17/10/2019
Viele Hundehalter werden immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würden ihre Hunde vermenschlichen und deshalb seinen tatsächlichen Bedürfnissen nicht gerecht werden.
Dabei ist in den meisten vorgeworfenen Fällen die vermeintliche Vermenschlichung des Hundes positiv zu bewerten und keinesfalls negativ!
Denn solange im Umgang des Menschen mit seinem Hund die Bedürfnisse und Ansprüche zur Zufriedenheit BEIDER Individuen beiträgt, ist der Gedanke der Vermenschlichung kein schlechter, sondern ein guter Gedanke!
Seit einigen Jahren wird – auch unter wissenschaftlicher Bewertung – immer deutlicher, wie nahe sich mittlerweile Mensch und Hund in ihrer seit zigtausend Jahren andauernden Co-Existenz gekommen sind.
Der Verhaltensforscher und -biologe der Universität Wien, Professor Kurt Kotrschal, geht sogar davon aus, dass der Hund „weder Mensch noch Tier“ sei, sondern mittlerweile eine Art Zwischenstufe zwischen beiden Spezies erreicht hat.
Ein besonders interessantes Zitat von Prof. Kotrschal: „Man stellt insgesamt immer mehr fest, dass Hunde und Menschen zwar unterschiedlich aussehen, aber vom sozialen Grundmodell nahezu identisch sind“.
Als ich vor fast 20 Jahren mein erstes Fachbuch über Hundeerziehung publiziert hatte, erschien es mir schon damals wichtig, auf genau diesen Umstand hinzuweisen.
Ein Zitat aus diesem Buch (Damit wir uns verstehen…, Seite 23): „Gefühlsmäßige Empfindungen bestimmen unser Leben von Geburt an. Wir empfinden auf der Gefühlsebene Freude, Trauer, Wärme, Kälte, Zu- und Abneigung, Geborgenheit, Einsamkeit, Liebe und Hass. Und nun sage ich Ihnen, weshalb sich der Hund weltweit als der einzigartigste und vollkommenste Sozialpartner aus dem Tierreich etablieren konnte: weil er in seiner gefühlsmäßigen Empfindsamkeit dem Menschen nicht nur ähnelt, sondern ihm nahezu gleichgestellt ist“.
Vor 20 Jahren verschwendete ich noch keinen Gedanken daran, dass viele Jahre später diese persönliche Überzeugung von einem Wissenschaftler bestätigt werden könnte.
Nun darf jedoch niemand dem Gedanken verfallen, dass wir auf der Grundlage dieser spektakulären Wahrnehmungen und Erkenntnisse über unsere Familienhunde auf unsere Vierbeiner die Lebensgewohnheiten ihrer Menschen eins zu eins übertragen sollten.
Genau dieses Bestreben aber ist leider ebenfalls in nicht wenigen Mensch-Hund-Beziehungen vorzufinden.
Doch Vorsicht! Oftmals wird der Begriff Vermenschlichung völlig irrtümlich negativ unterstellt. Das bedeutet, dass man sich im Klaren darüber sein sollte, in welchen Fällen es sich tatsächlich um eine für den Hund nachteilige Vermenschlichung handelt und dann erst beurteilen darf.
Eine Vermenschlichung des Hundes kann somit positive oder auch, gegenteilig, negative Folgen für ihn haben.
Meine persönliche Definition zu einer negativen Vermenschlichung des Hundes lautet:
"Wenn wir Menschen unsere persönlichen Bedürfnisse und auch Verhaltensweisen egoistisch und eins zu eins auf den Umgang mit unserem Hund übertragen und es dadurch zu einer Kollision mit den artgegebenen Bedürfnissen des Vierbeiners kommt." Erst dann ergeben sich aus der Vermenschlichung negativen Folgen.
Da jedoch viele unserer persönlichen Bedürfnisse mit denen unserer Hunde absolut vereinbar sind, müssen wir klare Abgrenzungen zwischen möglichen positiven und negativen Folgen einer sogenannten Vermenschlichung machen.
