15/10/2024
# Ein Leben lang im Tierheim
"Abschied von Nala", heißt es im Beitrag der "Mein Bezirk" für Niederösterreich. Am 30.09. ist sie gestorben, nach 14 Jahren im Tierheim. Ein Schäferhund-Mischlingsmädchen, das es besser hätte haben können. Oder?
Es sind nun über 15 Jahre, seit ich auf den Hund gekommen bin – intensiver als manch anderer, zugegeben, aber ansonsten auch kaum etwas Besonderes. Seit dieser Zeit habe ich sehr viel Kontakt zu *dem* "Tierschutz" gehabt, in unterschiedlicher Intensität und auch in unterschiedlichen Rollen. Meine Lehren aus diesen Kontakten sind vielfältiger Natur.
Wenn man das Pferd von hinten aufzäumt, wird schnell klar, was die Probleme in unseren Gefilden sind, wenn es um Haustiere geht: Man bekommt viel zu leicht ein Tier, und man wird es viel zu leicht wieder los. Auch deshalb liest man allerorten, wie brechend voll die Tierheime sind.
Über die Jahre betrachtet, sehe ich da sehr viele Listenhunde, die irgendwann mit einer überschwänglichen Motivation aus Revolution und Romantik angeschafft wurden, welche mit dem Erwachsenwerden der Protagonisten schnell und gnadenlos ihren Tribut gefordert hat. Against all odds wird schnell zu einem Problem mit der eigenen Lebensqualität, wenn man einen starken Hund nicht händeln kann.
Bleiben wir bei den starken Hunden – und ziehen eine Bilanz über unsere Entwicklung als Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, mit robusten Menschen, mit robusten Hunden, mit robusten Verhaltensweisen. Wer seine Klappe zu weit aufgerissen hat, bekam gleich postwendend die Quittung dafür. Wer aus der Rolle gefallen ist, auch. Der Hund im Hof hatte eine Aufgabe, und das wusste er, und alle anderen wussten das auch. Und er wusste auch, wer wem und warum folgt und wer führt.
Heute leben wir in einer Gesellschaft, in der praktisch jeder praktisch alles sagen darf – und schon die Androhung einer Maßnahme dagegen strafbar ist. Wir sind geschützt von einer Hülle aus Ignoranz – ohne Linie und fast ohne Grenzen. Für fast jedes Problem gibt es jemanden, den man anrufen kann, und der sich dann um dieses Problem kümmert. Und wir, die Gesellschaft, verkümmern zu hilflosen, orientierungslosen und grenzenlosen Vollkoffern.
Unsere Hunde hingegen sind im Wesentlichen noch dieselben Hunde wie vor 30, 40 oder noch mehr Jahren. Oft überzüchtet, verzüchtet und auch viel zu krank, aber nicht aller ihrer Eigenschaften beraubt. Und so kommt es, dass ein Schäferhund, ein Cane Corso, ein Malamute und wie sie nicht alle heißen, die einmal für einen harten Job gebraucht und gezüchtet wurden, sich hinstellen und eine Frage haben: Ist das mein Tisch oder deiner, unter den wir beide die Füße strecken?
Die Insassen der Tierheime zeigen ganz klar, dass viele Menschen alles andere als die Hosen zu Hause anhaben – und dass man kaum jemanden dazu bewegen kann zu folgen, wenn man selbst kein Ziel vor Augen hat. - Wohin auch führen, wenn man sich überhaupt nicht bewegt?!
Manche Hunde aber wollen gar kein Ziel, sie wollen keine Richtung. Sie wollen einfach nur ihr Leben zurück. Das Leben, bei dem sie auf der Straße in ihrer Hood gelebt haben, wo sie jeden Strauch, jedes Eck und jeden Hund in ihrem und den angrenzenden Revieren kannten. Ein Leben, das aus unserer Sicht vielleicht hart und voller Entbehrungen erscheinen mag und sicher auch ist – aber an wem liegt es nun, zu entscheiden, ob es lebenswert ist oder nicht?
Also klauben wir die Viecher von den Straßen des Ostblocks und zerren sie oft weniger als mehr legal gewaltsam in unsere Wohnungen und setzen ihnen unser unsägliches Blag als Spielkameraden vor, welches ihnen mit Rotze und Brezel im Gesicht klarmacht, dass das nun ihr Leben sein soll. Für immer. Beklemmt, bedrängt und gemobbt kommt es dann zum Showdown, an den sich das Brezelgesicht nicht selten auch ein Leben lang erinnern darf.
