12/10/2025
Das (wahrhaft) wölfische Geschenk
ganz kurz konnten wir euch hier ein sehr spannendes Verhalten von Augustin aufnehmen, das Wölfe nicht nur im intraspezifischen Kontakt, sondern auch („ihren“) Menschen gegenüber zeigen (natürlich in Gefangenschaft gehaltene Wölfe).
Unsere Hunde haben es von den Wölfen geerbt, es ist also ein richtiges Wolfserbe, obwohl das Verhalten im Laufe der Domestikation verändert wurde.
Und zwar das „Geschenk mitbringen“.
Warum Wölfe und Wolfhunde dieses Verhalten zeigen, hat einen besonderen Hintergrund, vor allem aber jetzt im Kontext des Erwachsenwerdens (bei Augustin).
Auch bei unseren „normalen“ Hunden konnten wir ganz ähnliches Verhalten beobachten, von all unseren Deutschen Doggen beispielsweise kennen wir das „Geschenkbringen“ in Begrüßungssituationen.
Augustin, als Wolf-Hund-Mischling/AWH zeigt das Verhalten aber noch mal etwas anders und viel stärker ausgeprägt.
Wenn er ins Schlafzimmer kommt, bringt er uns immer ein Geschenk mit, adressiert ist es an jedes Mitglied der Gruppe.
Was für ein Geschenk er mitbringt, ist immer unterschiedlich und hängt auch davon ab, von wo er gerade herkommt. Er schläft zum Beispiel, sobald es im Schlafzimmer zu warm wird, im gefliesten Flur, und wenn er von dort wieder ins Schlafzimmer zurückkehrt, bringt er eben einen Schuh oder einen Türstopper mit. Manchmal holt er zuvor auch was aus der Küche, etwas was ihm „wertvoll“ erscheint, ein Glas mit Zucker, oder die leere Hafermilchpackung (die volle nimmt er nicht mehr, vegan schmeckt ihm nicht!).
Meistens bringt er aber sein Geschenk von draußen mit- da die Haustür ja ständig geöffnet ist, kann er auch nachts auf die Weide - und dort gibt es die besten Präsente!
Einen Stock beispielsweise, eine tote Maus, eine Flexi-Leine, einen Pferdeäppel, ein Stück Moos, ein verbuddeltes Halsband, aber auch vergrabenes Futter, etwa das wabbelige Schweineohr, oder (wir erinnern uns sehr gut!) den verwesten Pferdeschlund (Barffleisch).
(Im Sommer brachte er uns auch ein lebendiges Spatzenkind!).
All diese Geschenke bringt er aber nicht nur mit, nein, er führt sie jedem Mitglied vor, in dem er den Gegenstand winselnd den anderen ins Gesicht hält (auch uns!). So kann eine Begrüßung mal über mehrere Minuten andauern, und ja, man wird garantiert wach!
Die Körpersprache ist dabei überdeutlich demütig beschwichtigend. Es ist kein ressourcenverteidigendes Verhalten!
Oft uriniert er dabei auch, mittlerweile aber nicht mehr so häufig, oder nur wenige Tropfen.
Das ist einer der Gründe, warum Wölfe und Wolf-Hund-Mischlinge nicht einfach „stubenrein“ werden - darüber können wir aber noch mal wann anders sprechen.
Diese Rituale machen uns deutlich wie (überlebens)wichtig das Rudel und die Gemeinschaft für Wölfe sind.
Das Verhalten hat also hauptsächlich mit Sozialverhalten und Bindung zu tun
(denkt jetzt bitte besonders an unser Verhalten Hunden gegenüber, wenn sie „Beute“ haben, und wie stark wir damit diese „genetischen Codes“ verändern.
Wie stark wir dieses biologische Verhalten schon verändert haben, und welche Folgen daraus resultieren, fangen wir aktuell an deutlich zu spüren!).