Zum besseren Verständnis ein paar Beispiele für die unbedenkliche Seite der Vermenschlichung und nachfolgend für deren bedenklichen und negativen Seite:
Die unbedenkliche Seite einer Vermenschlichung liegt beispielsweise vor, wenn ein Hund
- als „Familienmitglied“ in überwiegender Gemeinschaft mit dem Menschen zusammenlebt
- mit seinem Menschen auf dem Sofa kuschelt
- ausgewählte Essensreste vom Tisch bekommt
- zeitlich gesehen vor dem Menschen gefüttert wird
- nachts im Bett des Menschen schläft
- seinen Menschen zum Spielen auffordert und damit auch Erfolg hat
- liebevoll geknuddelt und gestreichelt wird
- durch seinen Menschen situativ mit „kindlicher“ Stimme angesprochen wird
- an Restaurantbesuchen oder Familienfeiern teilnimmt
Diese kleine Auswahl an Beispielen zeigt deutlich, dass im Zusammenleben zwischen Mensch und Hund keine Nachteile entstehen, solange die jeweilige Bedürfnisebene deckungsgleich ist.
Ein Hund, der bei seinem Menschen nachts im Bett schläft, wird nicht in negativer Weise vermenschlicht, sondern geniest die soziale Nähe zum Menschen, die ihm unter anderem Geborgenheit und Sicherheit vermitteln kann. Blödsinnigerweise wird hier sogar noch heute von vermeintlichen Fachleuten auf Hierarchie- und Dominanzgefahren hingewiesen.
Gleichzeitig müssen wir auch respektieren, dass Bedürfnisse des Hundes nicht einfach über den Bedürfnissen des Menschen stehen dürfen.
Damit sollte klar sein, dass Hunde nicht zwingend im Bett des Menschen schlafen müssen, wenn der Mensch sich dabei selbst nicht wohlfühlen kann.
Und nun ein paar Beispiele, in welchen Fällen sich eine Vermenschlichung nachteilig auf einen Hund auswirken kann.
Die bedenkliche und damit negative Seite einer Vermenschlichung liegt vor, wenn ein Hund
- als „Kind“- oder „Enkelersatz“ im Tagesverlauf PERMANENT beschäftigt wird und dadurch nicht zur Ruhe finden kann
- ausschließlich oder überwiegend menschliche Nahrung und damit kein Hundefutter erhält
- mit Messer, Gabel und Lätzchen gefüttert wird
- täglich gebadet, parfümiert oder deodoriert wird
- „Stubenarrest“ erhält, weil er den Nachbarn angebellt hat
- ständig „kindgerecht“ oder „puppengleich“ bekleidet wird
- im Freien nicht umhertollen darf, weil er sich schmutzig machen kann
- niemals alleine gelassen und überfürsorglich behandelt wird
- nicht als Hund, sondern als „besserer Mensch“ von seinem Zweibeiner angesehen wird
An diesen negativen Beispielen ist zu erkennen, dass die Bedürfnisse und Vorstellungen des Menschen keinesfalls mit den Bedürfnissen eines Hundes vereinbar sind.
Übrigens sind Menschen, die über kein oder zu wenig Wissen über Hunde und deren Bedürfnisse verfügen, ganz besonders gefährdet, der Vermenschlichung (mit negativen Folgen) des Hundes zu verfallen.
Der Umstand, dass der Hund „weder Mensch noch Tier“ ist, sollte dazu führen, dass wir unseren Vierbeinern mit einem entsprechend hohem sozialen Verantwortungsbewusstsein begegnen. Dabei sollten wir aber immer daran denken, dass trotz Co-Evolution und damit entwicklungsbedingter, emotionaler Nähe zum Menschen ein Teil der Bedürfnisse unserer Familienhunde von unseren menschlichen Bedürfnissen abweicht.
Danke übrigens, Anna Auerbach, für das tolle Foto.