Manchmal setzt Frau Mutter aber schon früher an und holt sich den Hund zum frisch Geborenen dazu. Oft gibt es dann schon ein Zuckermäulchen, und die Romantik aus Rosine, Brezel und gerettetem Auslandshund – oder schickem Züchterhund – ist komplett. Und nach und nach wird klar, dass ein Straßen-, Hüte- oder Jagdhund und zwei Kinder wie eine Strafaufgabe für jemanden sind, der Vater und Mutter erschlagen hat. - Ich persönlich bin ja schon müde, wenn ich zwei Stunden das Zuckerkind in unserer Familie gesehen habe.
Fast endlos lässt sich meine Sicht auf diese Dinge fortsetzen, und das darf auch gerne jeder sehen, wie er möchte; am Ende des Tages zählt doch nur, wie voll die Tierheime sind...
Doch wie geht es weiter, wenn zwar das Kind nicht im Brunnen, der Hund aber im Tierheim gelandet ist?!
SoKo Tierschutz, übernehmen Sie!
Zum Glück gibt es nicht DEN Tierschutz; wenn dem nämlich so wäre, wäre er vermutlich überall gleich schlecht. Aber es gibt ihn wirklich, den "echten" Tierschutz. Den, der sich organisiert, der auf Fakten aufbaut und nicht auf Egos und Emotionen, der ranschafft zum Wohle der Tiere und der eine geordnete Vermittlung mit guten Quoten gewährleistet. Gute Quote meint hierbei, dass die Zahl der vergebenen Tiere hoch ist und die Rückläufer wenig. Es ist nie alles Gold, was glänzt, wenn man in der Scheiße badet, die andere Leute fabriziert haben, aber es gibt deutliche Unterschiede zwischen gut gemeint und gut gemacht; das wird jedem klar, der sich ein bisschen mit der Materie befasst.
Nicht selten werden Tierheime stark kritisiert und beschimpft. Praktisch jedes Tierheim hat deshalb auch nur durchwachsene Google-Bewertungen. Allen voran: "Die wollen ihre Tiere gar nicht hergeben!", "Die geben mir kein Tier!" und so weiter und so fort. In Wahrheit ist fast jede negative Bewertung eines Tierheims aber eine gute Bewertung, weil ein Tierheimmitarbeiter erkannt hat, dass das ausgesuchte Tier und der Interessent nicht zusammenpassen – oder manchmal sogar, dass der Interessent nicht einmal eine Stechmücke als Haustier haben sollte.
Klar, manchmal sind die Kriterien hart, und auch die eigenen Ansichten der oft ehrenamtlichen Mitarbeiter spielen eine Rolle bei der Vergabe. Aber erst, wer einmal einen Tag in einer Tiervergabe mitgemacht hat, weiß, was da für unfassbare Figuren auftauchen und welche unfassbaren Ideen sie da mitbringen.
Es mag hart klingen, aber es sollte wirklich nicht jeder das Recht haben, ein Tier zu halten. Sehr, sehr viele Menschen sind dafür einfach komplett ungeeignet – oder haben einfach nicht das richtige Leben für Tier X und/oder die Rasse Y.
Dennoch ist die Kritik am "Tierschutz" oft nicht unberechtigt. Es mangelt nicht an Menschen, denen es vornehmlich um sich selbst geht, die aber keine Lust hatten, in den Himalaya zu fliegen, um sich selbst zu finden. Also geben sie sich einer vermeintlichen Berufung hin – und gehen anderen auf die Nerven oder machen ihnen sogar das Leben schwer. Manchmal sogar mit Absicht.
Eigentlich sollte es das oberste Ziel sein, das Tier im Tierheim zu vermitteln, aber auch da krankt es oft an vielen Stellen. Die Vermittlungstexte sind vollkommen unbrauchbar, die Websites sind technisch schlecht aufgebaut, es mangelt an Fotos und Videos; wenn sie da sind, sind sie oft von niedriger Qualität oder völlig ungeeignet. - Dabei verdient meiner Meinung nach jedes Tier, auf die möglichst allerbeste Art von seiner allerbesten Seite gezeigt zu werden. Interessenten aussortieren kann man immer noch.
