19/10/2021
Sehr gut geschrieben...denn genau so ist es doch, oder? :)
Das klingt immer so romantisch
Außenstehende stellen sich Reiten generell schrecklich romantisch vor. Einmal in den Sonnenuntergang reiten - ach, was ist das schön. In der Realität mehr so: “Verdammt, ich werde von den Insekten gefressen” oder: “Öh, S**t, ich hab die Lampe nicht mit und muss noch über ne Straße!”. Und diese wunderbare Einheit, die schönen Klamöttchen - ach, Reiter müsste man sein. Also nicht dann, wenn man an einer vollgematschten Hangkoppel steht und versucht sein Pferd da rauszuholen, was außerdem aussieht, als habe es sich in den größten Drecktümpel von allen gelegt, bevor du diese Reitstunde gebucht hast … Aber sonst ist reiten doch bestimmt romantisch und schön, oder?
Wenn die wüssten, wie viel sich in unserem Alltag um P**i, Kacka, Eiter, Blut, Auswurf, etc. dreht, wären die nicht mehr so romantisch drauf. Denn zum Pferd gehört nicht nur schön obendrauf auszusehen, sondern es auch zu versorgen. Und das heißt, Boxen Misten, Paddocks oder Weiden abmisten, sich um Wundversorgung kümmern, etc. Da ist man grundsätzlich mal mit Körperflüssigkeiten beschäftigt, die man sonst zuhause eher nicht so auf dem Wohnzimmertisch haben will. Ganz zu schweigen von Dreck, Schlamm, Matsch und Dingen, die wir nicht zwingend immer identifizieren können, wir aber vom Pferd knibbeln müssen (oder von uns).
Auch Reiter romantisieren gerne. Pferdeberufe vor allem. Wow, den ganzen Tag mit Pferden zusammensein. Alle Pferdewirte, Bereiter, Arbeitsreiter und was weiß ich noch alles, heulen gerade in ihr Kissen und sagen: “Boah, mal fünf Minuten kein Pferd, das wäre nett! Schon mal gar nicht deins, das ist unerzogen und kacke!”. Während der normale Reiter sagt: “Ach, ein Traum, wenn man sein Hobby zum Beruf macht.” Der Berufsreiter denkt: Meinen Verdienst willst du sicher nicht, aber das hört der normale Reiter gar nicht erst. Weil der immer noch hingerissen seufzt: “Haaaach, Pferde.”
Das drumherum beim Reiten wird häufig vergessen. Es ist knallharte Arbeit und nichts für schwache Nerven. Nicht, weil Reiten so hart ist, sondern die Arbeit mit den Pferden, die vielen Lerninhalte (wäre Reiten ein Unistudium, wäre das ein verdammt intensives Erlebnis), die viele Zeit, die es verschlingt und auch der Umgang mit Krankheit, Tod und philosophischen Fragen wird dort gelehrt - ob man will oder nicht. Im Stall wartet niemand, ob du “bereit” für etwas bist, höchstens dein Reitlehrer. Aber das Pferd? Das fragt dich nicht, ob du bereit dafür bist, heute mal ein bisschen Knochen zu sehen oder ein halb heraushängendes Auge.
Es fragt niemand, ob du heute mal herausfinden willst, wie sich ein Pferdetritt anfühlt und wie lange man so ein Pferd im Gelände nach einem Sturz festhalten kann, damit es nicht auf die Bahngleise läuft. Pferde sind nicht romantisch, sie sind mehr so: “Platz da, ich komme mit Anlauf. Fang mich oder stirb!” Das magische Band zwischen Tier und Mensch,, das Wallakleid im Wind und der Halsring im Mondschein - das sind irgendwelche romantischen Märchengeschichten, die kein Reiter täglich erlebt (und auch nicht zwingend erleben will, das sei auch mal gesagt).
Nein, so ein Pferd zwingt dich dazu, dich wie ein Erwachsener aufzuführen und deine Entscheidungen zu treffen. Die sind nicht immer gut oder schlecht. Sie sind meistens grau. Aber wenigstens macht man es dann mal. Ein Pferd zu haben, heißt nicht, sich durchzuwieseln, sondern durchzukämpfen. Und das stärkt durchaus den Charakter. Nicht dieser Romanzenkitsch.
Foto: Ist allergisch auf Kitsch.