18/01/2025
Viele Dank an den Kollegen für die Zusammenfasssung!
Notdienst: Es recht zu machen jedermann, ist eine Kunst, die keiner kann…
Von Ralph Rückert, Tierarzt
Um den Jahreswechsel herum wurde im Saarland durch die Medien verbreitet, dass die dortige Landestierärztekammer ein neues Notdienstkonzept startet. Tierbesitzer:innen, die tiermedizinische Notversorgung suchen, können eine für das ganze Bundesland geltende, zentrale Notrufnummer wählen und werden dann automatisch an die in ihrer Region diensthabende Praxis durchgestellt.
Unter der entsprechenden Meldung einer Nachrichtenseite auf Facebook hatten sich hunderte Kommentare angesammelt. Ich habe mir die Mühe gemacht, alle durchzulesen, um ein Stimmungsbild zu gewinnen. Ich bin zwar als Praktiker seit dem Jahreswechsel im Ruhestand, aber als Vorstandsmitglied der Landestierärztekammer Baden-Württemberg nach wie vor sehr an diesem uns allen unter den Nägeln brennenden Problem interessiert.
Rekapitulieren wir doch am besten zum Einstieg nochmal die aktuelle Situation: Die Tiermedizin leidet – wie viele andere Branchen – unter einem akuten Fachkräftemangel, und zwar sowohl bezüglich praktizierender Tiermediziner:innen als auch bezüglich Tiermedizinischer Fachangestellter. Dazu kommen ein starker und gefühlt immer noch weiter zunehmender Trend zur Teilzeitarbeit und von Seiten des Staates ein verstärktes Bemühen, geltende Arbeitszeitgesetze mittels engmaschiger Kontrollen und drastischer Bußgelder durchzusetzen. Etwa die Hälfte der deutschen Tierkliniken musste unter diesen Umständen inzwischen die 24/7-Dienstbereitschaft aufgeben. Wo wir vor zehn Jahren unter Selbstausbeutung der Inhaber:innen, unter bis ans Limit gehender Ausnützung der Angestellten und unter weitgehender Verletzung von Arbeitszeitgesetzen noch 100 Prozent der zur Versorgung des Kleintierbestandes nötigen Arbeitsstunden (inklusive Notdienst) abdecken konnten, kommen wir jetzt (natürlich mit deutlichen regionalen Unterschieden) gerade noch auf geschätzt 60 oder 70 Prozent. Diese Lücke ist einfach eine Tatsache und kann nicht kurzfristig geschlossen werden.
Unter diesen Grundvoraussetzungen stehen wir bundesweit inzwischen vor einem Flickenteppich von Regionen, in denen das mit dem Notdienst noch irgendwie halbwegs vernünftig funktioniert, und anderen, in denen das System völlig zusammengebrochen ist. Die per Gesetz für die Organisation des Notdienstes zuständigen Landestierärztekammern suchen händeringend nach Konzepten, mit denen man die eigentlich unmögliche Quadratur des Kreises hinbekommen könnte. Eines dieser Konzepte, das auch schon in zwei anderen Bundesländern so eingeführt wurde, ist das, was nun im Saarland in Kraft getreten ist.
Wie sehen nun die Kommentare von betroffenen Tierbesitzer:innen unter dieser Meldung aus? Sind sie dankbar, dass eine solche Regelung gefunden wurde? Ja, vereinzelt finden sich Kommentare, in denen tatsächlich Dankbarkeit zum Ausdruck kommt. Aber nur vereinzelt! Gefühlt ein Drittel der Diskussionsbeiträge beschäftigt sich erbittert mit der Tatsache, dass die eingerichtete Notrufnummer kostenpflichtig ist und bezeichnet das als Abzocke und Geldmacherei. Dabei geht es – nur um das gleich klarzustellen – um sage und schreibe 14 Cent pro Minute, bei einem Fünf-Minuten-Anruf also um die bestürzende Summe von 70 Cent. Man kann wirklich nur noch den Kopf schütteln!
Viele Kommentare beklagen, dass man – Gott bewahre - durch diese Regelung an eine Praxis verwiesen werden könnte, die man aufgrund schlechter Erfahrungen in der Vergangenheit auf gar keinen Fall aufsuchen möchte. Die verwegene Vorstellung, dass man im echten Notfall noch so richtig schön wählerisch sein könnte, spricht dafür, dass das Saarland im bundesweiten Vergleich noch immer ganz gut dasteht. Das würden viele Leute in den östlichen Bundesländern, die teilweise froh sein können, wenn sie im Umkreis von einer Stunde Fahrzeit überhaupt eine offene Praxis finden und wenn sie nicht mehr als zwei Stunden bis zur nächsten Klinik brauchen, sicher ganz anders sehen.
Ebenso viele Diskussionsteilnehmer:innen klagen ganz allgemein, dass das alles ja eigentlich unzumutbar wäre, dass es nur noch ums Geld ginge, dass es unter den Tierärzt:innen keine mehr geben würde, die ihren Beruf aus Tierliebe ausüben würden und dass das mit dem Notdienst doch früher auch kein Problem gewesen wäre. Tja! Tempora mutantur, nos et mutamur in illis, die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen! Wie in der Einleitung erläutert: Die Zustände von vor 10 oder 15 Jahren können halt auf gar keinen Fall mit den heutigen verglichen werden, weil die Bedingungen sich grundlegend verändert haben. Ich kann mich noch gut erinnern, wie es hier in unserem Notdienstkreis vor über 25 Jahren erbitterten Streit mit der lokalen Klinik gab, weil deren Inhaber auch in der Zeitung stehen haben wollte, dass seine Klinik am Wochenende pauschal dienstbereit wäre. Das haben die den Notdienst wahrnehmenden Praxen als unerträgliches Konkurrenzverhalten gesehen. Heute würden sich alle vor Dankbarkeit überschlagen und sich ein Loch in den Bauch freuen, wenn eine Klinik sich um mehr Notdienstpatienten bemühen würde.
Zur ad nauseam beschworenen Tierliebe, beschworen natürlich immer in dem Zusammenhang, dass uns diese Tierliebe dazu bewegen müsste, grundsätzlich jederzeit im Dienst zu sein und dafür möglichst wenig, am besten gar keine Gebühren zu erheben: Allgemein kenne ich nur ganz, ganz wenige Kolleginnen und Kollegen, die kein liebevolles Verhältnis zu Tieren haben. Es gibt welche, aber die sind so extrem selten, dass man nicht weit daneben liegt, wenn man einfach pauschal behauptet, dass alle Tierärztinnen und Tierärzte tierlieb sind. So gut wie niemand ergreift dieses extrem harte und schwierige Studium, ohne eine besondere Beziehung zu Tieren zu haben. Wer aber tatsächlich glaubt, dass wir Boomer-Praxisinhaber in dieser Vergangenheit, der so viele nachtrauern, ständigen Notdienst zu viel zu billigen Gebühren nur aus reiner Tierliebe angeboten haben, ist echt mit dem Klammerbeutel gepudert. Tierliebe und Betriebswirtschaft sind einfach zwei Paar Stiefel! Die Konkurrenzsituation war damals so erbarmungslos hart, dass der finanzielle Effekt von Notdienst-Wochenenden wirtschaftlich überlebenswichtig sein konnte. Bei der jährlichen Verteilung der Dienste haben alle eifersüchtig darauf geachtet, dass da keine Praxis mehr abbekam als die anderen. Und im Notdienst waren viele nur deshalb auffällig billig, weil sie sich Hoffnungen gemacht haben, dadurch anderen Praxen die Kunden abspenstig machen zu können. Der Preis für dieses (damals notwendige) Verhalten mit regelmäßig 70 bis 100 Wochenarbeitsstunden war hoch und hat viele von uns in die Psychiatrie, ins Pflegeheim oder ins frühe Grab gebracht. Bitte, bitte, hört doch endlich mal auf, Euch Illusionen zu machen! Diese Zeiten kommen nicht wieder, das garantiere ich!
Auch die Notlösungen, die die verschiedenen Landestierärztekammern nun diskutieren, anstreben oder einführen, gehen wieder voll zu Lasten der Praxisinhaber:innen. Ist ja logisch: Wir haben so und so viele, aber sicher zu wenig Angestellte. Was diese an Arbeitsleistung erbringen können, ist gesetzlich präzise festgelegt und ebenfalls zu wenig. Egal, was eine Kammer beschließt, es muss immer darauf hinauslaufen, dass die von keinem Gesetz vor von oben verordneter Selbstausbeutung geschützten Inhaber:innen diese Lücke füllen müssen. Hier in Baden-Württemberg hat das mit den regional selbstorganisierten Notdiensten bisher noch halbwegs gut funktioniert. Nun werden aber erste Stimmen laut, die eine zentralistische Lösung wie die im Saarland oder in Schleswig-Holstein favorisieren.
Ich bin damit nicht wirklich glücklich, weil solche übergestülpten Lösungen ganz klare Einbußen an Flexibilität mit sich bringen und zudem an Bundesland-Grenzen (wie hier in Ulm / Neu-Ulm) zu wirklich krassen Ungerechtigkeiten in der Notdienstverteilung führen können. Wenn ich aber die Kommentare der saarländischen Tierbesitzer:innen lese, dann kann ich daraus immerhin eine wichtige Erkenntnis ziehen: Bei der nun auch hier in BW fälligen Diskussion müssen wir uns überhaupt keine Gedanken darüber machen, wie die diversen Konzepte bei den Tierhalter:innen ankommen werden. Egal, wie der am Ende eingeschlagene Weg aussehen mag: Mit großer Dankbarkeit für unsere Verrenkungen ist allemal nicht zu rechnen, ganz im Gegenteil. Also können wir ruhig auch gleich das beschließen, was uns als Berufsstand am besten in den Kram passt. Prügel bekommen wir so oder so!
Und wenn Sie da jetzt meinen, eine gewisse Verbitterung über die grenzenlose Naivität und die völlig aus dem Ruder laufende Anspruchshaltung bestimmter Tierhalter:innen herauslesen zu können, dann liegen Sie damit völlig richtig. Ich habe in den letzten Jahren das immer mehr zunehmende Gefühl, dass wir das Zeitalter der Vernunft verlassen haben, dass jeder nur noch seine Interessen sieht und sich sofort schreiend und um sich schlagend auf den Boden wirft, wenn seine Wünsche nicht erfüllt werden.
Bleiben Sie mir gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Ralph Rückert
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