Nala war eine mittelgroße Hündin, halblanges Fell, liebes Gesicht. Und auch wenn viele Menschen keine schwarzen Hunde mögen, hätte sie sicher bei entsprechendem Engagement auch irgendwo ein Plätzchen gefunden. Es reicht einfach nicht, irgendein Tier auf seine schlechte Website zu pampen und sich zu wundern, dass niemand kommt.
Überregionale Arbeit zwischen Tierheimen findet kaum statt, was aus meiner Sicht ein wirklich großes Übel darstellt. Eine deutschlandweite oder österreichweite Tierheim-Datenbank wäre unfassbar wertvoll. Aber es hat keiner Zeit, die Tiere "DA AUCH NOCH!" einzupflegen, was genau genommen der Hauptjob sein sollte. Entsprechende Versuche, so etwas aufzubauen, sind schon mehrfach gescheitert. Es stimmt also irgendwie doch, dass Tierheime kein besonderes Interesse an der Vermittlung haben – oder wie muss man das bewerten?!
Besonders Hunde sind überaus soziale Tiere. Ein Leben im Tierheim bringt sie nicht um, aber es ist kein schönes Leben. Es sollte einem als ebenfalls soziales Lebewesen nicht besonders schwer fallen, sich das Leben mit eigenem Familienanschluss versus dem Leben in einem Käfig vorzustellen. Auch dann, wenn man täglich zweimal Essen und einmal Auslauf bekommt. Hunde sind nicht für Tierheime gemacht – und die wenigsten Tierheime für Hunde, was schon in der Natur der Sache liegt.
Trotzdem werden noch und nöcher unzählige Hunde über die Grenzen eingeschleppt. Fast jedes Forum, in dem man Hunde frei vermitteln darf, ist von oben bis unten zugespammt mit Hunden, die entweder schon rübergekarrt wurden oder es noch werden sollen. Die Argumentation ist hier immer dieselbe: Den Hunden "dort drüben", wo immer das im konkreten Fall auch ist, geht es schlechter als den Hunden in deutschen Tierheimen. Die Tatsache, dass man mit all dem Geld, das man in die anderen Länder schleppt, das Leid der Tiere exponentiell steigert und man eigentlich das System fördert, wird dabei vollkommen ignoriert. Es gilt das Seestern-Mantra, ohne nach rechts oder nach links zu schauen.
Ich bin leergeschrieben. Für den Moment. Ich bin es leid und müde, Menschen dabei zuzusehen, wie sie eine idiotische Aktion nach der anderen auf dem Rücken der Hunde vollbringen. Dabei könnte und würde ich gerne manchmal mehr helfen. Doch die Interessenten interessieren sich nicht für Fakten, und der Tierschutz nicht für eine Meinung – aus der Scheiße ziehen lassen sie sich aber beide gerne, wenn's nicht rund läuft. "Bitte spenden und ansonsten das Maul halten!" lautet die Devise vieler Organisationen. Und der einstige Halter will einfach nur das lästige Vieh loswerden, zur Not beim Tierarzt oder an einen Stein gefesselt im nächstgelegenen Gewässer.
Lasst mich bitte ausdrücklich betonen, dass ich hier pauschalisiere und polarisiere. Ich bin kein Menschenfeind, und ich bin mir der Rolle und der Probleme mit und im Tierschutz, gleich welcher Art, sehr wohl bewusst. Dennoch muss man sagen, dass so oft noch so viel Luft nach oben ist, dass es mir fast schon körperliche Schmerzen bereitet, diesen Ärgernissen zuzusehen.
Ich glaube, dass wir als Gesellschaft umdenken müssen, damit eine Nala nicht mehr 14 Jahre im Tierheim versauern und dann ohne eigene Familie sterben muss. Dabei wird es nicht reichen, nur die Menschen, die Tierheime oder den Tierschutz zu kritisieren. Ohne die Probleme an der Wurzel anzugehen, werden wir wohl oder übel in amerikanischen Verhältnissen landen, wo ein Hundeleben so viel wert ist wie ein Radiowecker. Sad.
Und was dich angeht, Nala, komm gut rüber. Es tut mir leid.