14/04/2023
>>>>„Das Problem sind nicht die Wölfe“
Badische Zeitung - BZ-INTERVIEW:
mit Marcel Züger, Dipl. Biologe
12.04.3023
Im Jahr 2000 wurde in Deutschland das erste Wolfsrudel festgestellt, heute sind es um 2000 Wölfe: Was das bedeutet?
Biologe und Wolfexperte Marcel Züger hat ein klares Bild für eine Veranstaltung heute in Lenzkirch.
Von Peter Stellmach
BZ: Herr Züger, Sie haben sich früher für die Rückkehr des Wolfs eingesetzt. Heute sprechen Sie sehr klar dagegen. Was hat zu dem Sinneswandel geführt?
Züger: 1997 hatte ich noch geschrieben, wir sollen „dem Wolf eine würdige Rück- kehr in seine alte Heimat ermöglichen“. Zwischenzeitlich habe ich festgestellt, dass Wölfe ganz anders sind, als sie uns beschrieben worden waren. Selten, scheu, nachtaktiv, sie lassen sich von niedrigen Zäunen abhalten, meiden kräftige Hunde, gehen Großvieh aus dem Weg – das stimmt alles nicht.
Vielmehr muss man sagen: Ein Teil stimmt nicht, einen Teil könnte man mit intensiver Bejagung herbeiführen. Mit unserem Laisser-faire gefährden wir gerade die naturnaheste Landwirtschaft, die tiergerechteste Weidehaltung und die Pflege von Steillagen, die für den Naturschutz besonders wichtig sind.
BZ: Sie haben gesagt, nirgendwo in Europa sei der Herdenschutz wirksam, nicht einmal in der sonst so perfekten Schweiz.
Züger: In Graubünden haben wir nun zehn Jahre Erfahrung mit den Wölfen und Herdenschutz. Zunächst waren etliche Bauern – und ich auch – überzeugt, eine friedliche Koexistenz sei relativ einfach möglich. Heute lehnt die Landwirtschaft geschlossen die Wölfe ab; nicht nur die Kleinviehhalter, sondern auch die Besitzer von Kühen und Pferden, seit letzten Sommer auch zwei erwachsene Mutterkühe getötet wurden.
In der Schweiz kostet jedes Wolfsrudel etwa eine Million Franken pro Jahr. Und dennoch stammten 2022 rund 70 Prozent der gerissenen Nutztiere aus geschützten Herden. Herdenschutz ist ein Wettrüsten.
BZ: Aber nicht gerade erfolgreich...
Züger: Der Herdenschutz ist so gut, wie der Herdenschutz des Nachbarn schlecht ist. Wolfssichere Zäune müssten über zwei Meter hoch sein, wie im Tierpark.
Funktionierende Herdenschutzhunde müssten den Wölfen überlegen sein: scharfe Kampfhunde in Überzahl, also mindestens ein Dutzend. Für jede Nutzviehherde müsste eine solche Hunde- Schutztruppe rund um die Uhr da sein.
Eine solche Landschaft kann nicht mehr für Freizeitaktivitäten genutzt werden. Und für mich besonders wichtig: Das wäre ein Desaster für unsere Natur. Als Naturschützer strebe ich das Gegenteil an: Vernetzung, Abbau von Wanderhindernissen und Todesfallen.
Bei den Hunden dasselbe: Im Sommer, in Naturschutzge- bieten oft ganzjährig, gilt Leinenpflicht. Gerade in besonders sensible Gebiete werden nun besonders wilde Hunde mit großem Appetit gebracht. Das ist absurd.
BZ: Wird der Vortrag ein flammender Ap- pell gegen den Wolf? So wird man es von Ihnen erwarten. Oder stellen Sie eine dif- ferenzierte Sicht der Dinge dar?
Züger: Emotionsgetriebene Ökoträumer
haben an meinen Ausführungen keine Freude. Erfahrene, nüchterne Ökologen und Naturschützer geben mir Recht.
