02/04/2021
Danke, Maren Grote für den tollen Text! 🙏 Man kann es nicht oft genug wiederholen!
Schnipp, schnapp, alles ab!
-Von Maren Grote-
Meine Meinung ist, dass es immer eine gut überlegte Einzelfallentscheidung sein sollte, ob es Sinn macht einen Hund zu kastrieren.
Es gibt einige gute Gründe dafür und einige gute Gründe dagegen.
Am Schönsten fände ich, wenn die bereits erforschten Fakten allen zugänglich und klar wären, damit die Entscheidung auf einer guten Basis getroffen werden kann.
Was mich schockiert ist weniger die Tatsache dass so viel unbedacht kastriert wird, sondern eher WANN.
Die Kastration vor Ende der Pubertät (je nach Hund nach dem 2-4 Lebensjahr!) wird immer beliebter und bringt eine Besonderheit mit sich. Deswegen ist sie mit großer Vorsicht zu betrachten.
Selbst viele Tierärzte sind leider immer noch uninformiert, denn die Hirnentwicklung während der Pubertät sollte für jeden Tierarzt Basiswissen sein, bevor er in diese Entwicklung eingreift.
Da wird oft noch mit angeblichen Verhaltensvorurteilen um sich geworfen, oder beim Gedanken an Krebsvorsorge vergessen, dass auch die Kastration das Risiko für Krebserkrankungen erhöht.
Durch eine frühe Kastration verhindert man also nicht, dass der Hund Krebs bekommt, man ändert nur die statistische Wahrscheinlichkeit welche Art von Krebs er bekommt. Studien, die das belegen gibt es mittlerweile genug, so dass wirklich jeder sich informieren kann, der will.
Wofür man sich als Besitzer*in entscheidet bleibt doch einem selbst überlassen und ob man die Nachteile für die Vorteile in Kauf nimmt ist individuell.
Dass man sich dafür entscheidet heißt aber nicht, dass es die Nachteile nicht gibt.
Dass man mit seiner Entscheidung zufrieden ist, ist ebenfalls kein Beweis dafür, dass eine Kastration grundsätzlich sinnvoll wäre, oder die Argumente dagegen an Wichtigkeit verlieren würden.
Bei der frühen Kastration werden oft Gründe genannt, die sich mir nicht erschließen wollen.
Da springt ein junger Rüde drei mal bei einem anderen Hund auf, oder wird beim Geruch der ersten läufigen Nachbarshündin quengelig und schon wird von Hypersexualität gesprochen.
Ich würde mal sagen, dass ein ziemlich großer Teil des Denkens und Handelns in der Pubertät beim Menschen mit Liebe, Sexualität und Freundschaften zu tun hat.
Das ist in der Pubertät des Hundes nicht anders.
Und es zeigt sich bei uns, dass die Meisten trotz verpasster Kastration im Jugendalter wieder ganz normal werden, einfach nur durch ́s erwachsen werden.
Ein großes Interesse an Sexualität bei einem jungen Hund ist also erstmal völlig normal und sagen nichts darüber aus, wie er sich als Erwachsener benehmen wird.
Und wie beim Menschen auch ist hier eher die Erziehung ausschlaggebend, ob sich später anständig benommen wird. Bevor von Hypersexualität gesprochen wird, sollte diese Diagnose mit einem/r Fachmann*frau abgeklärt werden.
Auch Hündinnen werden immer wieder kastriert, weil sie in einem normalen Ausmaß scheinträchtig werden.
Da versteckt die Hündin nach der Läufigkeit ein paar Socken in ihrem Körbchen, wird quengelig und schon wird mit der Begründung des schwerwiegendes Leids einer einjährigen Hündin ein Organ entnommen.
Die Scheinträchtigkeit der Hündin ist ein normaler und natürlicher Prozess und heißt erstmal noch nicht gleich, dass sie auch darunter leidet. Die Ausmaße können sich auch verändern und entwickeln. In beide Richtungen.
Es kann passieren, dass dieser Prozess wirklich übertrieben ausfällt, aber bis zu einem gewissen Ausmaß ist es einfach nur normal.
Ob die Hündin darin so extrem reagiert, das man von Leid sprechen kann, muss individuell betrachtet werden.
Wie oben bereits erwähnt, bin ich nicht grundsätzlich gegen Kastration und auch ganz bestimmt nicht grundsätzlich dafür. Ich bin sehr vorsichtig.
Und ich bin dafür möglichst immer die Pubertät des Hundes ab zu warten, bevor diese Entscheidung getroffen wird, damit der Körper, die Knochen und auch die Psyche vollständig und gesund ausgebildet werden können.