Im Wolfsrudel ist der Zusammenhalt also nicht nur wichtig, sondern überlebenswichtig; Futter wird geteilt, Welpen und Schwächere werden mit versorgt.
Und mit dem Geschenk sagt Augustin aus, dass er das Rudel respektiert, und die Loyalität der Gruppe verinnerlicht hat (leider ist er damit der einzige, da unsere „normalen“ Hunde schon längst nicht mehr auf die Gemeinschaft angewiesen sind).
Es ist wie ein uraltes Ritual, und wird schon früh mit dem Nachwuchs trainiert.
Für die Welpen ist es spielerisches Training: Teilen, Jagen und Sozialverhalten üben; auch Augustin hat das oft geübt, mit unterschiedlichen Objekten (zum Glück haben wir das nie unterbunden).
Und er hat es weitergegeben- wir konnten ihn häufig dabei beobachten, wie er das Geschenkbringen und Teilen mit den jüngsten Welpen gespielt hat … einige Clips haben wir euch zu dem Thema ja auch schon gezeigt. Einfach berührend!
Manchmal, besonders im jüngeren Alter, ist das Geschenkbringen auch eine Art Spielaufforderung, und genau das kennen wir von unseren Haushunden ja ebenfalls. Zum Beispiel, wenn dein Hund dir den Ball bringt und ihn dir in den Schoß drückt.
Früher haben „Experten“ übrigens propagiert, dass der Mensch bloß nicht darauf eingehen soll, da der Hund ja somit „bestimmen“ würde, wann gespielt wird - wie fatal und gemein, denn dieses Wolfserbe bezeugt ja gerade das stark ausgeprägte Sozialverhalten unserer Hunde, und spricht für eine gute Bindung dem Menschen gegenüber!
Wölfe zeigen dieses Verhalten aber auch noch aus einem anderen Grund:
Das Geschenkbringen soll nämlich auch Konflikte vermeiden.
Wenn Augustin also etwas länger draußen war, bringt er den Ranghöheren einfach ein Geschenk mit -
(Wir sind uns ziemlich sicher, dass Männer sich dieses Verhalten von Wölfen abgeschaut haben 😜)
- um seinen Respekt zu zeigen und direkt zu beschwichtigen (Schaaatz, ….).
Es ist also auch eine Art „Friedenssignal“.
Ein Geschenk um eventuelle Spannungen abzubauen, zum Beispiel wenn es beim Wiedersehen zu Unsicherheiten oder Rivalitäten kommt.
Jetzt in der Adoleszenz verstärkt sich dieses Verhalten, und das zeigt uns deutlich die gegenwärtige Struktur in der Gruppe.
Statusbedingte Auseinandersetzung sind also nie „plötzlich“, zuvor gibt es immer (subtile) Veränderung unter den Tieren.
Nun können unsere „normalen“ Hunde damit aber gar nicht viel anfangen, also mit Augustins Sozialverhalten (vielleicht sind sie mittlerweile ja auch so gerädert von den nächtlichen Geschenken) und Augustin erntet zumeist wenig Begeisterung und Empathie. So empfinden wir Menschen jedenfalls das knurrige Verhalten der Beschenkten.
Allerdings dürfen wir dieses Verhalten, also zum Beispiel auch hier im Clip die Reaktion von Matti, nicht zu menschlich bewerten.
Denn es ist stark ritualisiertes Verhalten und einfach: Kommunikation.
Es funktioniert ganz ähnlich wie Beschwichtigungsverhalten, nur umgekehrt, also Matti erkennt Augustins Demut und seinen Status an, macht aber auch seine „Ranghohheit“ deutlich, ohne aggressiv zu sein.
An diesem Beispiel seht ihr, warum Knurren so eine wichtige Kommunikation ist, und nie einfach bestraft oder unterdrückt werden darf!
