16/12/2024
Ich war mal wieder auf einem Seminar, kürzlich. Irgendwann, irgendwo, bei irgendwem - bevor ich mir wieder die Spaltung der gesamten Reiterschaft vorwerfen lasse, schweige ich zu den Details lieber. Aber ein paar Sachen - sonst wäre ich ja nicht ich - möchte ich doch anmerken. Weil die immer gelten, wirklich ausnahmslos immer.
Warum? Weil Baum. Oder:
Nur weil jemand überzeugt ist, ist er nicht automatisch überzeugend.
Ich lehne mich jetzt weit aus dem Fenster über den Küchentisch meiner psychologischen Kenntnisse und verpacke alles in anekdotische Evidenz … Ich habe das Gefühl, so viele Reiter sind inzwischen so verunsichert, dass ein überzeugender Ton - wahlweise auch Feldwebel, Gouvernante oder autoritäre Vaterfigur - schon die halbe Miete dabei ist, sie von irgendwas zu überzeugen. Wenn der Satz nur mit einem Punkt endet, der groß genug ist, glaubt man a), dass man gar nicht widersprechen kann und b), dass jemand, der so überzeugt ist, auch sicher überzeugende Argumente hat. Selbst wenn man die gar nicht versteht. Und schnell übersieht man, dass fünf unbekannte Fachbegriffe noch keinen ganzen Satz machen. Oder, wahlweise, dass Sätze gar nicht beendet werden - bevorzugt an Stellen, wo es gerade spannend wird. Ein „Weil“, auch wenn danach ein Punkt gesetzt wird, auch wenn die Stimme sich dazu so sehr absenkt, dass man bis zum Erdmittelpunkt blicken zu können glaubt - ist keine Begründung. Die Begründung nach dem Weil ist das Wichtige, und, wenn ihr einen guten Trainer oder Reitlehrer habt, dann versteht ihr diese Begründung auch. Und wenn ihr nicht die Fachtermini für sämtliche Ligamente im Pferdekörper auswendig kennt oder die Originalzitate aus Guérinères Ecole de Cavalerie nicht mal eben im Hinterkopf übersetzen könnt, dann muss es so erklärt werden, dass ihr es versteht. So viel didaktische Kompetenz sollte vorhanden sein, wenn einer Geld nimmt fürs Dinge beibringen - und nicht nur dafür, dass sein Ego gestreichelt wird.
Aber der hat das studiert! Oder:
Nur weil ein Tierarzt was macht, ist es nicht automatisch gut.
Titel wirken ähnlich wie Punkte: Sie beweisen, dass es richtig ist. Nö - tun sie nicht! Wieso wird stillschweigend angenommen, dass jeder studierte Tierarzt (ersetze durch andere Studien- oder ausbildungserworbene Fachtitel), der sich zum Trainer berufen fühlt, sicher der Beste seines Faches war und damit das, was er tut und sagt, die Wahrheit sein muss? Ich bin studierte Politologin. Habe sogar eine ziemlich gute Abschlussnote. Fang mit mir ein Gespräch über die Haushaltspolitik der Bundesregierung an, und du erlebst eine Leere, auf die die Wüste Gobi neidisch wäre. Weil mein Schwerpunkt ein ganz anderer war, weil ich vor fast 20 Jahren mein Studium abgeschlossen habe, und weil ich vielleicht auch nur so eine gute Abschlussnote hatte, weil mich der Prof mochte. (Nein, das stimmt natürlich nicht. Glaube ich.) Ich bin keine Politikkoryphäe, und ein veterinärmedizinischer oder ähnlicher Abschluss macht noch keine Trainingskoryphäe. Bei einem Tierarzt, Pferdewissenschaftler usw. muss man genauso kritisch hinterfragen wie bei Gretchen Müller aus dem Nachbardorf. Warum? Weil beide Menschen sind. Die machen Fehler, deren Meinungen können biased sein, die wollen vielleicht einfach nur mehr Geld verdienen, die sind vielleicht nicht die hellste Kerze im Leuchter, was auch immer.