Manche trauen sich nicht an die Öffentlichkeit, weil sie mit beruflichen Konsequenzen rechnen. Das kenne ich aus eigener Erfahrung; mit ein bisschen Starrsinn und guter Vernetzung kommt man damit klar.
Das derzeitige Nicht-Management wird direkt zur erneuten Ausrottung führen. Nach einem Strohfeuer und einer Wolfsschwemme wird die Situation eskalieren. Wir werden dann nur noch mehr oder weniger stark an Menschen gewohnte „Kulturwölfe“ haben.
Mit diesen ist eine Koexistenz unmöglich, und wenn die Einsicht kommt, ist es zu spät, und dann folgt die Vernichtung. Ich will nicht einen kurzfristigen Wolfshype mit nachfolgender Ernüchterung, sondern eine bedächtigere, durchdachtere Herangehensweise.
Wir haben ja keine Eile. Den Wölfen geht es hervorragend. Falls wir die Schraube zu stark anziehen, können wir sie wieder lockern. Umgekehrt ist das nicht der Fall: Wenn die Landbewirtschaftung aufgegeben ist, lässt sie sich nicht einfach wieder installieren.
BZ: Wird dem Wolf zu viel Wohl-
wollen entgegengebracht?
Züger: Das Wohlwollen war vor ein paar Jahren größer als heute. Überall, wo die Wölfe auftauchen, schmilzt die Akzeptanz wie ein Schoko-Ei an der Sonne. Das Prob-lem sind aber nicht die Wölfe, sondern es liegt an unserem Umgang mit ihnen.
Wölfe untereinander sind nicht zimperlich, da werden Konflikte mit den Zähnen ausgetragen. Es wäre normal und natürlich, dass man den Wölfen die eigene Stärke entgegenstellt. Manche Leute wollen sich scheinbar auf eine gemeinsame, freundschaftliche Stufe mit ihnen stellen.
Das ist nicht Ausdruck von Naturverbundenheit, das ist einfach nur naiv und Ausdruck vollkommener Naturentfremdung.
BZ: Wie muss wirksamer Herdenschutz aussehen?
Züger: Rein passiver Herdenschutz mit Zäunen und Hunden funktioniert nur kurzfristig. Aktiver Herdenschutz (mit Abschüssen) kombiniert mit Passivem kann gebietsweise funktionieren. Er muss aber vom Staat bezahlt oder umgesetzt werden, er muss technisch machbar sein, respektive er darf nicht zu unerwünschten ökologischen Beeinträchtigungen führen.
Und er kann nur mit einer geringen Anzahl an Wölfen funktionieren. Also: einzelne Wolfsrudel, an den richtigen Orten, verbunden mit einem klugen Management.
Das hinzukriegen ist so komplex wie ein Schweizer Uhrwerk. Oder wie eine Schwarzwalduhr. Da braucht es viel Wissen, Geschick und Erfahrung. Das ist wie in der Werkstatt: Die Naivlinge und Besserwisser sollten wir rausschicken.
BZ: Hier gibt es zwei sesshafte Rüden und neuerdings eine Fähe. Unter Tierhaltern geht die Angst um, dass sich das erste Rudel bildet und schnell vermehrt. Ist die Angst berechtigt?
Züger: Wenn es so weit ist, dann ist die Rudelbildung nicht mehr fern. Wenn nicht dieses Jahr, dann halt nächstes. Danach ist stets eine rasante Zunahme zu beobachten, oft eine Verdopplung alle zwei Jahre. Mehr Wölfe, mehr Risse, mehr Probleme.
Die Umweltorganisationen lassen dann fast triumphierend verlauten: Die Wölfe bringt ihr sowieso nicht mehr weg, die werden bleiben, arrangiert euch gefälligst.
Das empfinde ich als höchst arrogant. Wenn die sich so sicher wären, könnten sie die Jagd komplett freigeben.
