16/09/2024
Überforderte Hunde und ihre Bewältigungsstrategien (Kurzgedanke)
Wenn Hunde durch Ihre unmittelbare und mittelbare Umwelt mental strapaziert oder sogar überstrapaziert werden, kommt es zum eigenständigen Handeln seitens des Hundes. Je nach Handlungsbereitschaft, Reaktionsbereitschaft und Reaktionsradius treten entsprechende Bewältigungsstrategien auf positiven und negativen Stress in Form von Verhalten zu Tage. Bewältigungsstrategien können aggressiver Natur oder von Meide oder Fluchttendenz geprägt sein. Ein Hund kann einfrieren oder herumzappeln. Faktoren wie z.B. gemachte Erfahrungen, Rassedispositionen, Hundetypus, emotionale Verfassung usw. spielen eine entscheidende Rolle, wie ein Hund reagiert. Lässt man den Hund gewähren, entstehen Bewältigungsstrategien auf jede Art von Stress. Handlungsmöglichkeiten werden zu strikten Handlungsprozessen und werden vom Hund – weil lohnend – verfeinert und ritualisiert. Zusätzlich wirkt sich zu wenig Ruhe und Regeneration als Multiplikator im negativen Sinne auf das Stresskostüm des Vierbeiners aus und sorgt dafür, dass Hunde einfach nicht mehr „herunterkommen“. Das hormonelle Anpassungssystem des Hundes ist maximal gefordert.
Innerhalb dieser Bewältigungsstrategien werden auch gemachte Erfahrungen, die im ersten Moment nichts mit der entsprechenden Situation zu tun haben, miteinander vermischt. Z. B. wird ein vom Halter konditionierter Balljunkie in Konfliktsituationen mit einem vierbeinigen Gegenüber, auf Bewegungsreize desselben, schneller ins Beutefangverhalten kippen. Für den jagenden Hund ist dies ein passender Reaktionsprozess, der aus Wiederholung und erfolgreichen Erfahrungswerten - weil selbst belohnend - plus freigesetzter intrinsischer vitaler Kräfte, resultiert. Die Handlungsbereitschaft steigt und die Toleranzschwelle sinkt – ein hochreaktiver Hund auf Bewegungsmechanismen entsteht.
Ein anderer Typus Hund greift eher zum Allzweckwerkzeug Aggression, wenn es sich aus Hundesicht lohnt, Konflikte mit Aggression zu lösen, wird der Vierbeiner auch diese Form der Bewältigungsstrategie immer öfter wählen und verfeinern. Ein anfänglich reaktiver und augenscheinlich defensiv aggressiver, zurückweichender Hund, sieht mit der Zeit offensiv aggressiv nach vorne ausgerichtet aus, da sich die Aggression für ihn gelohnt hat – weil selbst belohnend. Beispiel – Hund wird von Mann angesprochen – Hund reagiert mit bellen, knurren und einen Satz nach vorne - der Mann weicht zurück.
Die Herausforderung, die beim Halter eines Hundes liegt, ist doch:
Innerhalb von Sekundenschnelle die Körpersprache des Hundes zu lesen, die Rahmenbedingungen, ob belastend oder nicht für den eigenen Hund einzufangen, schnellstmöglich abzuwägen, wie wahrscheinlich es ist, dass der eigene Hund reagiert, mit welcher Intensität und mit welchem Handlungsradius. Hinzu kommen noch die momentane emotionale und die momentane körperliche Verfassung des eigenen Vierbeiners. Dass so mancher Hundebesitzer schnell in die Überforderung kommt und den Hund in diese mitzieht, sehe ich als Hundetrainer im Jahr hundertfach. Das Tierheim München, für das ich als Freelancer seit nunmehr über 20 Jahren arbeite, ist voll von Hunden, die im Zustand der Überforderung zurückgelassen und ins Tierheim abgegeben wurden.
Schön wenn es Menschen gibt, die sich nicht Kopflos und ohne sich Informationen zu bestimmten Rassen und Hundetypen mit all ihren Bedürfnissen und Ursprungszwecken aus dem Internet oder vom Züchter einen Hund kaufen, sondern sich vorher Informieren und abwägen – welcher Hund zu ihnen passen könnte bzw. passt. Schön, wenn es Menschen gibt, die sich Zeit nehmen und abwägen, ob sie einem Hund mit all seinen Bedürfnissen, in allen Belangen, die nächsten 15 Jahre gerecht werden. Schön, wenn es Menschen gibt, die Ihrem Vierbeiner zur Seite stehen, wenn er gefordert oder überfordert ist. Die nicht zögern sich, professionelle Hilfe zu holen, wenn nötig, bevor ihr Hund oder sie selbst in die Überforderung gehen. Schön, wenn es Menschen gibt, die nicht dramatisieren, aber auch nichts verharmlosen, wenn ein Hund droht oder offen aggressiv ist.
Hans Brings