30/12/2023
Silvester ist, wenn in der FB-Hundeblase wieder über Eierlikör diskutiert wird. Also genau jetzt, sagt meine Timeline.
Und wie jedes Jahr gibt es in allen Diskussionen vor allem verdammt viel Meinung und Schwarz und Weiß (die gute Chemie, der böse Eierlikör – oder halt andersrum), dazwischen aber kaum Fakten, Grautöne oder gar Bunt - maximal ein frisches Eierlikör-Gelb.
Nach wie vor tötet ein Schlückchen Eierlikör in passender Dosierung keinen Hund, und nach wie vor ist Alkohol halt auch nur ein Wirkstoff mit guter anxiolytischer Wirkung.
Und genauso gibt es nach wie vor auch gute andere, zugelassene Präparate für betroffene Hunde, die eben keinesfalls pauschal „die böse Chemie“ sind und Hunde handlungsunfähig machen, während sie alles mitbekommen.
Ein bisschen weniger Meinung und ein bisschen mehr Fakten wären hier – wie überall im Leben – sicherlich kein Fehler, auch im Sinne unserer Hunde…
Ich möchte aber eigentlich auf einen ganz anderen Punkt eingehen, nachdem ich gerade gelesen habe, dass bereits Halter eines 10 Wochen alten Hundes beim Tierarzt nach Beruhigungsmitteln für Silvester fragen, weil das ja so stressig für Hunde sei; das Thema Umgang mit Stress und Erwartungshaltungen, die sich selbstverständlich auf den Hund auswirken. Ich bin mir jetzt schon sicher, dass der erwähnte Welpe leider sein gesamtes Leben lang Stress mit Silvester haben wird, weil im von Anfang an die Möglichkeit genommen wird, sich mit solchen Reizen zunächst einfach mal neutral auseinanderzusetzen.
Oder andersrum: mein Pyrotechniker-Nachbar hat im Sommer ohne Ankündigung ein Monster-Feuerwerk im Nachbarsgarten gezündet, auf das hier keiner gefasst war, und es war die erste Knall-Erfahrung für die Jungspunde. Ich bin sofort nach drinnen geflitzt und habe dann mit den Hunden eine große Frolic-Party unterm Feuerwerk gefeiert. Je unsicherer die Hunde wurde, desto lustiger wurde ich. Und am Ende saßen wir dann alle Frolic-futternd unterm Feuerwerk – was sicherlich nicht passiert wäre, wenn ich selbst der Meinung wäre, dass Feuerwerk das Schlimmste ist, was Hunden passieren kann und vor lauter Schreck und Unsicherheit genau das auf die Hunde übertragen hätte. Morgen Abend werden wir hier also genau das weiterführen, was wir damals begonnen haben und auch jedesmal machen, wenn "zufällig" zB ein Topfdeckel auf den Fliesenboden fällt.
Und bevor der große Aufschrei kommt: ich plädiere nicht dazu, Hunde mit einem echten Problem zu ignorieren und einfach lustig weiter Party zu feiern, aber dazu, vor allem jungen Hunden die Möglichkeit zu geben, sich mit der Unterstützung ihres Menschen(!) mit potentiellen Stressoren auseinanderzusetzen.
Oder anders gesagt: man kann halt immer noch nicht schwimmen lernen, ohne jemals nass geworden zu sein – und dasselbe gilt auch für den Umgang mit Stress, das Erlernen von Coping Strategien und den Aufbau einer guten Resilienz! Und das gilt halt auch nicht nur – aber auch! – für Silvester, sondern für alle Stressoren, für den Umgang mit Frustration etc. Wie unfair ist es also, den Hund vom Stress und den Stress vom Hund fern zu halten? Zumal das eh nie ein Hundeleben lang funktionieren wird. Auch ich versuche inzwischen seit 48 Jahren erfolglos ein stressfreies Leben zu führen – was liegt also näher, als stattdessen einen guten Umgang mit Stress zu erlernen bzw. das Handwerkszeug dafür mit auf den Weg zu bekommen? Eben!
Und einen weiteren Punkt, der in sämtlichen Diskussionen geflissentlich ignoriert wird, halte ich auch für total wichtig, nämlich den, dass die „Nervenstärke“ beim Hund eine vergleichsweise hohe Heritabilität hat und damit auch züchterisch beeinflusst werden kann – und sollte! Dennoch wird auch mit nervenschwachen Hunden fleissig weiter gezüchtet, so dass entsprechende Halter dann an Silvester zwar mit einem Hund dastehen, der die perfekte Farbe, Größe und den perfekten Fleck über der rechten Augenbraue hat, der aber vor lauter Panik zusammenklappt. Und dann kommt Silvester ja auch jedes Jahr so plötzlich…
Kurzum: weg von akuten Silvesterproblemen (ja, ich kenne sie durch das Dönertier, das zweimal als Reaktion auf Silvester einen Darmverschluss hatte, in allen Facetten!) wird es einfach auch Zeit, wieder einen gesunden Umgang mit Stress und Stressoren zu finden, und zwar von Anfang an, anstatt sich an Silvester über Eierlikör und Acepromazin zu streiten.
Und jetzt wünsche ich allen Hunden und ihren Menschen, dass sie gut ins neue Jahr kommen! 😊
PS: ein Likörchen hinter die Öhrchen fand Piccolo trotzdem ganz angemessen ;)