23/09/2025
Der Pitbull und der Penner oder
Schuldfrage Hundeattacke
Wir haben euch ja schon von dem Clip erzählt, der uns zugeschickt wurde, und derzeit bei einigen Trainern mit dem Hinweis, doch mehr auf die Beschwichtigungssignale von Hunden zu achten, verbreitet wird. Da wir das nicht auch noch tun wollen, beschreiben wir euch kurz, was dort zu sehen ist:
Eine blonde Frau trifft auf einen Mann mit einem Belgischen Schäferhund, das Tier zieht zu ihr hin, sie bückt sich und streichelt den Hund. Der Mann steht dabei hinter dem Tier, der Hund ist an der Leine, die Leine ist kurz und straff. Die Frau streichelt den Hund mit beiden Händen um und auf dem Kopf, in einer Hand hält sie eine Haarbürste. Der Hund lässt sich streicheln, seine Körperhaltung ist dabei angespannt. In dem Moment, in dem sich die Frau seitlich neben das Tier bewegt, um gemeinsam mit dem Hund in die von einer dritten Person haltende Kamera zu blicken, beißt der Hund der Frau ungehemmt ins Gesicht, als der Halter den Hund wegzieht, beißt der Hund der Frau noch in den nackten Arm/ in die Hand.
In der verdrehten Welt einzelner (positiver) Hundetrainer und vieler Anhänger ist hier nun der STREICHELNDE Mensch schuld, da er (was für eine Frechheit), die unzähligen (wirklich unzähligen!) Beschwichtigungssignale von dem (armen) Hund missachtet hat.
Das war ironisch.
Ehrlich. Gehts noch?!
DAS ist der Grund, warum unsere Hunde problematischer und problematischer werden. Und DAS ist der Grund, warum wir diese Art des positiven Hundetrainings nicht nur als völlig unsinnig, sondern schlichtweg auch als gefährlich empfinden.
Nun wollen wir hier nicht nochmal das große Thema Beschwichtigungsverhalten (appeasement behavior) aufmachen, denn hier, liebe Kollegen, gibt es ein ganz anderes Problem. Hier geht es um offensives Aggressionsverhalten ohne Abstufung der Eskalationsstufen. In einem Wesenstest wäre der Hund sofort und vollkommen gerechtfertigt „durchgefallen“!
Dennoch müssen wir kurz Beschwichtigungsverhalten beziehungsweise die Beschwichtigungssignale ansprechen.
Die, die sie lesen (erkennen) können beziehungsweise es meinen zu können, scheinen zu denken, dass sie eine Art „Pflichtlektüre“ für jeden Menschen seien - so sei es doch deshalb auch unmöglich, diese deutlichen(!!) Anzeichen von Unwohlsein (des Hundes) zu übersehen …
Nun, Hunde sind Meister in Kommunikation und Konfliktvermeidung. Und außerdem können sie eines viel besser als wir: uns lesen und verstehen.
Mit ihrer vielfältigen Kommunikation in Form vom Ausdrucksverhalten und Körpersprache, inklusive unterschiedlicher Lautäußerungen, kann ein Hund SEHR WOHL auch hundeunerfahrenen Menschen deutlich machen, dass er etwas nicht möchte beziehungsweise sich nicht wohlfühlt - ohne dass, dieser die „Calmingsignal-Geheimsprache“ studiert hat (oft auch beim Trainer nur virtuell) - und vor allem OHNE Menschen oder Artgenossen zu verletzen.
Also, ehrlich jetzt:
wir können nicht von allen Menschen erwarten, sich mit dem „Appeasement behavior der Caniden“ auseinanderzusetzen (auch wenn wir es uns wünschen), nur weil der ein oder andere Mensch auf der Straße einen Hund streichelt. Zumal, sorry, die meisten Hundetrainer auch nicht richtig Bescheid wissen. Fangen wir doch da an. Die können es ja dann richtig weitergeben.
