26/11/2025
Wolfserbe „food caching“ oder
wenn der Spitz den Schatz entdeckt
Kaum waren am Wochenende die Spenden ausgeladen, hatte Augustin schon zwei Knabberohren stibitzt - statt ihm diese direkt wegzunehmen, wollten wir euch aber mal ein spannendes Verhalten aufnehmen, das sich „food caching“ nennt, oder auch nur „caching“, denn Food ist nicht das einzige was der Augustus vergräbt: Leinen, Geschirre, Halsbänder, Schuhe, Bücher, Schaufeln, Süßigkeiten (von uns!) …
Dazu haben wir einige Videos gedreht, die zeigen, dass es nicht nur ums Ergebnis geht - denn oft werden die Schätze nur „halb versteckt“, während einige wiederum tief eingegraben werden (zum Beispiel Nassfutter-Dosen, oder Trockenfuttertüten).
Aber zuerst, was bedeutet „caching“ überhaupt?
Übersetzt soviel wie speichern/sichern.
Es handelt sich also um klassisches Vorratsverhalten.
Aber, ist das denn ein typisches Wolfserbe, also haben unsere Hunde das vom Wolf geerbt, schließlich zeigen viele Haushunde ein ganz ähnliches Verhalten und bunkern Futter, zum Beispiel das Schweineohr unterm Sofakissen oder im Blumenbeet?
Ja schon, aber nicht in der Form wie wir denken, denn das Food Caching ist ein uraltes Verhalten, das alle Caniden zeigen (zb Wölfe, Füchse, Kojoten, Hunde), weil sie alle gemeinsame evolutionäre Wurzeln haben.
Unsere Hunde haben dieses Verhalten also nicht direkt vom Wolf geerbt.
Aber, wieso vergräbt Augustin einige seiner Schätze nur halb, beziehungsweise schiebt er nur ein wenig Erde (oder ähnliches) drüber, während er manche Dinge richtig tief vergräbt?
Dazu werden wir euch bestimmt auch noch einen Clip zeigen, denn so wird besonders sichtbar, was der eigentliche Sinn dahinter ist.
Mit dem Berühren des Gegenstands beim Verdecken mit beispielsweise Erde, überträgt Augustin seinen eigenen Geruch, gleichzeitig wird der Geruch des Schatzes mit dem Geruch der Erde überlagert (maskieren).
Für andere Tiere ist der Eigengeruch des Gegenstands damit überdeckt, und wird gleichzeitig von Augustins individuellen Geruch belegt. Für uns Menschen scheint es zwar unlogisch, da der Gegenstand noch deutlich sichtbar ist, für Augustin aber macht es Sinn, denn ein komplettes Vergraben kostet natürlich auch viel Zeit und Energie. Ob die eingesetzt wird, liegt an der Wertigkeit des Schatzes.
Zusätzlich kommt noch hinzu, dass schon das Verhalten an sich befriedigt - es zählt nicht das perfekte Ergebnis (Caniden haben es doch viel leichter!):
Scharren, Buddeln, Erde oder Laub bewegen, mit Eigengeruch markieren, Geruch maskieren, Ritualisieren … all das ist stark selbstbelohnend, macht Spaß und reguliert Erregung (es kann daher auch von deinem Hund aus diesem Grund gezeigt werden).
Doch was passiert, wenn Augustin dabei beobachtet und sein Schatz direkt geklaut wird?
Genau das sehen wir hier.
Und dann sogar noch von so einem kleinen naseweisen 2kg Junghund, der erst ganz neu in der Gruppe ist.
Wie Augustin agiert, könnt ihr hier schön beobachten, und auch wie der Zwerg auf die Maßregelung reagiert, Welpen- und junghundtypisch laut!
Das ist Kommunikation, und hat nichts mit Schmerz- oder Angst zu tun. Es ist ein welpentypischer Überlebensmechanismus, und soll deutlich deeskalieren.
Und genau damit hat er Erfolg, denn schaut mal, wie sozial Augustin reagiert.
Loui weiß ganz genau, dass Augustin mit ihm sozial angemessen bleibt - selbst in einer weiteren Korrektur; es ist ein typisches Verhalten erwachsenen (älteren) Hunden und Wölfen dem Nachwuchs gegenüber. Erwachsene Tiere sind nämlich ausgesprochen nachsichtig, und Welpen dürfen sich sehr viel erlauben und ausprobieren (denkt da bitte auch dran!)! Das ist eine wichtige Schulung fürs Leben, hat aber leider für einen gefährlichen Mythos gesorgt: und zwar der vom Welpenschutz.
Da das so ein wichtiges Thema ist, möchten wir darauf noch mal ein wenig mehr eingehen in einem Extrapost.
Denn, Louis Schrei hätte bei fremden Hunden, vor allem die, die nicht gut sozialisiert sind, beziehungsweise deren Jagdverhalten stark selektiert, und möglicherweise noch gefördert wurde, fatale Folgen haben können. Matti zum Beispiel wäre hier früher dermaßen getriggert worden und in ein heftiges Beschädigungsverhalten gerutscht.
Ihr seht, Hunde müssen Erfahrungen machen (dürfen) um soziale Regeln zu lernen, das funktioniert nicht über „Theorie“!
