31/05/2018
Happy End nach zwei Jahren. ❤
Zwei lange Jahre blieb eine Berner-Sennen-Hündin spurlos verschwunden – jetzt ist sie in der Tierherberge aufgetaucht. Das Protokoll einer (be-)rührenden Geschichte.
Notiert von Paul Ehrenreich
Wenn ein Hund einen anderen Namen bekommt, ist das in der Regel keine Schlagzeile wert. Schon gar nicht eine Schlagzeile mit Ausrufezeichen. In diesem Fall ist das anders. Wir haben vor einer Woche über „Klara“ berichtet. Klara ist eine Berner-Sennen-Fundhündin, die in schrecklicher Verfassung in die Tierherberge Pfaffenhofen kam. Augen und Haut waren stark entzündet, große Teile des Fells hingen in Fetzen oder fehlten gänzlich. Die gute Nachricht: Klara ist wieder zu Hause – nach zwei Jahren! Und sie heißt eigentlich Heli.
Kaum wurde nach dem Besitzer des unbekannten Fundhundes öffentlich gesucht, der in der Tierherberge „Klara“ getauft wurde, brach in den sozialen Medien ein Sturm los. Auf Facebook und Co. kamen im Minutentakt wohlmeinende Tipps und Hinweise auf die mögliche Herkunft. Sogar Streitereien zwischen Nutzern über das richtige Vorgehen brachen aus. Nicht gespart wurde leider auch an haltlosen Vorwürfen gegen die Besitzer, die ihren Hund – vermeintlich – malträtiert hätten. Alles falsch! Denn „tatsächlich lassen die Entzündungen an der Haut und der generell schlechte Zustand des Fells eher auf Mangelernährung schließen“ sagt Tierärztin Dr. Preyß-Jägeler, die den Hund im Auftrag des Tierheims eingehend untersucht und ein Blutbild genommen hat. Berner-Sennen-Hunde sind keine Jäger und somit kaum in der Lage. in freier Natur lange zu überleben. Abgesehen davon, dass ein so großer Hund von jemandem hätte gesehen werden müssen. Die Ärztin weiter: „Möglich, dass er in der Zwischenzeit irgendwo mitgefressen hat. Falls er zwischenzeitlich bei jemand anderem mitgelebt haben sollte, hat diese Person ihn zwar vernachlässigt und sich nicht um ihn gekümmert. Körperlich misshandelt hat sie ihn aber definitiv nicht.“
Eine abenteuerliche Geschichte. Happy End inklusive.
Dabei war anfangs lediglich klar, dass der Hund in erbärmlichen Zustand war. Zahllose andere Anfragen und Bitten um detaillierte Informationen wurden in der Tierherberge angenommen und überprüft. Zum Beispiel „hat der Hund am linken Hinterlauf eine verheilte Wunde, so wie unserer?“ Die Identifizierung war bei Klara besonders diffizil, weil sie zahlreiche kahle Stellen und Verletzungen hatte. Offensichtlich war sie bereits längere Zeit unterwegs, entsprechend verwahrlost sah sie aus. Auch das schwarze Halsband, das sie trug, deutete auf eine längere „Reise“ hin.
Zu einem frühen Zeitpunkt meldet sich auch eine Familie aus Mittelfranken, die ihren Berner Sennen seit fast zwei Jahren vermisst. Wie üblich in solchen Fällen werden viele Informationen und Fotos zwischen der Familie und der Tierherberge ausgetauscht und verglichen. Ist sie es? Ist sie es nicht? Dagegen spricht in diesem Fall, dass der vermisste Hund gechipt war, beim Fundhund aber kein Chip ausgelesen werden konnte. Das kann gelegentlich vorkommen, allerdings sehr selten. Andererseits ist das schwarze Halsband dem Band ähnlich, das die Hündin trug, als sie verschwand. Schließlich die traurige Erkenntnis: es handelt sich wohl nicht um das vermisste Tier. Wieder eine Sackgasse für die Besitzer-Familie, die seit zwei Jahren viele Berner-Sennen-Hunde besucht hatte – jedes Mal ohne Erfolg.
Die Tour, die zur Tortur wird
Schon der Beginn von Helis Odyssee war unglücklich. Zu einer großen Familienfeier sollte vor zwei Jahren ein Feuerwerk gezündet werden. Die Familie, wissend, dass ihr Hund keinen Spaß an derlei Spektakeln hatte, musste vorsorglich ins Haus. Ein Partygast wusste davon nichts. Ahnungslos ging er davon aus, Heli sei versehentlich in der Wohnung eingesperrt. Und ließ sie zurück in den Garten. Ausgerechnet zu dieser Zeit begann das Feuerwerk, das Unheil nahm seinen Lauf: Heli startete panisch durch, und ward nicht mehr gesehen. Zwei Jahre nicht mehr, genau 675 Tage.