Denn, es ist eben nicht jedes Züngeln, Blinzeln, oder Gähnen ein Beschwichtigungssignal. Im Gegenteil!
Ein richtiges Beschwichtigungssignal ist es nur, wenn der Hund dieses bewusst (!) an sein Gegenüber sendet; das ist nämlich Kommunikation, eine Botschaft, und die benötigt einen Sender UND einen Empfänger.
Dass Beschwichtigungsverhalten nichts mit Unterwürfigkeit zu tun hat, haben wir ja schon in unseren Posts über Beschwichtigungsverhalten erklärt…hier
Nun, das ist der Hund in dem Clip auch nicht, also unterwürfig, und das ist deutlich u.a. an der sehr angespannten Körper- und der hohen Rutenhaltung zu erkennen. Er zeigt auch keine Beschwichtigungssignale. Stattdessen befeuchtet er mit seiner Zunge seine Nase, um den Geruch der Frau besser aufzunehmen und fixiert, Drohfixiert(!) - dies steht auf der ersten Stufe der Eskalationsleiter, nicht die nach Anno-Positiv, sondern die nach Dr. Feddersen-Petersen.
Da die streichelnde Frau den Hund nicht anschaut, sondern in die Kamera blickt, sieht sie das Drohen nicht. Stattdessen rückt sie dichter an den Hund heran, und somit auch an den Halter …
Bevor es jetzt gleich blutig wird, wollen wir aber erstmal einige der Aussagen der Hundetrainer anschauen, denn die sagen, der Hund würde deutlich „beschwichtigen“ in dem er sich mit der Zunge über die Nase schleckt.
Diese Geste ist nicht nur ein Calming Signal, und hat als dieses zwei Bedeutung - Selbstberuhigung und Beschwichtigungsverhalten- hierzu wird die Zunge aber eher seitlich (Lefzen) oder in der Luft zum Gegenüber bewegt.
Sie wird nämlich auch als Verstärker eingesetzt; eine Art „Ich-mein-es-Ernst“, um den „Gegner“ (besser Kommunikationspartner) auf das Maul aufmerksam zu machen, ähnlich wie das Schnaufen. Danach kommt - normalerweise!- ein weiteres Drohen mit dem Zeigen der vorderen (beim offensiven) oder auch hinteren (eher beim defensiven) Zähnen. Jetzt hätte die Frau spätestens gemerkt, das etwas nicht stimmt und weggehen können.
Nun, in dem Kontext, den wir hier beschreiben, will der Hund nicht beschwichtigen, denn er droht gerade. Da macht gleichzeitig eine Friedensflagge werfen nun mal keinen Sinn.
Als nächstes kommen wir zur gemeinen Distanzunterschreitung, davon hören wir regelmäßig, die nicht der Hund dem Menschen, sondern der Mensch dem Hund antut (einfach so!). Die (böse) Frau (die den Hund streicheln will) unterschreitet doch tatsächlich seine (jaaaa die des Hundes!) Individualdistanz … tja, da bleibt dem armen Malinois ja nur … das Beißen ins Gesicht… !
Ne, natürlich nicht! Wer übrigens jetzt meint, dass wir Typ Cesar Millan, also der Hundeunterdrücker sind, wird am Ende sicher überrascht !
Natürlich bleiben dem Hund mehr Möglichkeiten als ein ungehemmter Biss ins Gesicht! Viele viele viele viele Möglichkeiten!
Wollen wir uns dazu aber mal den Eskalationsstufen widmen. Also, die von Feddersen-Petersen. Diese sind nämlich die Grundlage für Aggressionsverhalten, und zeigen uns wo Aggression beginnt und endet. Wir sprechen hier natürlich von gesunden und sozialisierten Hunden.