Und: Verhalten kann sich verändern, vorausgesetzt der Hund bekommt andere Verhaltensstrategien gezeigt! Wir haben Matti nicht einfach nur gesichert und von Triggern ferngehalten.
Wie Augustin hier korrigiert, sehen wir als angedeuteten Schnauzengriff (typisch für Welpe-Adult-Kontakt: nur angedeutet, stark gehemmt, Welpe quietscht ohne berührt zu werden).
Selbst in dieser Situation (sein Schatz ist in Gefahr!), bleibt Augustin ausgesprochen sozialkompetent, und deeskaliert, in dem er sich entschließt, einfach ein neues Versteck zu suchen. Viele Hunde hätten hier deutlich offensiver reagiert (Ressourcenthematik), doch hier zeigt sich einmal Augustins individueller Charakter, zusätzlich zur sehr guten Sozialisierung durch viele unterschiedlich alte und große Hunde, hauptsächlich können wir aber auch hier typisches Wolfsverhalten sehen, denn Wölfe sind unglaublich sozial miteinander (in der eigenen Familie), und sehr nachsichtig mit den Kleinen. Vor allem sind sie viel stärker in der Kommunikation untereinander.
Ein bisschen haben wir Augustin aber trotzdem den Rücken gestärkt, denn Loui der Frechdachs, der wollte doch partout den Schatz haben. Und da wir weiterhin einen so sozialen Augustin wollen, helfen wir.
Grundsätzlich sollten wir Menschen uns aber nicht einmischen (wenn eher als Schiedsrichter agieren), denn das Food caching hat noch weitere Motive:
Es kann auch ein „soziales Monitoring“ sein, also ein Gruppenmitglied versteckt absichtlich „schlecht“, und schaut ob andere Gruppenmitglieder an den Schatz gehen.
Das sagt viel über die Gruppe und den aktuellen Status aus, und hat sogar eine erzieherische Komponente. Wie schlau unsere vierbeinigen besten Freunde doch sind!
Somit kann der vergrabene Schatz also auch eine Art „Stellvertreterkonflikt“ sein.
Und noch mehr gibt’s über das Caching zu erzählen, denn tatsächlich gibt es Hunde, die für einen anderen Artgenossen Futter vergraben, was also eher im Fürsorgeverhalten begründet beziehungsweise auch ein soziales Miteinander darstellt. Das passiert aber wirklich nur in sehr harmonischen Gruppen, beziehungsweise eher in Paar-Konstellationen. Für wilde Caniden ist dies eine wichtige Überlebensstrategie.
Das Caching ist also nicht nur ein Bunkern, sondern so viel mehr:
- Vorrat anlegen
- bedeutende Schätze verstecken
- hartes Futter weich machen (Oma Kyra!)
- Gruppenmitglieder testen (wer klaut meinen Schatz)
- Stellvertreterkonflikt
- soziales Teilen
- Beute maskieren/Beute markieren
- Geruch überdecken
- selbst belohnen
- Verhalten regulieren
- Nahrung haltbar machen
- Stress abbauen
- Erziehen (Welpen)
Die spannendste Frage ist aber, warum bei Augustin das Verhalten so stark ausgeprägt ist, während unsere Hunde es zwar auch zeigen, aber viel seltener.
Augustin zeigt hier ein „typisches Wolfs-Caching“, denn unsere Hunde haben im Laufe der Domestikation nun mal gelernt, dass wir Menschen für Futter sorgen, und vor allem haben wir sie darauf selektiert, mit uns zusammenzuarbeiten.
Augustin aber, der sichert sich instinktiv Futter, denn er kann sich biologisch nicht darauf verlassen, dass der Mensch dafür sorgt. Hier unterscheidet er sich deutlich von unseren Hunden.
Bei Wölfen ist das Vergraben von Nahrung ein evolutionär verankertes Verhalten.
Bei unseren Hunden ist die Futtervorhersagbarkeit extrem hoch (manche erhalten es sogar pünktlich auf die Minute!), und so haben sie wenig Druck, Futter für später zu sichern. Da geht es eher darum, dass sie übermäßig Futter/Leckerlis erhalten, satt sind, und etwas für später bunkern.
Ausnahmen stellen hier unnatürlich große Hundegruppen dar, in denen die ranghohen Tiere Futter sofort für sich beanspruchen, denn hier unterscheiden sich Wolf und Hund extrem, dazu haben wir schon einige Post gemacht, also dass Wölfe ein stark ausgeprägtes prosoziales Futterverhalten zeigen und Nahrung innerhalb des Rudels teilen, während unsere Hunde eine deutlich geringere soziale Toleranz beim Fressen haben, und sogar verhindern, dass Gruppenmitglieder überhaupt etwas abbekommen!
Da das Futter-Verstecken aber unheimlich zufrieden macht, und auch eine tolle Beschäftigung ist, kann das Caching ein prima Bindungs-Push für eure Mensch-Hund-Beziehung sein.
Probierts doch mal aus, und verbuddelt ein Schweineohr unterm Sofakissen oder im Garten - wie euer Hund wohl darauf reagiert?