Ich bin für eine differenzierte Betrachtung und für die ehrliche Erwähnung ALLER Vor- und Nachteile.
Und es gibt nunmal viele Nachteile, die sich nicht durch Meinungen zum eigenen Hund weg diskutieren lassen, sondern objektiv mit in die Entscheidung einbezogen werden müssen.
Der Zeitpunkt einer möglichen Kastration ist dabei, wie
oben schon erwähnt einer der wichtigsten Punkte überhaupt.
Denn eine Kastration, egal ob chemisch, mit einem Chip, oder operativ hat gravierende Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung, die in der Pubertät des Hundes von statten geht.
Diese Entwicklung und Veränderung im Gehirn wird auch Sexualhormone eingeleitet und aufrecht erhalten. Bestimmte Umbaumaßnahmen und Entwicklungen im Gehirn können nur durch diese Hormone passieren und wenn sie durch eine Kastration weg fallen, fällt auch die endgültige Weiterentwicklung weg.
Und wer nicht erwachsen wird, der kann sich auch nicht so richtig erwachsen verhalten.
Mal mehr, und mal weniger ausgeprägt. Manchmal ist es gar nicht schlimm, manchmal werden Hunde gradezu zu „Dummerchen“ kastriert und sind ihr Leben lang unsicher, unselbständig, überdreht und schlichtweg dusselig im Sozialkontakt. Aber süß, witzig und konfliktscheu.
Das kommt aber leider nur dem/r Besitzr*in zu Gute und ist für den Hund gemein.
Und bei völliger „Dusseligkeit“ kann es dann auch wieder für den Besitzer*in unpraktisch werden, denn mit einem sozial beeinträchtigtem ist es schwer bestimmte Ziele zu erreichen, die erwachsene Denkweisen erfordern.
Manchmal fällt das entstandene Defizit kaum auf, oder das unfertig entwickelte Gehirn des kastrierten Hundes gefällt dem/r Besitzer*in so wie es ist.
Manchmal reicht es auch unfertig entwickelt und trotzdem cool und entspannt zu sein, weil der Hund glücklicherweise
selbst als „Kindskopf“ noch erwachsener ist, als einige seiner Kollegen.
Die Genetik, Rasse und Erfahrungen machen hier auch ihren Teil.
Aber oft eben leider nicht und dann ist ab eben ab.
Das heißt also nicht, dass jeder früh kastrierte Hund ein Nervenbündel ist, sondern, dass er immer unter seinen individuellen Möglichkeiten spielt sich selbst zu regulieren, wenn er zu früh kastriert wurde.
Egal wie kontrolliert ein Hund ist, wenn er vor Ende der Pubertät kastriert wird ist er immer schlechter in seiner Selbstkontrolle, als er hätte sein können, wenn er da nicht kastriert worden wäre.
Von diesem Fakt fühlen sich leider viele Hundehalter*innen angegriffen und erklärten, wie wunderbar und entspannt ihr früh kastrierter Hund ist, als sei dies ein Beweis, dass die Neurobiologie lügen würde, oder als hätte jemand ihren sicherlich wirklich tollen und liebenswerten Hund beleidigt.
Ein Hund kann doch toll sein und trotzdem darf die Realität über noch tollere Möglichkeiten, die nun niemand mehr entdecken wird, weil die Entwicklung unterbrochen wurde ausgesprochen werden.
An der Liebenswürdigkeit des Hundes kratzt das doch kein bißchen.
Wenn mein Hund ein Jahr nach der frühen Kastration viel ruhiger und netter ist als vorher, dann muss ich mir aber die Frage stellen, ob er das nicht sowieso geworden wäre, weil er ein Jahr später eben auch ein Jahr erwachsener und vernünftiger geworden wäre. Die Entwicklung von einem
Teenager zu einem Erwachsenen ist ja für gewöhnlich auch ohne Kastration gewaltig.....glücklicherweise!
Ich bemerke in meiner Arbeit nur immer mehr völlig unkontrollierte und ungehemmte Hunde, die durch die fehlende Reifung der Kastration lebenslang Probleme mit ihrer Selbstkontrolle haben.
Ich habe immer mehr Rüden im Training, die durch eine Kastration einen so niedrigen Testostheronspiegel haben, dass sie unter den gut erforschten Nebenwirkungen einer Unterversorgung leiden:
Erhöhte Aggressivität, Unruhe, Unsicherheit, aufbrausendes Verhalten, unfaires Verhalten und schlechte Hemmung in der Auseinandersetzung.
Während Viele immer noch denken, dass Rüden durch ihre Unversehrtheit öfter Aggression zeigen, ist es in der Hundewelt immer noch nicht zu Genüge durchgedrungen, dass zu wenig dieser Hormone ebenfalls aggressives Verhalten und Bissigkeit hervorrufen können.