„Alles haben wir unternommen, Heli wiederzufinden“, beteuert Silke B., die Mutter. „Wir haben automatische Kameras aufgestellt, Zettel an jedem Zaun und jedem Jägerhochstand befestigt, Hundesuchdienste beauftragt, zahllose aufgefundene Berner-Sennen-Streuner besucht. Natürlich in den Tageszeitungen und sozialen Medien recherchiert. Schließlich sogar Suchhunde losgeschickt.“
Vergeblich: Die Hündin ist und bleibt verschwunden. Nach vielen Fehlschlägen setzt sich die Erkenntnis durch, dass Heli vielleicht nie wiederkommen wird. Nach eineinhalb Jahren vergeblichen Suchens fällt eine Entscheidung. Ein neuer Hund kommt ins Haus, der mittlerweile zweijährige Mogli. Ein Berner-Sennen-Rüde.
„Als wir von einem Hund dieser Rasse erfuhren, der in Pfaffenhofen aufgelesen wurde, war ich anfangs wirklich skeptisch“, sagt Mutter Silke. „Nach so vielen Enttäuschungen. Zumal der Hund auf den Fotos in seinem fürchterlichen Zustand nicht mehr an ‚unsere Heli‘ erinnerte.“ Ihre Kinder waren erheblich zuversichtlicher: Es muss unsere Heli sein! Ihr ursprüngliches Zuhause liegt in Mittelfranken, Luftlinie rund 100 Kilometer von Pfaffenhofen entfernt. Allerdings wird sie kaum den kürzesten Weg genommen haben, als sie endlich in einem Waldstück bei Hohenwart auftauchte, wenige Kilometer von Pfaffenhofen entfernt. Viele Menschen wundern sich, dass ein Hund so weit läuft. Die Tierheimleiterin Sandra Lob nicht: „Das ist überhaupt keine Entfernung für einen Hund. Schon gar nicht in so langer Zeit.“
Wenn einer eine Reise tut
Die Familie macht sich sicherheitshalber nun doch auf den Weg nach Pfaffenhofen, im Gepäck viele Fotos ihrer vermissten Hündin. Noch vor der Anreise fragen Mitarbeiter der Herberge gezielt nach Merkmalen des Hundes, die niemand wissen kann – mit Ausnahme der Besitzer. Die persönliche „Familienzusammenführung“ macht schnell klar: Mensch und Tier kennen und mögen sich. Das ist kein Aufeinandertreffen zweier Parteien, die sich erstmals sehen beziehungsweise riechen.
Die vorübergehend ausgesetzte Partnerschaft ist so offensichtlich, dass die Vereinsvorsitzende Manuela Braunmüller spontan beschließt: Heli darf noch am selben Tag wieder heimfahren nach Mittelfranken. Sandra Lob ist Tierheimleiterin und seit 23 Jahren im Tierschutz aktiv. „Ich kann mich an keinen einzigen Fall erinnern, in dem wir nach so langer Zeit einen Hund seinem Besitzer zurückgegeben konnten.“ So groß ist die Rührung, so aufregend das alles, dass keiner der Anwesenden daran denkt, dieses besondere Ereignis zu fotografieren.
Als hätte das Schicksal es gewollt: Zufälligerweise kommt Helis früherer „Lieblingsmensch“, Tochter Chiara, genau an jenem Tag von einem längeren Au-pair-Aufenthalt im Ausland zurück, an dem auch Heli wieder zu Hause einzieht. Gemeinsam geht’s ins neue, alte Heim. Mogli darf natürlich bleiben. Man beschnuppert sich von Hundenase zu Hundenase, und Mogli beschließt offenkundig schnell, dass der jüngere, größere, stärkere Hund – also er persönlich – ab sofort die Bewachung des gewachsenen Menschen-Tier-Rudels übernehmen wird. Ehrenamtlich, versteht sich.
Was Heli alles erlebt hat in diesen zwei Jahren? Sie wird ihr Geheimnis kaum preisgeben. „Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Drum nähme ich den Stock und Hut. Und tät das Reisen wählen“, heißt es in einem bekannten Gedicht. Bei allen ungelösten Fragen um den Verbleib von Heli, eines ist sicher: Was sie sich wohl kaum wünscht: bald wieder ihre Koffer zu packen.
Tierschutzverein Pfaffenhofen e.V.
Alle Tierfotos: Mirjana B. / Fotos Halsband: Paul Ehrenreich