24/01/2024
Eine kleine Geschichte von einem, für mich, wahren Horseman und einem großem Vorbild für mich...
J.C. Dysli
Als junger Mann hatte ich eine Schwäche für Palominos. Regelmäßig konnte ich im Winterquartier des Circus Knie einen Palomino reiten, unter der Anleitung von Fredy Knie senior, einer der beeindruckendsten Persönlichkeiten auf dem Gebiet der Freiheits- dressur.
Von ihm stammt der Satz:
„Dressur muss sichtbar gemachte Liebe sein.“
Eine Lebenseinstellung, die ich erst Jahre später tief im Herzen verstand.
Eines Nachmittags, ich ritt gerade wieder einmal diesen wunderschönen Palomino,unterbrach mich Fredy Knie.
Er stellte sich neben mich und das Pferd, sah mich eindringlich an und fragte: „Nüssli“, so nannte er mich,
„liebst du dieses Pferd?“
Ich war etwas verdutzt über diese Frage und antwortete: „Ja, ich mag ihn gut.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich habe nicht gefragt, ob du ihn magst, ich habe gefragt, ob du ihn liebst.“
Ich erwiderte daraufhin noch einmal, dass ich diesen Palomino wirklich gerne mochte.
Fredy Knie sah mich ernst an und sagte dann leise: „Das genügt nicht. Wenn du ihn nicht liebst, genügt das gar nicht.“
Er drehte sich um, schüttelte den Kopf und ging zurück zu seinem Pferd.
Ich sah ihm nach und dachte: „Also jetzt spinnt er ein bisschen“, und ritt meine Lektionen mit dem Palomino weiter. Ich war ein junger Mann von einundzwanzig Jahren. Mal ganz ehrlich ich konnte doch kein Pferd lieben!
Jahre später erlebte ich eine fast identische Situation. Ich arbeitete gemeinsam mit dem Pferdetrainer Tom Dorrance in Kalifornien.
Unter seiner Anleitung bildete ich einen wilden Mustang aus. Wieder ein Palomino, den ich Popcorn genannt hatte, weil er dieselbe Farbe hatte wie Popcorn. Cremefarben, fast weiß, mit einer ganz hellen Mähne. Eines Tages ritt ich Popcorn, während Tom am Rand des Platzes stand und uns zusah. Plötzlich winkte er mich zu sich rüber und fragte ziemlich unvermittelt: „Du liebst dieses Pferd, nicht?“ Er tätschelte Popcorn den Hals.
„Klar“, antwortete ich, „ich mag ihn sehr.“
„Ich habe nicht gefragt, ob du ihn magst, ich habe gefragt, ob du ihn liebst.“ Tom Dorrance sah mich fest an.
Ich senkte meinen Blick. In genau diesem Moment fiel mir die gan- ze Geschichte mit Fredy Knie wieder ein. Zehn Jahre war das her, dass mir jemand genau diese Frage schon mal gestellt hatte. Ich strich Popcorn über den Mähnenkamm, blickte Tom an und sag- te ganz langsam, so, als würde es mir in genau diesem Moment erst richtig bewusst: „ Ja, du hast recht. Ich liebe ihn.“ Ein Lächeln huschte fast ungesehen über sein Gesicht. Er nahm die Hand von Popcorns Hals, drehte sich um und ließ mich allein.
In diesem Moment war es, als würde irgendetwas in meinem Inneren zersprengt werden. Dieser Satz war wie eine Erlösung gewesen. Endlich konnte ich das sagen. Ich hatte diese Liebe ja immer in mir gehabt, aber das hatte ich nicht gewusst, oder ich wollte es mir nicht eingestehen. Aber jetzt konnte ich es endlich aus tiefster Überzeugung sagen:
„Ja, ich liebe ihn!“
Von diesem Tag an arbeitete ich ganz anders mit Pferden.