Weil es so wichtig ist, spielen wir es zum besseren Verständnis nochmal durch:
Augustin kommt mit seinem Geschenk also auf Matti zu, und erkennt ihn demütig als ranghöheres Mitglied an - wenn Matti sich daraufhin nun (menschlich!) „dankbar“ und beschwichtigend zeigen würde, würde die Rangordnung sofort ins Wanken geraten.
Daher sollten wir nicht zu menschlich denken und Hundeverhalten nie eins zu eins auf den Menschen übertragen, etwas, das bei „rein-positiv“ leider üblich, und deshalb auch so gefährlich ist.
Nein, anstatt Hunden allzu menschliches Verhalten zuzuschreiben, sollten wir mehr auf das ursprüngliche Verhalten schauen. Wölfe sind uns hier die besten Lehrer, und müssen, nicht nur im Hinblick auf den Naturschutz, sondern auch im Kontext des Hundeverhaltens und einem gemeinsamen Leben von Hund und Mensch, geschützt und geschätzt werden.
Gefährlich für den Menschen sind unsere Hunde! Darüber sollten wir uns mehr Gedanken machen.
Im Jahr 2024 wurden mindestens 18.000 Hundebisse gemeldet, Versicherungen sprechen aber sogar von 30.000-40.000 jährlich!! Eine genaue bundesweite Statistik gibt es nicht.
Wie häufig hier wohl Missverständnisse vorausgingen?
Sie wären vermeidbar, wenn wir mehr hinter die Fassade schauen würden. Das heißt, indem wir hinterfragen, warum Hunde ein bestimmtes Verhalten zeigen.
Warum Wölfe Artgenossen und ihren zweibeinigen Bezugspersonen Geschenke bringen, haben wir jetzt ja geklärt, aber in wie weit zeigen unsere Haushunde dieses Verhalten noch, zum Beispiel in Form vom Apportieren?
Dies hängt nämlich tatsächlich eng mit dem wölfischen Geschenkbringen zusammen, es wurde durch die Domestikation nur etwas „umfunktioniert“ :
statt Beute bringen unsere Hunde uns jetzt eben Spielzeug. Denn Futter oder Beute teilen, ist nicht mehr nötig.
Mit unserem Verhalten haben wir diesen „Sozialcode“ fast gänzlich verschwinden lassen („lass den Hund beim Fressen in Ruh!“)
Stattdessen haben wir das ursprüngliche Verhalten verändert (ähnlich wie das Jagdverhalten beim Hütehund), und gezielt Hunde dafür gezüchtet, die Dinge zurückbringen beziehungsweise apportieren.
Vorrangig wurde das wölfische „Ich bringe dir etwas, um dich zu besänftigen“ aber zum Spiel zwischen Hund und Mensch:
Hund bringt Ball, Mensch lobt, Hund wiederholt sein Verhalten. Es ist also nicht mehr nur ein instinktives Verhalten, sondern auch ein konditioniertes (durch Lob).
Aber warum haben unsere Doggen bei der Begrüßung ein Geschenk im Maul?
Das ist einfach soziale Höflichkeit, und eine milde Form der Beschwichtigung.
Vor allem ist es für den Hund aber ein Art Selbstberuhigung, er freut sich, versucht aber seine Emotion zu regulieren.
Dieses Verhalten können wir uns regelmäßig auch im Hundetraining zu Nutze machen, zum Beispiel bei sehr aufgeregten Hunden.
Die Ähnlichkeit zum Wolfsverhalten ist also definitiv noch vorhanden, beide (also Dogge und Augustin) zeigen ein prosoziales Verhalten, ein Zeichen der Bindung, aber mit einem wichtigen Unterschied:
Beim Wolf und Wolfhund (Augustin) steckt mehr „Rudelkommunikation“ und Rangordnung dahinter.
Bei Doggen und den normalen Haushunden ist es emotional und spielerisch – aus Freude und Selbstkontrolle, und aufgrund der selektiven Zucht.
Bekommt ihr von euren Hunden auch Geschenke?