BZ: Baden-Württemberg will, wenn sich ein Wolf zweimal an Herdentieren vergangen hat, dessen Entnahme erlauben, also ihn töten lassen. Ist das eine Lösung? Laut Berner Konvention gilt das Raubtier als streng geschützte Art.
Züger: Als Notmaßnahme ist das in Ordnung. Man muss eine rote Linie definieren. Die rote Linie haben die Umwelt- organisationen vorgegeben, so wie sie die Wölfe seit Jahren beschrieben: 90 Zenti- meter hohe Elektrozäune bei Kleinvieh reichen, keine Angriffe bei Tag, einzelne Herdenschutzhunde wirken als Abschreckung, keine Angriffe auf Großvieh inklusive Kälber, keine Annäherung an Menschen und Wohngebäude.
Es braucht eine straffe Linie: Wenn sie überschritten wird, muss postwendend reagiert werden. Bei Herdenschutzmaßnahmen sollen nicht verletzte oder tote Tiere gezählt werden, sondern: Herdenschutz überwunden, dann Abschuss. Actio = Reactio, so, wie sich Raubtiere verhalten.
BZ: Das Land will den Herdenschutz bezahlen? Finden Sie das in Ordnung?
Züger: Wenn die Gesellschaft Wölfe will, dann muss sie sämtliche Kosten tragen. Konsequenterweise aus den Naturschutz- Budgets; dann muss man sich als Naturschützer fragen, ob wir für eine einzige, nicht gefährdete Tierart so viel Geld ausgeben wollen, oder ob es nicht in anderen Projekten sinnvoller eingesetzt wäre.
BZ: Ein Einwand lautet: Wenn jeder seine Weide einzäunt, ist der Hochschwarzwald eingezäunt, Wanderer und Langläufer können ihren Sport vergessen...
Züger: Darauf wird es hinauslaufen. Noch problematischer wird es, wenn Herdenschutzhunde eingesetzt werden. Die nützen nur, wenn sie zahlreich und kämpferisch sind. Die frei zugängliche Landschaft, eine weltweit einzigartige Qualität, die es nur in Westeuropa gibt, wird dann verloren sein.
Damit steht man in direktem Widerspruch zur Zielsetzung des Naturparks. Der Naturpark Südschwarzwald hat sich ein Leitbild gegeben, darin haben die Wölfe eigentlich keinen Platz.
Wie sich die Wirtschaft an die Vorgaben hält und vielleicht auch mal auf etwas verzichten muss, soll auch der Naturschutz mal auf etwas verzichten. Das ist ja auch ein Teil von Nachhaltigkeit: eine Grenze des Wachstums einzusehen, genug zu haben.
Beim Wolf scheint es kein Ende und kein Maß zu geben. Bigger, better, faster, more – wie im Raubtierkapitalismus.
BZ: Was werden Sie den Landwir- ten auf den Weg geben?
Züger: Auf die Zähne beißen und durch- halten. Die Landwirtschaft hat schon noch größere Krisen überstanden. Die Vorzeichen eines Meinungsumschwungs sind spürbar.
D Infoveranstaltung „Wolf im Visier, Konflikte und Lösungen“: heute Mittwoch, 12.04.2023, 20 Uhr, Festhalle Lenzkirch. Gastgeber: Verein Landwirtschaftlicher Fachschulabsolventen/Fortschrittlicher Landwirte
Zu Marcel Züger:
Diplom-Biologe (Jahrgang 1973)
aus Salouf/Graubünden,
Studium an der ETH Zürich.
Zehn Jahre landwirtschaftlicher Betriebshelfer, Forstwart, Zimmermann. Schutzgebietsverantwortlicher Pro Natura Graubünden (2011-15),
Gründung Pro valladas GmbH 2014 (Ökobüro/Lohnunternehmen Landschafts- pflege).
Vorträge in der Schweiz, Südtirol, Österreich, Deutschland.
Buch: „Der Wolf im Visier – Konflikte und Lösungsansätze“.
BZ