Aus meiner Arbeitswelt (dies betrifft also nicht die gängigen Studien, sondern meinen Erfahrungsschatz aus 15 Jahren Berufserfahrung) kann ich ganz klar sagen, dass ich bei Problemen mit wirklicher Bissigkeit und extremer Unverträglichkeit, sowie sehr ängstlichen Hunden fast ausschließlich mit frühkastrierten Hunden zu tun habe.
Die intakten Hunde kommen viel seltener wegen solcher Probleme in mein Training und sind darin immer differenzierter, vertragen sich also zumindest mit gegengeschlechtlichen Hunden noch einigermaßen, oder sogar richtig gut.
Diese Fakten über die Hirnentwicklung und die eigenen Erfahrungen lassen mich also vorsichtig werden, wenn es um die Entscheidung einer Kastration geht und zumindest gut zu überlegen und den Zeitpunkt so lange wie möglich heraus zu zögern.
Lieber noch eine Läufigkeit mehr durchstehen, ein halbes Jahr mehr mit dem prolligen Rüden diskutieren, als zu früh alles raus zu schnippeln.
Das Verhindern eines ungewollten Deckaktes ist übrigens kein Grund für eine Kastration und meistens nur eine vorgeschobene Begründung.
Wer operativ verhindern möchte, dass Welpen entstehen, der kann auch einfach die Samenstränge des Rüden durchtrennen lassen.
Das ist eine bedeutend kleinere OP mit weniger Risiko. Alles bleibt drin, nur die Fruchtbarkeit des Hundes ist damit ausgeschaltet.
Das nennt man dann Sterilisation und ist eine vollkommen sichere Verhütungsmethode, die ungewollte Welpen verhindern würde, ohne das Hormongleichgewicht zu verändern.
Diese Information hat sich leider immer noch nicht zu sämtlichen Tierschutzorganisationen durch gesprochen, so dass immer noch viel zu oft junge Tierschutzhunde völlig unnötig kastriert werden.
Abgesehen davon ist es auch ganz normalen Menschen möglich ihre läufige Hündin angeleint zu lassen und auf ihren intakten Rüden auf zu passen, ganz ohne dafür Raketenwissenschaft studiert haben zu müssen.
Die gängige Meinung, dass absolut jeder (außer mir natürlich ;-) ) zu blöd ist Hunde an der Fortpflanzung zu hindern ist unbegründet.
Die allerwenigsten Welpen entstehen, weil jemand seinen Hund nicht kastriert und dann nicht aufgepasst hat. Welpen werden absichtlich produziert, Hunde im volle Wissen miteinander verpaart, oder gezüchtet.
Die Zahl der wirklichen „Ups-Welpen“ ist im Vergleich verschwindend gering und das kleinste Problem der Hundevermehrung.
Fun-Fakts zur Kastration:
-Bei dem Wort „Sterilisation“ denken viele Menschen
noch, es würde die Kastration einer Hündin (oder Katze) bezeichnen. Dabei bedeutet Sterilisation das unfruchtbar machen, zum Beispiel durch das durchschneiden der Samenstränge beim Rüden. Kastration bedeutet die Hormone aus zu schalten, entweder durch die Entfernung der Fortpflanzungs-Organe , oder chemisch (Chip).
-Eine Kastration ist auch laut Tierschutzgesetz nicht verboten. Hinter dem stets zitiertem Abschnitt, dass die Entnahme von Organen bei Haustieren ohne medizinischen Grund unzulässig sei steht noch ein Extra Passus, der die Entnahme von Organen zur Verhinderung ungewollter Fortpflanzung explizit erlaubt.
-Tierschutzorganisationen dürfen einen nicht zwingen einen übernommenen Hund später zu kastrieren, auch wenn es im Vertrag steht.
-Der Tierarzt kann vor einer Entscheidung mit einem Bluttest bestimmen, ob bestimmte Sexualhormone erhöht sind und ob eine Kastration dies regulieren würde. Daran
kann man auch vorher sehen, ob zu erwarten ist, dass die gewünschten, positiven Verhaltensänderungen eintreten können.
Wenn Du Dich für mehr Wissen über Hunde interessierst, dann schau doch mal die Video-Vorträge in meinem Shop an:
https://marengrote.de/shop/
-Dieser Text darf selbstverständlich geteilt werden, die Rechte verbleiben aber bei der Autorin Maren Grote. Auch Diskussionen und Erfahrungsberichte freuen mich, bleibt dabei bitte sachlich und höflich miteinander ;-) -