Fast jeden Tag, wenn ich in den Stall gehe, und meine zwei Pferde mich mit glänzenden Augen und Geblubber am Paddock-Tor begrüßen, muss ich kurz innehalten. Ich muss mich kneifen, und es überkommt mich ein ganz bestimmtes Glücksgefühl, welches ich das erste Mal als kleines Pferdemädchen empfinden durfte. Hinzu gesellt sich eine tief empfundene Dankbarkeit, denn bis zu diesem Begrüßungsritual war es eine sehr, sehr lange, steinige und zum Teil auch schmerzhafte Reise. Aber zum Glück hat sie gerade erst begonnen.
Ich war ein echtes Pferdemädchen, für das es nichts Schöneres gab, als
sich jeden Morgen um sechs Uhr aufs Fahrrad zu schwingen und die Boxen im ansässigen Reitstall auszumisten. Meine Eltern hatten mit Pferden gar nichts am Hut und konnten meine Leidenschaft auch überhaupt nicht verstehen, ließen mich aber gewähren. Nur der Traum vom eigenen Pferd blieb für lange Zeit unerfüllt. Aber mir reichte vorerst auch ein Pflegepferd (ein Schulpferd), um das ich mich täglich kümmerte. Hinzu gesellten sich einige Reitbeteiligungen.
Mit dem Abitur und dem Studium, verbunden mit dem Umzug in die erste eigene Wohnung nach Hamburg, rückten erst einmal andere Dinge in den Vordergrund. Erst mit 35 Jahren saß ich per Zufall wieder auf einem Pferd und hätte glücklicher nicht sein können. Endlich spürte ich, was mir jahrelang gefehlt hatte, nämlich ein ganz wichtiger Teil von mir! Zu diesem Zeitpunkt hatte ich meine Mutter nach schwerer Krankheit verloren. Sie vererbte mir ein wenig Geld, mit dem ich mir endlich meinen Kindheitstraum erfüllen wollte – das eigene Pferd.
Und so trat Lotti in mein Leben. Völlig naiv kaufte ich ein junges 4-jähriges Pferd, dazu noch eine Trakehnerstute. Gefunden hatte ich Lotti über eine professionelle Anzeige, und als ich sie zum ersten Mal besuchte, bekam ich sofort Herzchenaugen. In der Realität hatte Lotti aber ein völlig verdrehtes Vorderbein und war mit Schlaufzügeln zurechtgestutzt worden. Alles egal – sie sollte es sein. Im Nachhinein kann ich über meine Naivität nur froh sein, denn mit meiner heutigen Erfahrung hätte ich mir nie und nimmer ein solches Pferd zugelegt.
Eine Freundin von mir hatte ihr Pferd in einer großen, luxuriösen Reitanlage stehen. Toll, da wollte ich auch hin. Glücklicherweise traf ich dort gleich zu Anfang auf eine Reitlehrerin, die gerade ihre Ausbildung bei Philippe Karl machte, mich an die Hand nahm und mir die Grundlagen des pferdegerechten Reitens beibrachte. Davon sah man ansonsten in dem Stall leider nicht viel. Das allein macht aber noch keine vertrauensvolle Pferd-Mensch-Beziehung aus. Zu diesem Zeitpunkt meines Lebens stand ich sowohl beruflich als auch privat unter Dauerstress. Unter diesen Bedingungen kam ich natürlich auch jeden Tag in den Stall
und nichts funktionierte mit Lotti. Dann kam ein erster Reitunfall mit ihr, bei dem ich mir meine Schulter anbrach. Der zweite folgte drei Monate später. Mittlerweile rannte Lotti,
sobald sie mich auf die Weide kommen sah, im gestreckten Galopp in die andere Richtung. Sie verweigerte sich komplett, und es war mir nicht mehr möglich, sie einzufangen. Hatte ich es dann doch irgendwie geschafft, riss sie sich los, sobald wir uns von der Herde entfernten. Wenn ich abends zu ihrer Box kam, drehte sie mir nur den Hintern zu. Am Ende wollte Lotti niemand mehr von der Weide holen, sie galt als gefährlich, wahlweise verrückt. Diese deutliche, berechtigte Ablehnung ihrerseits brachte mich jedes Mal zum Weinen, aber auch zum Nachdenken. Mir blieben genau zwei Möglichkeiten: Lotti zu verkaufen, brachte ich jedoch nicht übers Herz, denn das hätte höchstwahrscheinlich ihr Ende bedeutet. Niemand kauft ein solches Pferd. Ich entschied mich für die zweite Alternative und fing an, an mir selbst zu arbeiten. Das war zwar der weitaus schwierigere Part, aber ich wollte nicht, dass Lotti „in die Wurst“ kommt.