Und da gibt es erstmal die Drohungen ohne Körperkontakt, zu dem auch das Fixieren eingeordnet wird. Wie auch das Abwehrschnappen. Diese ersten Drohungen werden noch in zwei Stufen unterteilt (Distanzdrohen/Distanzunterschreitung). Danach folgt Drohen mit Körperkontakt, auch in zwei unterschiedlichen Abstufungen, angefangen von Drohung mit Körperkontakt ohne Bewegungseinschränkungen bis zu Stufe 2, zu Körperkontakt mit Bewegungseinschränkungen.
Dann erst folgt die dritte Eskalationsstufe: Beschädigung. Auch hier wird noch in zwei Abstufungen unterschieden, gehemmtes Beschädigen und ungehemmtes Beschädigen.
Ihr merkt also jetzt, dass der Malinois hier einige Stufen ausgelassen hat. Aber woran liegt das?
Am Besitzer? Ja, der Mensch hat natürlich Verantwortung für solch einen Biss- aber nicht der, der den Hund streichelt wollte, sondern der Halter. Denn ein Hund, der nicht sicher die Eskalationsleiter hinauf steigen kann, MUSS gesichert werden. Mit Maulkorb. Oder, zumindest indem der Halter acht gibt, dass der Hund nicht gestreichelt wird. Nicht weil Hund nicht „möchte“, sondern weil Hund unberechenbar reagieren könnte … Was der gute Hundeleser an der Situation aber schön erkennen kann - an der Reaktion der Frau und der Überreaktion des Hundes -, dass es sich hier um ein Schutzverhalten handelt, von dem Hund dem Besitzer gegenüber. Der Hund beißt also nicht zu, weil die Frau seine Individualdistanz unterschritten hat (auch das wäre natürlich nicht gerechtfertigt!), sondern weil er - die Situation übernommen hat. Das macht der gewöhnliche Hund nur, wenn der Job frei ist, wenn also, in dem Fall Herrchen, nichts in der Hose hat.
Dieser Vorfall hätte ganz leicht verhindert werden können, wenn Herrchen seinen Hund doch nur stark gemacht hätte für … so was. Wir nennen das Leben. Stark machen fürs Leben. Du kannst auch Resilienz dazu sagen. Im Leben passieren eben nun mal Dinge, wie diese, also dass blonde Frauen einen streicheln wollen (einfach so!), und Hundi das aushalten lernt. Aber nicht das Aushalten ist der Punkt, nein, es gibt nämlich ein einfaches Trainingstool mit diesem MAG dein Hund das sogar. Also das Streicheln.
Ehrlich und ganz einfach, in dem du ihm zeigst, dass du für ihn da bist und ihr jede Situation meistert.
In dem du solche Dinge mit ihm machst, guck mal, Streicheln ist sogar schön …
In Hinblick auf die Rasse solltest du deinem Hund aber noch etwas mitgeben, nämlich, dass Beißen nicht die (erste) Lösung ist. Erzähl ihm von den vielen Werkzeugen, die er davor einsetzen kann (NICHT blinzeln!).
Also: schütz doch deinen Hund nicht vor 83 Millionen Menschen, und eventuellen, bösen Distanzunterschreitungen, sondern mach ihn stark für die Umwelt, damit er sich in dieser sicher fühlt! Mach ihn stark für Außenreize, für Anrempeln, für „Plötzlich-Anfassen“, für Konflikte mit Hunden … das ist nur fair, denn euer Hund lebt mit uns in unserer Gesellschaft!
(Übrigens heißt das Sozialisierung).
Hunde wollen nicht in diese Bubble. Also in diese Positiv-Blase Ich-schütze-den-Hund-vor und ich-hab-für-alles-Verständnis.
Das ist der Hauptgrund, warum wir diesen Positivquatsch ablehnen und auch als sehr gefährlich einstufen. Weil es Hunde kaputt macht. Weil der Hund für völlig normale alltägliche und schöne Situationen „geschützt“, alles von ihm ferngehalten wird (vor allem der „böse“ Stress), in vermeintlich guter Absicht ja. Die menschlichen Bedürfnisse werden hier mit denen des Hundes vermischt - es handelt sich also ganz klassisch um Vermenschlichung.