Wir sind die Guten! Oder:
Nur weil man es Therapie nennt statt Training, wird es nicht pferdefreundlicher.
Es gibt in den Freizeitreiter-, Barock-, Klassische-Dressur- und weiteren Kreisen ein paar stillschweigend oder - in den sozialen Medien - lautstark geteilte Ansichten darüber, was gut ist und was nicht. Rollkur: Bööööööse! Und damit diverse Reitsportgrößen, die uns immer wieder gnädig vom hohen Ross oder hohen Treppchen herab zulächeln. Alle böse. Die armen Pferde, der furchtbare Sport, es ist brutal und erniedrigend, wie sich die Pferde in die Brust beißen.
Und dann kam da einer und ließ die Pferde sich in die Buggelenke beißen (ganz was anderes!) und sagte, das helfe den Pferden sehr. Nur so würden sie lernen, sich gesund zu bewegen. Und weil es Buggelenk statt Brust ist und Therapie statt Tierquälerei, stört es keinen mehr und alle gucken zu und lernen. Und ich stehe da und frage mich, ungebildet wie ich bin, wo der Unterschied ist: Einmal wird der Kopf des Pferdes umgehend heruntergezogen, sobald die Nase nach oben kommt, und dieses hinter die Senkrechte Stellen ist eine böse Strafe. Und ein andermal wird der Kopf des Pferdes umgehend heruntergezogen, sobald der Hals sich streckt, und es ist eine hilfreiche Korrektur. Und ich wundere mich und stelle wieder einmal fest, dass ich offenbar noch viel lernen muss, um diesen Unterschied zu verstehen.
Und weil es mir wirklich wichtig ist, nochmal im Klartext: Wenn ich ein Pferd in eine (art-untypische) Haltung oder Bewegung bringe, und es möchte diese verlassen, sobald der Zügel lang oder der Sporen weg ist, und ich bringe es über Zügel oder Sporen umgehend, ohne Verzögerung, ohne Pause, wieder in die von mir gewünschte Haltung oder Bewegung - dann ist das völlig egal, ob ich das Therapie nenne oder Hilfe. Wenn das Pferd aus einer unangenehmen Situation, Haltung, Bewegung rausmöchte und ich bringe es sofort wieder in dieselbe unangenehme Situation, Haltung, Bewegung hinein, dann kommt das beim Pferd an als Strafe für seine Eigenmächtigkeit. So kreiert man erlernte Hilflosigkeit und Kadavergehorsam.
Echt jetzt??? Oder:
Nur weil alle es gut finden, muss ich das nicht auch tun.
Zum Glück. Und nur weil mir Spaltung vorgeworfen wird, wenn ich Kritik übe, lasse ich das nicht sein. Mein Schwerpunkt im Studium waren Bürgerkriege. Darin bin ich gut :)
Also schaut doch bitte hin. Schaltet den Ton mit der Feldwebelstimme und den Fachbegriffen ab und schaut die Pferde an. Vielleicht erinnert ihr euch daran, wie ihr wollt, dass euer Pferd aussehen soll … schnell, wendig, mutig, stark, selbstbewusst, gesund. Ja, Training ist nicht immer total schön anzusehen. Aber es sollte zumindest immer mal wieder total schön anzusehen sein, finde ich. Es sollte das ahnen lassen, was im Pferd steckt. Haben wir Pferde, damit die sich in die Brust beißen und den Boden anstarren? Ich weiß, ich wiederhole mich, aber: Es muss auch Spaß machen! Was gesund machen soll, muss auch Spaß machen, zumindest ab und zu. Mens felix in corpore sano, oder so. Und bevor mich jemand missverstehen möchte … es muss DEM PFERD Spaß machen. Nicht nur dem Menschen, der damit viel Geld verdient.
Foto: Ich zeige keine Fotos von Rollkurpferden, das überlasse ich anderen. Ich zeige lieber, wie so ein fröhliches Pferd aussehen sollte. (Adobe Stock / Petra Eckerl)