07/09/2020
EINEN SHELTERHUND "RICHTIG" EINSCHÄTZEN: FÜR VOLONTÄRE UND INTERESSENTEN
Unsere Volontäre vor Ort leisten unglaublich wichtige Arbeit, denn die Voraussetzung für die mögliche Ausreise eines Shelterhundes aus unseren Sheltern Bucov, Campina und Baile Herculane ist die Erfassung:
Das bedeutet, es werden Fotos gemacht und erste Einschätzungen zum Charakter des Hundes getroffen, die eine Hilfe und Orientierung für Pflege- und Endstellen sein sollen, die sich unter den Hunderten von vorgestellten Hunden für einen entscheiden wollen...
Die meisten Probleme nach einer Direktvermittlung an eine Endstelle entstehen, weil Vermittler und unerfahrene Endstellenanwärter diese ersten Charaktereinschätzungen lesen und leider oft für beinahe in Stein gemeißelte Wahrheiten halten.
Was JEDER, Volontär, Vermittler und Interessent wissen sollte, und deswegen schreibe ich diesen Beitrag, ist, dass sich Shelterhunde in einer absoluten Ausnahmesituation befinden.
Sie leiden unter den schlechten hygienischen Bedingungen, müssen sich einer Kennelhierarchie anpassen, die möglicherweise gar nicht von ihnen mit entschieden wurde, leben auf engstem Raum mit Freund und Feind, müssen schauen, dass sie ohne Beißerei genug Futter bekommen und werden den ganzen Tag von einem Höllenlärm begleitet, der echt an die Nerven gehen kann.
In Sheltern wie Bucov sitzen rund 2000 Hunde Kennel an Kennel und wenn du als Volontär da hindurch gehst, begleitet dich das Bellen aus Hunderten Kehlen, viele springen an den Gittern rauf und runter, rütteln daran und wollen am liebsten ausbrechen.
Wer sind denn diese Volontäre, die die erste und so enorm wichtige Einschätzung für die Zukunft eines Hundes treffen?
Bei Pro Dog Romania und unserer Tierhilfe Lebenswert e.V. sind es glücklicherweise sehr erfahrene Menschen, die selbst schon oft vor Ort waren, selbst Hundehalter sind und auch bereits mit ängstlichen oder aggressiven Hunden Kontakt hatten.
Es können aber auch Menschen sein, die einfach etwas Gutes tun wollen, die helfen wollen, aber bisher wenig Kontakt zu Hunden hatten, sowie Menschen, die einfach nicht, so traurig es ist, realistische Einschätzungen treffen KÖNNEN... Auch das kommt vor...
Es ist immer katastrophal, wenn ein Volontär in einen Kennel geht, mit Leckerlis um sich wirft und dann zu jedem neu erfassten Hund schreibt: "freundlich und verträglich"... Da sind die Probleme dann oft schon vorprogrammiert, wenn der Hund dann, nachdem er angekommen ist und endlich entspannt, auch nicht so freundliche Seiten zeigt.
Wenn wir in einen Kennel gehen, dann schaue ich mir erstmal die Gruppe im Gesamten an. Wer ist hier der Boss? Gibt es Mobbingopfer und warum wurden sie zu einem? Haben sie sich selbst in die Situation gebracht durch "asoziales" Verhalten, das nicht geduldet wird, oder werden sie evtl. aus gesundheitlichen Gründen verstoßen...?
Wenn ich die Atmosphäre im Kennel erfasst habe, wende ich mich einzelnen Hunden zu. Ich checke nicht nur, ob sie anfassbar und freundlich sind, sondern auch, ob ich sie hochheben, festhalten kann, ob ich in Maul und Ohren schauen darf, die Pfoten anfassen darf...
Manche auf den ersten Blick freundliche Vertreter sind nämlich gar nicht so freundlich, wenn man mehr als nur "Kopfgetätschel" von ihnen will. Das ist auch sehr wichtig: Lässt sich der Hund nur am Kopf oder auch am ganzen Körper anfassen? Beschwichtigt er dabei oder genießt er es?
Ihr seht, ein wenig Hundesprachen-ABC ist eigentlich enorm wichtig, um einen Hund möglichst realistisch einschätzen zu können.
Das soll nicht heißen, dass Hundeunerfahrene nicht in Shelter fahren sollten, aaaaaber: seid ehrlich zu euch selbst und schließt euch Profis an, gesteht euch ein, dass es viel zu beachten gibt, um einem Hund eine echte Chance zu geben 🙏
Es gibt für mich nach wie vor nichts Schlimmeres, als ein ausgereister Hund, der von jedem plötzlich abgelehnt wird, weil er "nicht so ist, wie beschrieben"...
Auch, wenn es in fast jedem Verein Gang und Gäbe ist, bei mir werdet ihr niemals eine Direktvermittlung erleben... Zu oft geht es schief, zu oft sind sich Adoptanten und die Tierärzte im Hintergrund gar nicht klar, was allein an Gesundheitsvorsorge bei einem Hund, der gerade aus dem Ausland kommt, wichtig ist...
Wer kein Geld und keinen Elan hat, Bluttests, Medikamente und Parasitenbekämpfung direkt mit einzurechnen, sollte es wirklich sein lassen... Viele Hunde haben Glück und kommen gesund aus dem Shelter, aber sicher kann man erst sein, wenn der Hund hier untersucht wurde. Und nein: Blutschnelltests sind NICHT aussagekräftig!! Wir haben vereinsintern schon vor drei Jahren eine eigene Statistik aufgestellt, bei der alle Hunde nachgetestet wurden. 54% Fehlerquote.
Seitdem testen wir jeden ausgereisten Hund nach.
Wer verantwortungsvoll Auslandstierschutz machen will, muss sich über viel Arbeit und Geld im Klaren sein.
Liebe Interessierte: ich kann nur an euren Menschenverstand und euer Bauchgefühl appellieren - wer euch einen Hund vermitteln will, ohne dass ihr anständig aufgeklärt und beraten werdet, ohne dass euch im Nachhinein noch ein Ansprechpartner zur Verfügung steht, ohne dass euch Fragen zur Gesundheitsvorsorge und -nachsorge beantwortet werden können... Bitte lasst es 🙏
Unseriös ist es, wenn ein Shelterhund beispielsweise als "kinderfreundlich" beworben wird. Das sind Dinge, die niemals mit Sicherheit getestet werden können. Wer kleine Kinder hat, sollte sein vierbeiniges, neues Familienmitglied lieber im Tierheim oder auf einer Pflegestelle suchen. Dort können die Hunde vorher kennen gelernt werden.
Und zu guter Letzt: wenn ihr mal mit einem Tierheim-Mitarbeiter oder einem Verein aneinander geratet, bitte bezeichnet den Tierschutz nicht pauschal als "scheiße"... Ihr müsst nicht mit allem konform sein, aber Menschen sind und bleiben Menschen und damit fehlbar... Genau wie unsere Hunde... 😉
Im Bild: unsere Tierhilfe Lebenswert e.V. - Gnadenhündin Susana ❤️