Und wenn unser Hund, aufgrund der Vergangenheit vielleicht nicht mehr lernen kann, wie toll Menschen sind, wie schön Streicheln ist? (Die meisten können das!).
Ja, dann kann er aber immer noch lernen, dass erstens, sein Mensch solche Situationen managt und zweitens, dass es viele Wege nach Rom äh viele Eskalationsstufen gibt.
Hier können wir quasi vom „Sprechenlernen“ reden. Und, Überraschung, auch das verhindert der klassisch Positive. Denn wenn alles (womöglich Unangenehmes) ferngehalten wird, und dem Hund ständig alternative Verhaltensweisen aufgezeigt werden, dann „verlernt“ er die arttypische Kommunikation, also auch die Eskalationstufen. Denn liebe Positive, auch Beschwichtigungsverhalten gehört zur Kommunikation, und sollte nicht aus vermeintlich guter Absicht unterdrückt oder verhindert werden, nur weil Mensch meint, dem heutigen Hund würde es beim Reden schlecht gehen..!
Wie das aussieht, also, wie Hunde reagieren, die fürs Leben starkgemacht wurden, möchten wir euch am Schluss mit einem Fallbeispiel kurz erzählen, dazu reisen wir aber viele viele Jahre in die Vergangenheit, in das Leben von Frederik, einem, damals vierjährigen American Staffordshire Terrier Rüden, der mit seinem Frauchen (unserer derzeit noch jungen 1. Vorsitzenden) in einer Schule für Kinder mit Behinderungen arbeitete. Frederik hatte in seinem vierjährigen Hundeleben also schon viel Leben kennengelernt und so war aus ihm ein sozialkompetenter und souveräner Hund geworden. Auf dem Weg nach Hause in der U-Bahn wurde Frederik aber wie stets misstrauisch von anderen Fahrgästen beäugt; das war zur diesen Zeiten für einen Kampfhund nichts Ungewöhnliches und Frederik und Frauchen bemühten sich, immer freundlich zu sein.
An dem Tag, an dem unsere Geschichte spielt, wurde aber noch eine andere Person mit Misstrauen und Ablehnung von den Fahrgäste beäugt, nicht nur der liebe Frederik, nämlich auch ein armer, und unglaublich betrunkener Obdachloser. Der konnte kaum noch stehen und hielt sich schwankend an den Haltestangen der vollen Bahn fest.
Bis die Bahn plötzlich einen Ruck machte und der-Pardon-, Penner umkippte, und auf den Frederik fiel. Sowas kann auch ein 40kg schwerer Staffordshire nicht standhalten und so lagen, der Pitbull und der Penner, gemeinsam auf den U-Bahn-Boden; der Kampfhund unten und über ihn auf dem Bauch liegend, zappelnd wie eine verdrehte Schildkröte, der Penner. ….
In diesen Sekunden hättet ihr eine Stecknadel fallen hören können, alle Fahrgäste hielten den Atem an … würde der Pitbull etwa den - jetzt- so armen unschuldigen Penner fressen …?!
Schon drehte sich der Hund auf den Rücken, den obdachlosen Mann über sich, öffnete sein großes (sehr großes) Maul und … und schleckte dem Mann quer über das ziemlich schmutzige Gesicht….
In dem Moment brach in der Bahn ein Beifall aus, Beifall für einen Kampfhund, alle klatschten, und der Mann konnte unverletzt (und sauber) aufstehen. Er entschuldigte sich noch und streichelte den Frederik.
Auf solche Momente können wir unsere Hunde nicht vorbereiten, natürlich nicht - aber wir können sie stark machen, stark machen fürs Leben!
Wie wichtig eure Bindung hierfür ist, haben wir schon mal gepostet-
Macht ihr zukünftig mit? Und:
schützt du deinen Hund jetzt richtig?