeregelungen, gerade weil sie nicht zur Fleischproduktion sondern als Sport- und Gesellschaftstiere genutzt werden. Der Begriff „livestock“ bedeutet „Vieh“, nicht aber „landwirtschaftliches Nutztier“. Laut BMEL dienen Nutztiere „der Erzeugung von Nahrungsmitteln (zum Beispiel Milch, Fleisch und Eier), sowie der Gewinnung von Tierprodukten (zum Beispiel Wolle, Häute und Felle).“
- Die mit der Petition angestrebte „Rückkehr zu angemessenen Tierarztkosten" heißt übersetzt "Tiermedizin zu Preisen, die uns gefallen“. Funktioniert das bei den Leistungen der FN auch so, dass man nur zahlt, was man als Kunde für angemessen hält?
- „Tierschutz muss bezahlbar bleiben.“ Völlig richtig. Er muss hingegen nicht von einer einzigen Berufsgruppe finanziert werden Laut Gesetz liegt die Verantwortung in erster Linie beim Besitzer, in zweiter bei der Gesellschaft, die Tierschutz als Staatsziel aufgenommen hat.
- Sobald die FN, Stallbesitzer und insbesondere die finanzstarke Futtermittel- und Zubehörindustrie wirtschaftlich schwachen Pferdebesitzern Tierschutzrabatte einräumen, wären Tierärzte die letzte Berufsgruppe, die sich einer gemeinsamen Beteiligung entziehen würde.
- Die GOT ist völlig legal und demokratisch entstanden und von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat ratifiziert worden, selbstverständlich nachdem auch die verschiedensten Interessenvertretungen gehört wurden. Was sagt es über die Glaubwürdigkeit der FN aus, wenn jeder Tierbesitzer nach zahllosen Berichten in Zeitungen und Fernsehen Bescheid wusste, die FN Entscheidungsträger aber angeblich komplett überrascht wurden?
Ein Privatgutachten im Auftrag der Vollblutzüchter, das vermeintliche Illegalität suggeriert, ist die Meinung eines einzelnen Anwaltes, mehr nicht.
- Heutzutage muss man Angestellte ordentlich behandeln und bezahlen, wenn man welche haben möchte. Die jungen Tierärzt:innen drängt es nicht gerade in die Praxis, und schon gar nicht in die Pferdepraxis. Nach ein, zwei Jahren ist bei den meisten der initiale Enthusiasmus verbrannt, und sie suchen nach besser bezahlten Jobs mit familienfreundlicheren Arbeitszeiten. Fachkräftemangel ist das Thema des Tages, nicht aber überbordender Reichtum.
Mit der neuen GOT ist es erstmals gelungen, angestellte Tierärzt:innen halbwegs angemessen zu bezahlen. Dieses Rad lässt sich nicht zurückdrehen.
- Das seit einigen Jahren mit drakonischen Strafen durchgesetzte Arbeitszeitgesetz verhindert jegliche, auch freiwillige Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung bei Angestellten. Daher brauchen Kliniken und Praxen im Vergleich zu früher entweder ein Mehrfaches an Angestellten zur Besetzung von Notdiensten, oder aber die Praxisinhaber:innen machen ihn immer selbst. So oder so, Bereitschaft und Notdienst kosten Geld.
- Tierärzte müssen damit leben, dass sie bei weitem nicht alle Tiere angemessen behandeln können, weil die Besitzer nicht die nötigen Reserven haben. Tierärzte können aber auch nicht alle Tierbesitzer quer finanzieren.
Die Frustration, zu wollen, aber nicht zu können, hat schon viele hochmotivierte Tierärzt:innen in Depression, Alkoholsucht und sogar Suizid getrieben.
Es steht zu hoffen, dass wir alle baldmöglichst zu einer von Anstand und Respekt geprägten Partnerschaft zurückkehren können, wie unsere Pferde sie verdient haben.