23/07/2024
Genetisches verankertes Verhalten ist immer schneller verfügbar als antrainierte Verhaltensketten
Hilda (Berger des Pyrenees - face rase) hat am Wochenende ihre Genetik ausgepackt. Wir waren im Seminar und gerade dran. Es war heiß und sie hatte ihre Einheit fast fertig. Plötzlich verbellt sie neben mir und ist total aufgeregt. Dann erst habe ich, die Seminarleiterin und die restlichen Teilnehmer bemerkt, dass ein Mann mit Sonnenbrille 3 Meter von uns entfernt an den Zaun getreten ist.... Wir haben uns alle erschrocken und ihn erst nach dem Verbellen von Hilda bemerkt.
Ok, es war unser Vorstand, der der Seminarleiterin einen Kaffee gebracht hat..... für uns dann Entwarnung. Für Hilda in ihrer aktuell gestressten Emotion nicht zum Aushalten. Ich habe noch kurz versucht, sie für mutiges hinschauen ohne Bellen zu belohnen, aber sie konnte das nicht mehr leisten und ich bin mit ihr aus der Situation gegangen und habe die Restzeit unserer Einheit mit Hilda gemeinsam in sicherer Entfernung verbracht.
Bei uns kann das schon mal vorkommen, das Hilda etwas nicht mehr leisten kann und sie dann in ihr genetisch verankertes und immer perfekt abrufbares Verhalten driftet. Ich bin da sehr empathisch mit meinem Hund, denn Hilda würde sicher auch lieber cool und unbeeindruckt mit mir durchs Leben gehen. Ihr hilft es aus der Situation rausgehen zu können. Mir auch, weil es meinem Hund hilft. Natürlich versuche ich es trotzdem noch als Übung zu nehmen und in sicheren und für sie möglichem Abstand doch noch mal zu einem Blick zu motivieren. Für mich ist das so in Ordnung, verbellen gehört zu meinem Hund dazu. Dafür ist er gezüchtet .... und er geht nicht nach vorne, sondern bleibt bei mir ...... er verbellt eben! Genetisches Verhalten ist immer schneller verfügbar als antrainierte Verhaltensketten.
Soweit, sogut....
Wären da nicht die Stimmen in der Pause: Was war denn da mit Hilda los? Die kennt ihn doch? Daran musst du arbeiten .... das würde ich ihr abgewöhnen....
Was soll man da sagen? Ich habe geantwortet, das ist ihr genetisches Gepäck und das hat sie ausgepackt. Genau dafür ist sie gezüchtet worden: Stellen und verbellen (wobei Hilda für das "stellen" oft viel zu unsicher ist). Oder auch: "Augen auf beim Rassekauf"
Ich überlege noch, ob sie auch ein wenig FÜR MICH verbellt hat, denn wir alle haben ihn nicht kommen sehen.
Übrigens: Alle haben sich erschrocken. Hilda war so auf die Arbeit konzentriert und hatte ihn auch erst bemerkt, als er schon da war mit seiner tiefen Stimme gesprochen hat und etwas (Kaffee + Kuchen) über den Zaun gereicht hat. Wenn ich das vorher gesehen hätte, wäre ich nicht erschrocken und hätte Hilda darauf vorbereitet, das ein Mann mit Sonnenbrille kommt und etwas über den Zaun reicht. Aber ich habe es nicht vor ihr bemerkt, daher hat sie alles richtig gemacht.
Das kann jetzt jeder sehen wie er will. Ich habe große Empathie mit meinem Berger des Pyrenees und seinem Verhalten. Und nein, das sage ich nicht, weil ich es nach 3 Jahren immer noch nicht geschafft habe, ihr das Verbellen sicher abzugewöhnen. Im Gegenteil! Denn sehr oft freue ich mich auch darüber, dass sie mit mir zusammen ähnliche Situationen meistern kann - wenn ich die Situation rechtzeitig bemerke!
Genetisches Verhalten ist immer schneller verfügbar als antrainiertes Verhalten.
Mit dem Porsche nach Südfrankreich
-Maren Grote-
Es muss ein Dobermann sein! Er darf aber nicht wachsam sein, oder bellen, wenn es klingelt.
Der Golden Retriever ist Pflicht, auch wenn das Schlimmste ein verdreckter Fußboden wäre.
Der Herdenschutzhund soll bitte beim Grillfest mit im Garten liegen,
der Setter soll im Umkreis von drei Metern ohne Leine laufen und der Terrier darf wie besessen dem Ball hinterher jagen, aber ein totgeschütteltes Meerschweinchen wäre unverzeihlich.
Was den perfekten Hund ausmacht ist nunmal individuell und hängt ganz gravierend daran wie man so lebt.
Rasse ist kein Kostüm, kein Fellpullover mit Blanko-Hund darin.
Rasse bedeutet Genetik und Genetik bedeutet auch Verhalten. Und zwar unterschiedliches Verhalten.
Der Pullover, die Äußerlichkeiten sind nur der kleinste Teil, der eine Rasse ausmacht.
Im Dunkeln besonders wachsam sein, mit fremden Hunden nur schlecht auskommen, miesmuffelige Wesensart oder überdrehte Hektik, Anhänglichkeit und Freiheitsliebe......
Das und noch hunderte, andere Eigenschaften sind bei Rassehunden genetisch fixiert, gewollt und mühsam angezüchtet. Ja, es gibt Ausnahmen, aber die sind eben genau das: Ausnahmen. Gewollt sind bestimmte Rassemerkmale.
Es ist also wichtig zu wissen, welchen Freund man sich für viele Jahre mit ins Haus holt und welche Ansprüche man an ihn hat.
Ansonsten ist es ein bisschen, wie sich einen Porsche Sportwagen zu kaufen und dann damit mit den drei Kindern nach Südfrankreich in den Urlaub fahren zu wollen.
Es ist zu eng, die Koffer passen nicht rein und die Fahrt wird der Horror.
Da hilft es auch nichts den Wagen in die Werkstatt zu bringen.
Auch der beste Automechaniker macht aus dem Porsche keinen Van.
Wer also einen Van braucht, der sollte sich auch einen Van kaufen.
Erziehung ist ein großes Werkzeug, aber sie hat ihre Grenzen genau da, wo Genetik beginnt.
Bevor man nun versucht den Hund zu verbiegen und nach Jahren der Arbeit einen häßlichen Porsche mit dicken Schweißnähten, einem aufgesetzen Dachgepäckträger und Anhängerkupplung fährt, kann man auch einfach direkt schauen, welche Eigenschaften so eine spezielle Rasse mit sich bringt.
Ich glaube ganz fest an die Veränderbarkeit von Verhalten und an den Sinn von Erziehung.
Und ich weiß um genetisch fixiertes Verhalten.
Für die Hunde dieser Welt wäre es sicherlich leichter, wenn ihren angeborenen Verhaltensweisen mehr Respekt entgegen gebracht wird und dann innerhalb ihrer individuellen Möglichkeiten trainiert wird.
Dieser Text darf gerne geteilt werden. Alle Rechte verbleiben dabei aber bei der Autorin Maren Grote