Ich fing an, mein Leben zu überdenken und neu zu ordnen, bin konsequent nur in den Stall gefahren, wenn ich nicht gestresst war und habe nichts von Lotti eingefordert. Ich wollte jetzt nur bei ihr sein. Langsam, aber sicher stand Lotti mir etwas weniger ablehnend gegenüber. Als ich sie dann mal wieder auf der Weide besucht hatte und sie das erste Mal freiwillig zu mir kam, liefen die Tränen. Ich wusste aber auch, dass ich Hilfe brauchte und kontaktierte eine Horsemanship-Trainerin. So etwas gab es in diesem Stall bislang nicht, doch es war die beste Entscheidung meines Lebens.
Es eröffnete sich eine ganz neue Welt für mich. Ich begann zu verstehen und wollte nur noch jeden Tag ein besserer (Pferde)-Mensch sein. Lotti hat mir beigebracht, ehrlich und authentisch im Hier und Jetzt zu sein, und mir so, auch für mich als Mensch, eine zweite Chance gegeben. Dafür bin ich ihr auf ewig dankbar.
Lotti begann dann über ein halbes Jahr lang unspezifisch zu lahmen. Da wir mit ganz anderen Dingen als Reiten beschäftigt waren, konnten wir uns ganz auf unsere gemeinsame Kommunikation konzentrieren. Als wir dann doch mal Röntgenaufnahmen machten, wurde festgestellt, dass sie eine starke Arthrose in ihrem verdrehten Karpalgelenk entwickelt hatte.
Das war für mich der Zeitpunkt, mit Lotti in einen Offenstall umzuziehen. Und seitdem sie dort steht, hat sie nicht mehr gelahmt – nie mehr. Ich habe ihr mit dem Umzug ein Versprechen gegeben: Sie braucht kein Reitpferd mehr zu sein. Lotti ist ein „Wildpferd“, und das respektiere ich.
Trotzdem kam bei mir der Wunsch nach einem „Reitpferd“ auf, und so trat vor zwei Jahren Cookie in unser Leben. Cookie ist ein immer gut gelauntes, 9-jähriges Deutsches Sportpferd. Allerdings auch sehr anspruchsvoll. Er ließ mich mutig werden und brachte mir den Spaß und die Freude am Reiten wieder. Er verlangt regelrecht, dass ich meine Sicherheits- und Komfortzonen verlasse. Cookie liebt es, zu galoppieren, und zwar schnell. Und zu springen! Nach zwei Unfällen für mich nicht immer einfach loszulassen und zu vertrauen, aber Cookie beweist es mir jedes Mal wieder. Was für eine wunderbare Reise! Mit Cookie konnte ich auch anfangen, mich weiter fortzubilden, sowohl reiterlich im Horsemanship als auch bei unterschiedlichen Pferdemenschen. Wir sind es den Pferden, die wir zu unseren Bedingungen zu uns holen, einfach schuldig, uns bestmöglich fortzubilden.
Meine größten Lehrer sind und bleiben aber meine zwei Pferde. Im Frühjahr 2018 begann ich mich mit dem Thema Tierkommunikation zu beschäftigen. Ich belegte einen Basiskurs und entschied mich, danach eine Ausbildung als Pferdekommunikatorin bei Catherin Seib zu machen. Dadurch hat sich für mich noch mal eine ganz neue Welt eröffnet. Ich wollte diese Ausbildung eigentlich nur für mich und meine Pferde machen. Nachdem ich aber einige Kommunikationen bei Pferden und Hunden von Bekannten und Freunden durchgeführt hatte, wurde die Nachfrage immer größer.
Heute weiß ich: Ich kann Menschen helfen, ihre Pferde besser zu verstehen und im Sinne der Pferde zu agieren. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen!